Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Situation in Europa und in Deutschland ist, was die wirtschaftliche und finanzielle Situation betrifft, fragil. Wir erleben Unsicherheiten an den Finanzmärkten wie den Absturz des DAX in den vergangenen Tagen und die Ausschläge bei den italienischen Staatsanleihen. Das zeigen auch Umfragen zu dem Thema, worin die deutsche Bevölkerung ihr größtes Problem und ihre größte Sorge sieht. Das sind nicht mehr wie früher die Arbeitslosigkeit oder andere Punkte, sondern es ist die Stabilität der Währung und der Staatsfinanzen. Das muss uns für die Arbeit an diesem Haushalt 2012 und der mittelfristigen Finanzplanung Mahnung und Leitplanke sein.
Herr Minister Schäuble, bei Ihrer Einbringungsrede hatte ich den Eindruck, dass sie eher an Ihre Koalition gerichtet war als an die deutsche Bevölkerung oder diese Parlamentsopposition. Denn die Zitate von Herrn Dahrendorf in Bezug auf die Verschuldung, das strukturelle Defizit und die Verwendung von konjunkturellen Mehreinnahmen schienen mir sehr stark in Richtung FDP und auch Teile der CDU/CSU zu gehen.
(Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): Das haben die auch so verstanden! – Gegenruf des Abg. Joachim Poß (SPD): Nein, das haben die nicht verstanden!)
Denn nicht erwähnt haben Sie, dass Sie mit dem Kabinettsbeschluss zum Haushalt ein Schreiben der drei Parteivorsitzenden vorgelegt haben – zwei davon saßen, glaube ich, auch mit am Kabinettstisch -, in dem zur Kenntnis gegeben wurde, dass Sie noch in diesem Herbst über Steuersenkungen entscheiden wollen.
(Otto Fricke (FDP): Ja! Das hat er doch gesagt!)
– Er hat aber nicht gesagt, wie er es finanzieren will. Die entscheidende Frage ist: Hält der Haushalt 2012 die von Ihnen hochgehaltene Schuldenbremse ein oder nicht?
(Otto Fricke (FDP): Um 10 Milliarden Euro!)
Dabei haben wir ganz entschieden einen Dissens.
(Otto Fricke (FDP): 10 Milliarden Euro drunter!)
Ich habe vorhin die Deutsche Bundesbank angesprochen. Mit Verlaub, es geht nicht nur um die Deutsche Bundesbank, sondern auch um den Bundesrechnungshof und den Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Lage. Alle drei plus die SPD sind der Auffassung, dass Sie die Schuldenbremse nicht so einhalten, wie wir sie im Bundestag beschlossen haben.
(Beifall bei der SPD – Otto Fricke (FDP): Doch!)
– Das tun Sie eben nicht. Deswegen sind Sie kein Vorbild für Europa, wenn Sie so wie hier in Deutschland in den ersten Jahren der Anwendung die Schuldenbremse verletzen. Wenn andere europäische Länder das machen würden, dann würden Sie ihnen verbal die Ohren langziehen.
(Beifall bei der SPD – Otto Fricke (FDP): Wir sind doch selbst darunter! Das ist schlicht gelogen!)
Warum tun Sie das nicht? Sie liegen allein im Jahr 2012 5 Milliarden Euro über dem, was maximal zulässig wäre. Ich will Ihnen auch sagen, wo sie geblieben sind.
Wir sind uns völlig einig, dass die konjunkturelle Lage exzellent ist. Wir Sozialdemokraten sind die Letzten, die sich darüber ärgern würden. Wir freuen uns.
(Otto Fricke (FDP): Das haben wir aber bisher kein einziges Mal gehört!)
Denn, mit Verlaub, wir haben einen kleinen Anteil daran. Wir freuen uns mit den Deutschen, die zusätzliche Arbeitsplätze bekommen, und mit den Unternehmen, die Aufträge haben und Steuern zahlen. Darüber sind wir froh.
(Dr. Volker Wissing (FDP): Aber Sie stänkern den ganzen Tag herum!)
– Das ist aber nicht Ihr Verdienst, Herr Kollege Wissing.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Es ist vielmehr das Verdienst der fleißigen Menschen in Deutschland.
Gegenüber dem letzten Finanzplan zeigt die aktuelle Lage, dass es eine konjunkturelle Verbesserung gibt: 14,5 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen und 5 Milliarden Euro weniger Ausgaben für den Arbeitsmarkt. Das macht knapp 20 Milliarden Euro.
Sie senken die Neuverschuldung aber nicht um 20 Milliarden, sondern nur um 13 Milliarden. Wo sind diese 7 Milliarden Euro geblieben? –
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Bernd Scheelen (SPD): Das wollen wir wissen!)
Ich höre nichts.
(Norbert Barthle (CDU/CSU): Finanztransaktionsteuer, Kernbrennstoffsteuer!)
