Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal: Die von der Bundesregierung heute beschlossene Protokollerklärung tragen wir mit und nehmen sie zur Kenntnis. Sie entspricht den Vorgaben, die das Verfassungsgericht gemacht hat. Die SPD-Fraktion hat während der Ratifizierungsverfahren zum ESM-Vertrag insbesondere darauf Wert gelegt, dass die Gremien des ESM gegenüber dem Bundestag auskunftspflichtig sind. Unseren Anträgen ist die Koalition gefolgt. Es ist gut, dass wir dies jetzt hier noch einmal klarstellen.

Der entscheidende Punkt ist allerdings: Sie, sehr geehrter Herr Staatssekretär Kollege Kampeter, haben eben gesagt, die Haftungssumme Deutschlands sei damit klar begrenzt; der ESM sei nur ein Teil der Strategie zur Lösung der europäischen Krise. Ich sehe sie als Finanzkrise an;

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben sie als Staatsschuldenkrise bezeichnet. Damit widersprechen Sie Ihrem Finanzminister; aber das Recht auf freie Meinung soll auch in der Bundesregierung gelten, selbst wenn Sie in diesem Fall falschliegen.

Interessant ist bei diesem entscheidenden Punkt nun, worüber Sie nicht gesprochen haben. Es geht um einen Sachverhalt, der auch noch im Hauptsacheverfahren eine Rolle spielen wird, nämlich die unbegrenzten Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank. Wenn Sie hier den Eindruck erwecken, als wäre die Haftung Deutschlands auf die Summe begrenzt, die im ESM-Vertrag festgelegt ist, dann, sehr geehrter Kollege Kampeter, führen Sie die Öffentlichkeit an der Nase herum. Die Haftungssumme ist deutlich höher. Ich finde, dass der Deutsche Bundestag darüber reden muss, weil es wichtig ist, politische Akzeptanz zu erreichen. Das Versteckspiel auf der einen Seite hier im Bundestag möglichst geringe Haftungssummen zu beschließen, um die Öffentlichkeit nicht zu verunsichern und Ihre Koalition zusammenzuhalten, und auf der anderen Seite über die Bilanz der EZB die Verluste von Banken zu sozialisieren, ist nicht akzeptabel. Deswegen sage ich Ihnen ganz klar: Diese Entscheidungen gehören in den Deutschen Bundestag.

(Norbert Barthle (CDU/CSU): Das steht im Gesetz!)

Wenn es um die Haftungsrisiken geht, die zwischen den Steuerzahlern verteilt werden, muss der Deutsche Bundestag darüber entscheiden. Das ist in einer Demokratie grundsätzlich die Voraussetzung.

(Norbert Barthle (CDU/CSU): Das steht so im Gesetz!)

– Herr Kollege Barthle, vielleicht glauben Sie zwar nicht mir, aber dem Bundesbankpräsidenten, der Ihrer Regierung durchaus nahestand. In einem Interview in der Neuen Zürcher Zeitung von heute, in dem es um dieses Staatsanleihenaufkaufprogramm geht, das Sie hier mit keinem Wort erwähnt haben, sagte er:

Es gibt aus meiner Sicht einige Gründe, die gegen das Programm sprechen. Dazu zählen einerseits sicher stabilitätspolitische Prinzipien und die Frage, ob die Notenbank hierzu demokratisch legitimiert ist.

Das sehe ich in der Tat genauso. Dann führt er fort – das ist der entscheidende Punkt; passen Sie auf! -:

Das Programm verteilt Haftungsrisiken zwischen den Steuerzahlern der Euro-Zone um. Das dürfen nur die Parlamente, und diese haben mit den Rettungsschirmen ja auch die passenden Instrumente zur Hand.

Punkt.

(Beifall bei der SPD)

Herr Weidmann spricht Wahrheit; er ist der Chef der Deutschen Bundesbank. Ich frage mich nur: Was sagt die Koalition dazu?

(Bettina Hagedorn (SPD): Ja!)

