Unter dem Titel „Wie viel Kirche braucht unsere Gesellschaft?“ lud der Evangelische Arbeitskreis der CDU Thüringen am Freitag, den 7. Oktober 2011 zu einer Diskussionsrunde in das geschichtsträchtige Augustinerkloster in Erfurt. Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des Arbeitskreises debattierte ich mit dessen Vorsitzenden Prof. Dr. Jens Goebel, mit Oberkirchenrat Christian Wagner, Beauftragter der Evangelischen Kirchen im Freistaat Thüringen, und Prof. Dr. Klaus Dicke, Rektor der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie studierter Politikwissenschaftler und Theologe über die Bedeutung der christlichen Kirchen im modernen Deutschland.

„Der Glaube unter uns ist alles andere als selbstverständlich geworden“, bedauerte die Ministerpräsidentin Thüringens und Mitbegründerin des Arbeitskreises Christine Lieberknecht in ihrer Festansprache. In Thüringen gehören 23 Prozent der Bevölkerung der protestantischen und gar nur 8 Prozent der katholischen Kirche an. Aber nicht nur die sinkenden Mitgliederzahlen sprechen Bände: In den vergangenen Wochen habe ich in meinem Wahlkreis häufig die Erfahrung gemacht, dass bei den Bürgerinnen und Bürgern sogar der prominente Besuch des Papstes auf teilweise heftige Ablehnung stieß.

Vor diesem Hintergrund bin ich der Meinung, dass die Verwobenheit zwischen der christlichen Kirche und dem deutschen Staat nicht mehr zeitgemäß ist: Im heutigen Deutschland ist eine große Vielfalt an Religionen vorzufinden – dem trägt das Grundgesetz keine Rechnung, es bevorzugt klar die beiden großen christlichen Kirchen. Die Prägekraft, die deren Kulturgut auch für die moderne Staatsbildung zweifelsohne hat, gibt der Kirche dennoch keinen Anspruch einer „höheren Moral“. Wenn Frau Lieberknecht die Auffassung vertritt, Politik brauche ein ethisches Fundament, das nur in der Religion seinen Ursprung haben könne – so meine ich hingegen, Vernunft im Sinne der Aufklärung kann als Maxime für politisches, gesellschaftliches oder persönliches Handeln mindestens ebenso bestehen. Die übrigen Teilnehmer leiteten allerdings aus dem historisch entstandenen Vorrecht der Kirche die Überzeugung ab, der Staat hätte auch in der heutigen Zeit noch einen Erziehungsauftrag im Sinne der christlichen Kirche. Auch da vertrete ich Anderes: Glaube und Religion sind Privatsache. „Wie viel Glaube“, „wie viel Religion“ und „wie viel Kirche“ der Mensch braucht, muss jeder mit sich selbst ausmachen.

Ich erkenne die Bedeutung des Glaubens für die persönliche Glückseligkeit vieler Menschen an und bewundere die Rolle von Geistlichen als Seismographen der Gesellschaft, die mit ihrer Seelsorge gute und wichtige Arbeit leisten. Nicht zuletzt sehe ich, dass die Kirche ein Akteur ist, der immer wieder eine schützende Hand über unsere Demokratie hält. All das macht sie zu einer unverzichtbaren Institution – was allerdings nicht heißt, dass die Vorrechte, die die christliche Kirche in Deutschland etwa im Bereich des Religionsunterrichts oder der finanziellen Zuwendungen genießt, nicht hinterfragt werden dürften.

Umgekehrt muss der Staat an einer Stelle – die mir übrigens besonders wichtig ist – stärkere Eingriffsrechte in den Bereich der Kirchen bekommen: Das kirchliche Arbeitsrecht, das über eine Million Beschäftigte bei Diakonie und Caritas betrifft, weist nicht die Standards des deutschen Arbeitsrechts auf und genügt vor allem nicht dem Antidiskriminierungsgebot. Dies sieht vor, dass zum Beispiel über eine Einstellung unabhängig von der Religionszugehörigkeit entschieden werden muss.

Mein Fazit: Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche muss demokratischer werden, dem Gleichheitsgrundsatz besser genügen. Der Staat muss allen Menschen – ob und welcher Religion sie auch angehören – die gleichen Rechte einräumen und die gleichen Pflichten abverlangen.

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