– Aha. Damit sind wir beim entscheidenden Punkt: Ihren Maßnahmen, die wir schon immer als Luft und Wolken, als Wolkenkuckucksheim kritisiert haben. In Ihren vor einem Jahr präsentierten Meseberg-Beschlüssen haben Sie mit großem Auftritt Einsparungen in Höhe von 80 Milliarden Euro angekündigt. Die Hälfte ist übriggeblieben. Es werden nur 40 Milliarden Euro eingespart.
Wo werden diese 40 Milliarden Euro eingespart? Sie haben einzig und allein bei den sozial Schwächsten zugelangt.
(Beifall bei der SPD)
Das sind die Maßnahmen, die durchgegangen sind. Alle anderen Maßnahmen, die Sie beschlossen hatten, sind weggefallen.
(Norbert Barthle (CDU/CSU): Das stimmt nicht!)
Deswegen fehlt Ihnen das Geld, lieber Kollege Barthle. Deswegen machen Sie zu hohe Schulden in der konjunkturell besten Zeit, die wir jemals in Deutschland gesehen haben, mit den höchsten Steuereinnahmen, die es in Deutschland jemals gab, und dem besten Wachstum. Der Höhepunkt war zuletzt 2008. Wir liegen 2012 deutlich höher als 2008. Trotzdem betreiben Sie die dritthöchste Neuverschuldung, die es jemals gegeben hat. Meine Damen und Herren, das ist kein Ruhmesblatt, das ist ein Armutszeugnis.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Minister Schäuble, ich habe mir den Bundesbankbericht vom Mai 2011 extra herausgesucht. Der Bundesbankpräsident, Herr Weidmann, ist im Kabinett anders aufgetreten. Er hat es aber nicht öffentlich gemacht, obwohl ich ihn darum gebeten habe. Er tat es nicht, warum auch immer. Es geht in dem Bundesbankbericht um einen Sicherheitsabstand, von dem Sie, Herr Kollege Barthle, immer sagen, dass Sie seine maximale Höhe nicht ausschöpfen würden.
(Norbert Barthle (CDU/CSU): So ist es!)
– Das stimmt. – Aber Sie haben die maximale Höhe zu hoch angesetzt. Das ist das Problem. Ich zitiere nun die Bundesbank:
Ein solcher Sicherheitsabstand sollte aber nicht dadurch geschaffen werden, dass die Obergrenze durch eine problematische Auslegung gedehnt wird. Gerade dies scheint allerdings angelegt zu sein, da in den derzeitigen Planungen als Ausgangspunkt der Obergrenze für den strukturellen Defizitabbaupfad von 2011 bis 2016 – entgegen der Intention der Schuldenbremse – ein veralteter und deutlich überhöhter Schätzwert für das strukturelle Defizit des Jahres 2010 verwendet wird. Hierdurch
– Achtung! –
ergeben sich zusätzliche Verschuldungsspielräume von kumuliert rund 50 Mrd €.
(Beifall bei der SPD – Sören Bartol (SPD): Hört! Hört!)
Wir haben hier im Juni einen Gesetzentwurf zur harten Auslegung der Bestimmungen über die Schuldenbremse vorgelegt. Sie haben dem nicht zugestimmt. Herr Kollege Barthle, Sie waren im Haushaltsausschuss, als ich den Punkt betreffend die 50 Milliarden Euro erwähnt habe. In der Anhörung hatte die Bundesbank dies dargestellt, und ich habe es mir zu eigen gemacht. Sie haben gesagt: Wir lösen das Problem. – In der Schlussberatung war davon nichts mehr zu hören. Sie wissen, dass Sie über eine Kriegskasse von 50 Milliarden Euro verfügen, also noch Pfeile im Köcher haben, und diese Kriegskasse erhalten Sie sich. Das aber ist das Gegenteil von solider Finanzpolitik und von Transparenz, die Sie sich heute hier bescheinigen.
(Beifall bei der SPD)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Schneider, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke?
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):
Gern.
Otto Fricke (FDP):
Herr Kollege Schneider, wir alle hier im Parlament wissen, dass Sie seit zwei Jahren darauf herumreiten, dass man für die Schuldenbremse, die Sie selber beschlossen haben, die aber anscheinend Ihrer Meinung nach nicht präzise genug formuliert war, eine andere Interpretation findet. Ich stimme Ihnen zu: Wenn es um Berechnungen geht, deren Grundlagen nicht genau definiert sind, kann man unterschiedlicher Meinung sein. Ich gehe davon aus, dass auch hinter Ihrer Intention ein guter Wille steckt. Deswegen frage ich Sie: Wie hoch hätte die Neuverschuldung im Jahr 2011 nach Ihrem Modell sein dürfen und wie hoch darf sie im Jahr 2012 sein, wenn Sie das so genau wissen?
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):
Herr Kollege Fricke, im Jahr 2012 muss sie nach unserer Berechnung zwischen 21,5 Milliarden Euro und 22 Milliarden Euro liegen. Nach Ihrer Berechnung liegt sie bei 27 Milliarden Euro im Jahre 2012.
(Otto Fricke (FDP): Wir haben das noch nicht beschlossen!)
