Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Abschluss der Haushaltsdebatte, die ja die zentrale Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition ist, kann man nur sagen: So leicht hat es eine Regierung einer Opposition noch nie gemacht, die Fehler, die sie begangen hat, offenzulegen.

(Beifall bei der SPD – Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Und daran ist die Opposition gescheitert!)

Sehr geehrter Herr Meister, bei der zentralen Frage der Haushaltskonsolidierung, die Europa derzeit beschäftigt: Wie finanziert sich ein Staat, wie kann er überleben, wie geht er mit seinen Finanzen um?, beansprucht die Regierung für sich Führung in Europa.

Was leisten Sie in Deutschland 2011, in diesem Jahr? Rekordsteuereinnahmen, Rekordwachstum, 22 Milliarden Euro neue Schulden.

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Da steht auch Leistung dahinter!)

Nächstes Jahr, 2012 – darüber stimmen wir heute ab -!: noch mehr Wachstum, noch mehr Steuereinnahmen, noch mehr Schulden! Das ist das Dokument des Versagens Ihrer Regierung.

(Beifall bei der SPD – Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Falsch! Falsch!)

– Sie sagen: falsch. Dann müssen Sie mir das erklären.

Wir schließen das Haushaltsjahr 2011 ab mit 22 Milliarden Euro Schulden. Jetzt legen Sie uns einen Haushaltsplan für das nächste Jahr mit einer Kreditermächtigung von 26 Milliarden Euro Schulden vor. Ich kann es gerne als Grafik aufmalen: 22 Milliarden Euro, 26 Milliarden Euro; mir scheint es so, als sei das Letzte mehr.

Allerdings: Man kann nie sicher sein, angesichts der Rechenkünste im Finanzministerium – ich denke nur an 55 Milliarden Euro, die einfach einmal spurlos verschwinden und dann wieder auftauchen -, ob dies bei Ihnen tatsächlich bekannt ist. Sie scheinen von der Realität wirklich nicht überzeugt zu sein. Sie machen im nächsten Jahr trotz dessen, dass wir in Deutschland die besten Wachstumsaussichten und die höchsten Steuereinnahmen überhaupt hatten, neue Schulden in Höhe von 26 Milliarden Euro.

(Christian Lange (Backnang) (SPD): Riesensauerei ist das!)

Das sind 20 Prozent mehr. Das ist ein Skandal!

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen Vertrauen und Zuverlässigkeit in die öffentlichen Finanzen. Von Deutschland geht das gegenteilige Signal aus. Sie haben noch den kruden Versuch unternommen, das Ganze als „wachstumsfreundliche Konsolidierung“ zu erklären. Ich weiß nicht genau, was Sie damit meinen. Wollen Sie damit begründen, dass Sie mehr Schulden machen müssten, damit die Wirtschaft wächst? Das schien teilweise so in Ihrer Argumentation.

Es gibt ja rechte Ökonomen und linke Denkschulen. In einem aber stimmen alle überein: Wenn es spitze läuft, wenn die Konjunktur auf dem Höhepunkt ist, dann müssen Sie sparen, damit Sie dann, wenn es schlechter läuft, wieder investieren können.

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Bei Ihnen läuft es immer schlecht! Das ist das Problem!)

Sie drehen diesen Grundsatz um. Es läuft spitze, Deutschland steht gut da, die Menschen sind fleißig, die Steuereinnahmen sind gut, und Sie erhöhen die Schulden. Das ist verantwortungslos.

(Beifall bei der SPD)

Man kann viel über Märkte sagen. Teilweise handeln sie irrational; das erkennt man in Europa derzeit bei Italien und Spanien. Am Mittwoch jedoch gab es ein Signal von den Märkten: Das erste Mal seit der Euro-Einführung konnte eine Bundesanleihe, also das, was wir für die Schulden begeben, nur zu 60 Prozent platziert werden, wir haben also nur für 60 Prozent Kreditgeber gefunden. Das war nicht nur ein Donnerschlag, sondern das war das Urteil des Marktes über Ihre verheerende Finanzpolitik. So ist es auch in allen Zeitungen kommentiert worden.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt da ja diese Kreditausfallversicherungen. Die sind ein guter Seismograph dafür, dass jemand, der uns Geld gibt, auch Vertrauen hat, dass er das Geld zurückbekommt.

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Welche Interessen vertreten Sie?)

Dann kauft er Kreditausfallversicherungen. Haben Sie sich, Herr Kollege Michelbach, einmal die Kursentwicklung dazu angesehen?