Alles, was ich mitbekommen habe, Herr Staatssekretär, ist, dass der Chef Ihres Hauses, der Bundesfinanzminister Schäuble, Herrn Weidmann einen Maulkorb verpasst hat, dass er in einem Interview mit der Bild am Sonntag dem Bundesbankpräsidenten angeraten hat, doch lieber zu schweigen, als in Deutschland die Wahrheit zu sagen. Das ist mittlerweile die Politik der Bundesregierung.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, das war ein guter Rat von Herrn Schäuble!)

– Herr Trittin, wir haben da eine grundsätzlich andere Auffassung; das ist richtig.

(Otto Fricke (FDP): Was hat das denn noch mit dem Thema zu tun?)

– Das hat mit dem Thema Haftungssumme zu tun. Ich kann verstehen, lieber Kollege Fricke, dass Sie über das entscheidende Thema nicht sprechen wollen. Aber ich finde, dass der Deutsche Bundestag der richtige Ort ist, um über die Frage von Haftungsrisiken und über die Frage, wer hier was bezahlt, zu reden. Man muss darüber reden; das darf nicht totgeschwiegen werden.

(Beifall bei der SPD)

Sie drücken sich darum. Ich finde das nicht akzeptabel.

Die entscheidende Frage ist: Wer kommt im Endeffekt für die Kosten auf? – Ja, wir sind für die Stabilisierung der Euro-Zone. Ja, wir sind als Sozialdemokraten bereit, dabei Verantwortung zu übernehmen. Ja, wir sind dazu bereit, auch zu sagen, was es kostet. Es darf aber nicht über die Bilanz der europäischen Notenbank laufen, die dazu gezwungen wird, weil Sie nicht bereit sind, zu handeln. Das ist sozial ungerecht; denn das führt dazu, dass diejenigen, die viel Geld haben, es letztendlich behalten, und die kleinen Leute alles bezahlen. Das ist nicht akzeptabel.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE))

Ich hätte mir gewünscht, dass der Bundestag in solch einer entscheidenden Frage eine klare Position hat. Eine Debatte darüber findet quasi nicht statt. Deswegen nutze ich die heutige Gelegenheit, um es einmal deutlich zu sagen, entgegen den Äußerungen aus Ihrer Koalition zu diesem Punkt.

(Zurufe von der FDP)

– Wir werden ja bei den einzelnen Hilfsanträgen von Staaten darüber sprechen.

Wissen Sie, ich finde es bemerkenswert, wenn der Präsident der Deutschen Bundesbank als die einzige Chance, die er noch hat, um Ihnen an dieser Stelle ein Warnzeichen zu geben – entgegen den Äußerungen, die Sie hier immer wieder machen -, die Neue Zürcher Zeitung nutzt. Ich zitiere als letztes noch eine Stelle, in der er auf den Aspekt der Haftungsrisiken eingeht, die Sie angeblich negieren. Ich zitiere:

Zum Beispiel verteilt die SNB

– das ist die Schweizerische Notenbank –

mit ihrer Massnahme keine Risiken zwischen Steuerzahlern verschiedener Länder um, das Euro-System hingegen schon.

Ich würde gerne wissen, ob Sie das so sehen oder nicht, sehr geehrter Herr Staatssekretär. Das ist eine relevante Frage, wenn es um die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages geht. Darauf müssen Sie einmal eine Antwort geben. Sie können das doch nicht totschweigen, als gäbe es das nicht. Dabei macht doch die EZB, weil Sie sich nicht einigen können, das Geschäft, und der Bundestag hat nichts zu sagen. Das ist undemokratisch, nicht legitimiert und führt letztendlich dazu, dass Haftungsrisiken vergemeinschaftet werden und diejenigen, die die Krise verursacht haben, eben nicht an den Kosten beteiligt werden.

(Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Die Schweizerische Zentralbank ist aber auch nicht für die 17 Länder zuständig!)

Wir haben unsere Zustimmung im Bundestag zur Finanzierung dieser Lasten davon abhängig gemacht, dass eine Finanztransaktionsteuer eingeführt wird. Wir erwarten, dass dazu noch im Oktober ein klarer Fahrplan auf den Tisch kommt.

(Beifall bei der SPD)

Es ist entscheidend, dass die Zusagen, die die Regierung gegeben hat, auch tatsächlich umgesetzt werden. Nicht die kleinen Leute sollten die Kosten der Krise bezahlen, sondern diejenigen, die sie verursacht haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

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