Ich komme gleich zu unseren Vorstellungen im Einzelnen. Im Rahmen der Haushaltsberatungen werden wir Ihnen klipp und klar unsere Vorschläge vorlegen, um die Verschuldung in dieser Größenordnung abzubauen. Es ist richtig, was Herr Minister Schäuble sagte. In der ersten Anwendungsphase der Schuldenbremse schreiben Sie die Geschichte für die nächsten Jahrzehnte. Diese Schuldenbremse haben die meisten hier im Parlament beschlossen. Sie dehnen jetzt den Interpretationsspielraum in dem entscheidenden Punkt des Kontrollkontos aus und bunkern 50 Milliarden Euro.
(Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister: Wir nutzen sie doch nicht!)
– Herr Kollege Schäuble, dann legen Sie einen entsprechenden Gesetzentwurf vor, der vorsieht, dass Sie den Spielraum nicht nutzen. – Ich habe im Haushaltsausschuss dem Staatssekretär exakt die Frage gestellt, ob der Betrag genutzt wird oder nicht. Wenn er nicht genutzt wird, dann können Sie es hier erklären und das rechtlich absichern. Genau das aber tun Sie nicht.
(Otto Fricke (FDP): Wir haben es im Ausschuss gesagt!)
– Verbale Äußerungen sind etwas anderes als rechtlich abgesicherte Festlegungen. – Sie haben den Spielraum, ob Sie ihn nutzen oder nicht. Das haben Sie im Haushaltsausschuss zugegeben. Ich behaupte: Sie werden ihn nutzen, weil Sie Ihren Steuersenkungs- und Entstaatlichungsphantasien auf den letzten Drücker nachgeben werden, auch um der FDP etwas entgegenzukommen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das sagen wir die ganze Zeit.
(Otto Fricke (FDP): Sie behaupten, wir lügen!)
Ich glaube, das wird so geschehen, weil Sie alle Versprechen letztendlich brechen.
Ich habe bereits vorhin gesagt, dass das Thema Staatsfinanzen in der Bevölkerung wahrscheinlich viel bedeutender als früher ist. Wir, die SPD, haben uns entschlossen – Sie haben uns das vorher nicht geglaubt -, in den nächsten Jahren einen sehr strikten, konsequenten Weg zu gehen; wir sehen den Abbau der Neuverschuldung, die Konsolidierung des Staatshaushalts als einen unserer Hauptpunkte. Deswegen hat der Parteivorstand der SPD gestern ein Programm für die Jahre bis 2016 beschlossen, das nur zwei Schwerpunkte beinhaltet: erstens den Abbau der Staatsverschuldung – was wir planen, ist härter und ehrgeiziger als das, was Sie vorlegen
(Bettina Hagedorn (SPD): Ehrgeiziges Ziel!)
– und zweitens die Stärkung des Bereichs Bildung.
(Bettina Hagedorn (SPD): Ja!)
Wir wollen etwas für die Flanke tun, die Sie – entweder die CDU allein oder nur die FDP – ignorieren. All die Krisen, mit denen wir es jetzt zu tun haben – Staatsfinanzierungskrisen, Neuverschuldung -, haben ihre Ursache in den extremen Spekulationen auf den Finanzmärkten. Infolgedessen mussten erst Banken und müssen jetzt Länder gerettet werden.
(Otto Fricke (FDP): Der Grund ist die Verschuldung!)
Die Vermögenden, diejenigen, die über ein hohes Einkommen verfügen, haben von diesen Rettungen enorm profitiert; denn nur sie konnten auch etwas verlieren. Es wurde somit auch ein Beitrag zur Stabilität ihrer Einkommen geleistet. Die Reichen müssen nun einen Beitrag zur Krisenbewältigung leisten. Deswegen schlagen wir vor, dass die oberen 4 Prozent der einkommensteuerpflichtigen Haushalte in Deutschland einem höheren Steuersatz unterliegen. Das ist einer von vielen unserer Vorschläge.
Außerdem wollen wir einen Vorschlag zum Subventionsabbau machen; wir haben das schon detailliert besprochen. Wir bieten Ihnen an, auf unser Angebot einzugehen. Man sollte nicht einseitig Verschuldung betreiben oder bei den sozial Schwächsten kürzen.
(Bettina Hagedorn (SPD): Ja!)
Ich komme zum Schluss. Sie haben eine neue Euro-Expertin; sie ist leider schon gegangen. Sie hat sehr abenteuerliche Vorstellungen, was Gold und andere Dinge betrifft. Ich bin der Meinung, Frau von der Leyen sollte sich lieber um diejenigen kümmern, für die sie Verantwortung trägt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Sie stiftet nur Verwirrung. Verantwortung trägt sie vor allen Dingen für die Langzeitarbeitslosen. Mit Blick auf die Ausgaben will ich klar sagen: Das, was Sie im Bereich der beruflichen Weiterbildung und Qualifikation kürzen, fehlt, um diejenigen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, die auf dem gespaltenen Arbeitsmarkt keine Chance haben. Wer zulässt, dass stattdessen Fachkräfte aus dem Ausland geholt werden, der versündigt sich an den hiesigen Arbeitslosen, und das werden wir nicht mitmachen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
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