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Ja, ja!)

Ich habe das gerade noch einmal getan. „FAZ“ heutiger Tag, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“: Das Volumen dessen, was bisher ausgegeben wurde, ist seit Juli um 40 Prozent gestiegen. Das heißt, die Leute sichern sich mehr ab, weil sie Sorge um die Finanzen in Deutschland haben. Der Preis, meine Damen und Herren, hat sich binnen vier Monaten verdreifacht – verdreifacht! Das ist ein ganz klares Zeugnis für Ihre verfehlte Finanzpolitik, mit der Sie Deutschland letztlich in die Sackgasse führen.

(Beifall bei der SPD – Christian Lindner (FDP): Deswegen sind auch unsere Zinsen so gesunken!)

Wissen Sie, Sie erzählen, Sie wollen sparen. Sie tun das Gegenteil. Außer bei einem einzigen Etat. Das ist der für Arbeit und Soziales. Da, wo es um die Schwächsten geht, da sparen Sie – das gestehe ich Ihnen zu -, bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik, wo es um Bildung geht, wo es um Existenzgründungen geht, beim Existenzgründungszuschuss.

(Zuruf von der FDP: Da spart doch niemand!)

Wir sind für Selbständigkeit von Menschen, dafür, ihnen Chancen zu geben. Da sparen Sie.

(Beifall bei der SPD – Klaus Barthel (SPD): 11 Prozent mehr!)

Bei allen anderen Haushalten gibt es mehr Geld.

Ich habe mich gefragt, als ich die Zahlen so gesehen habe: Wie kann das eine Regierung eigentlich verantworten?

(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Ja!)

Wie kann das eine möchte-gern-bürgerliche Regierung von Schwarz und Gelb eigentlich verantworten?

(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): „Möchte gern“ ist richtig!)

Ich kann es mir nur so erklären: Ihnen fehlt noch die Kraft, Entscheidungen zu treffen, die letztlich im Sinne des Landes sind und vielleicht der einen oder anderen Parteifarbe wehtun. Alles, was Sie tun, ist nur noch Kitt für Ihre Koalition. Sie verteilen Geschenke – Steuersenkungen, Heimprämie etc. -, um Ihre Koalition zusammenzuhalten, aber sind nicht mehr in der Lage, die zentralen Fragen Deutschlands zu beantworten. Dazu wäre es notwendig, in diesem Jahr die Schulden zu reduzieren, und nicht, sie steigen zu lassen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Schneider, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Otto Fricke?

Carsten Schneider:

Gern.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bitte schön, Herr Fricke.

Otto Fricke (FDP):

Herr Kollege Schneider, erstens, dass der Sozialhaushalt sinkt, ist doch wunderbar, solange die Quote einigermaßen in Ordnung ist, wenn es darauf basiert, dass wir weniger Arbeitslose haben. Aber – zweitens – ich verstehe durchaus, dass Sie in Ihrer Aufgabe als Opposition hier Kritik üben und sagen: Nur bei dem einen Haushalt, da sinken die Ausgaben.

Deswegen würde ich jetzt gern von Ihnen hören, bei welchen Haushalten die SPD möchte, dass die Ausgaben sinken. Wenn Sie jetzt bitte nicht wieder mit irgendwelchen Erhöhungen kommen, sondern mir sagen – Sie kritisieren die Ausgaben -: In welchen Haushalten möchte die SPD die Ausgaben senken? Das wäre eine nette Antwort von einem Haushälter.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Carsten Schneider:

Sehr geehrter Herr Kollege Fricke,

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Jetzt sind wir gespannt!)

Die Finanzpolitik in Deutschland in den vergangenen Jahren, seit 10, 15 Jahren, ist dadurch geprägt,

(Otto Fricke (FDP): Das war nicht die Frage!)

dass sie zum Großteil über Einsparungen konsolidiert hat. Wir haben in Deutschland eine Steuerquote, die bei 22 Prozent liegt.

(Otto Fricke (FDP): Das war nicht Frage!)

– Ich komme zu meiner Antwort, zu meinem Punkt. – Ich halte es für entscheidend – das haben wir hier im Bundestag auch als Antrag eingebracht -, dass wir Subventionen abbauen,

(Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Schneider verweigert sich dem Sparen!)

dass wir die ungerechte Vermögensverteilung in Deutschland abbauen.

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Antworten!)

Das ist der Einzelplan 60, meine Damen und Herren. Da wollen wir Subventionen abbauen.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Ah, ah!)

Herr Kollege Fricke, was haben Sie denn getan? Nehmen Sie doch nur einmal den Punkt Hotelsteuer. Sie haben hier im Deutschen Bundestag wieder die größte Einzelsubvention durchgesetzt, nämlich das Hotelsteuerprivileg mit einer Milliarde Euro, „Mövenpick-Steuer“.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen diese abbauen, genauso, wie wir das in allen anderen Bereichen machen, exakt durchdekliniert.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nur hohle Phrasen!)

Wir kommen auf eine Neuverschuldung von 20 Milliarden Euro, Sie kommen auf eine von 26 Milliarden Euro. Da sparen wir letztlich Geld, meine Damen und Herren, und da ist es auch richtig angelegt.

(Beifall bei der SPD – Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Ihre Redezeit sollte man sich hier sparen! – Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Peinlicher geht es gar nicht!)

Sehen Sie, Sie reden in Ihrem Koalitionsvertrag von Bürokratieabbau, Sparen etc. Wenn ich mir nur anschaue, dass Sie, liebe FDP, sich das Entwicklungshilfeministerium sparen wollten und jetzt 166 neue Stellen dort schaffen – ein Drittel mehr, als es dort bisher Beschäftigte gibt -, dann ist das das Gegenteil von Sparen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Christian Lindner (FDP): Sie haben keine Antwort auf die Frage des Kollegen Fricke!)

Aber auch – das ist der entscheidende Punkt – Herr Kollege Schäuble, der Finanzminister, führt das Wort des Konsolidierens im Mund, tut aber auch das Gegenteil. Nehmen Sie auch da den zentralen Bereich des Personals! Sie kürzen bei der Zollverwaltung, bei denjenigen, die unterwegs sind, um Mindestlohn durchzusetzen, um Schwarzarbeit zu bekämpfen. Da wird gekürzt. In Ihrem eigenen Haus, im Ministerium, haben Sie 66 neue Stellen ausgebracht.

(Otto Fricke (FDP): Das sind doch zum großen Teil gar nicht neue Stellen!)

Ich habe noch nie erlebt, dass das Finanzministerium gegen den Trend so beim Personal im eigenen Ressort prasst.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will jetzt nicht noch einmal die Bundesbank zitieren, die belegt hat, dass Sie von Ihrem Konsolidierungskurs vollkommen abgekommen sind, dass das Sparpaket zerfleddert wurde, dass die Süddeutsche Zeitung schreibt: Eins ist klar: Schwarz und Gelb können mit Geld nicht umgehen. Dies haben wir in dieser Woche erleben müssen.

Der entscheidende Punkt ist, dass Sie die Lösung der Probleme, die durchaus vorhanden sind, in die nächste Legislatur schieben. Man weiß ja nie, wie lange Ihre Koalition hält; aber Sie sind bis 2013 gewählt. Die Beschlüsse, die Sie getroffen haben, sei es die Herdprämie oder die Steuersenkung, bei der für die Leute letztendlich ein Kännchen Kaffee übrig bleibt und die Sie auf Pump finanzieren wollen, vergrößern das Defizit in den Jahren 2013 und 2014. Dadurch gibt es hier ungeklärte Mehrausgaben – technisch spricht man von einer globalen Minderausgabe – von 5 Milliarden Euro, aber auch Lücken aufgrund zusätzlicher Beschlüsse im Umfang von 6 Milliarden Euro, sodass Sie nach derzeitigem Stand im nächsten Jahr etwa 30 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen müssen.

Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrter Herr Schäuble, wird dazu führen, dass Sie in Europa nicht mehr sagen können: Richtet euch an Deutschland aus; dann wird es gut sein. Im Gegenteil: Sie diskreditieren die deutsche Position; Sie verspielen die Chance, mit einer soliden Finanzpolitik – man muss das Vertrauen langfristig gewinnen – eine Vorbildwirkung zu erzielen. Sie brechen die Schuldenbremse, Sie erhöhen die Schulden im nächsten Jahr. Sie sind damit dafür verantwortlich, dass der Vertrauensverlust und die Verwirrung in Deutschland anhalten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir Sozialdemokraten setzen dem ein klares Stoppsignal entgegen. Wir wollen die Verschuldung senken. Wir wollen, auch durch die Besteuerung von hohen Vermögen und Finanztransaktionen, mehr Steuergerechtigkeit in Deutschland erreichen. Wir wollen, dass solide Finanzen als Markenkern nicht nur der SPD, sondern auch der Bundesrepublik gelten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

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