Hier die Rede im Videoformat.
Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, als Herr Troost gerade sagte, dass er sich seit 33 Jahren intensiv mit der Lektüre des Länderfinanzausgleichs auseinandersetzt,
(Zuruf des Abg. Dr. Axel Troost (DIE LINKE))
habe ich gedacht: Literarisch ist das Ganze nicht so unterhaltsam.
Wenn man sich den Bund-Länder-Finanzausgleich, den solidarischen Ausgleich zwischen den Ländern, anschaut, den wir laut Grundgesetz haben, und auch die Regelung, die wir jetzt seit 2005 bis 2019 mit dem Solidarpakt II haben, dann stellt man fest: Das hat sich in Deutschland bewährt. Das solidarische Ausgleichssystem zwischen finanzstarken und finanzschwachen Ländern hat sich bewährt. Es hat diesem Land gutgetan.
(Beifall bei der SPD)
Es ist eine Grundvoraussetzung, dass es einen Ausgleich zwischen finanzschwächeren und finanzstärkeren Ländern gibt. Wir haben Länder, deren Finanzschwäche zum großen Teil durch die Geschichte bedingt ist; hier denke ich an die ostdeutschen Länder. Nirgendwo in Ostdeutschland sind große Konzernzentralen. Dementsprechend sind die Körperschaftsteuereinnahmen nicht in dem Maße vorhanden. Der Ausgleich ist notwendig, damit die Gemeinden, beispielsweise bei mir in Thüringen, aber auch die Länder die sozialen Dienstleistungen erbringen können ? wie auch in Teilen Bayerns, Hessens oder Baden-Württembergs ?; in den finanzschwachen Ländern gibt es niedrigere Standards in der Besoldung von Polizisten und Lehrern und auch bei anderen Angeboten. Das wird in etwa so bleiben; denn es geht hier nicht um eine Nivellierung. Im Kern brauchen wir als verbindendes Element in Deutschland einen funktionierenden Finanzausgleich zwischen Starken und Schwachen im Grundgesetz und in der Realität.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, von daher ist es aus meiner Sicht ganz klar, dass das Verfahren, auf das sich die Ministerpräsidenten geeinigt haben, total transparent ist. Sie haben das alles zitiert. Die Regelungen sind vorhanden. Nicht im Hinterzimmer, sondern in der Öffentlichkeit wird das ausgetragen, wie heute hier im Bundestag. Auch wir als SPD-Fraktion haben uns oft genug dazu geäußert. Uns passt diese Einigung aus verschiedenen Gründen nicht.
(Beifall bei der SPD)
Ich will darauf zu sprechen kommen. Die Gründe sind sehr im Konsens mit dem, was Herr Kollege Brinkhaus und auch Sie, Frau Kollegin Hajduk, gesagt haben. Wenn wir den Ausgleich zwischen der unterschiedlichen Finanzkraft der Länder haben wollen, dann ist es zwingend, dass sich das auch in der wirtschaftlichen Dynamik abbildet. Das erkennt man schon, wenn man einen Blick auf die Forschungseinrichtungen wirft. Wo Forschung ist, ist auch wirtschaftliche Entwicklung. Schauen wir uns die Landkarte an: In Baden-Württemberg und in Bayern gibt es viele Forschungseinrichtungen und damit auch finanzstarke Unternehmen. Manche gibt es auch in Hessen und in Hamburg. Wir haben schwächere Regionen und welche, die im Durchschnitt liegen. Zu den Schwächeren gehören die ostdeutschen Länder, aber auch einige westdeutsche Flächenländer. Diese brauchen besondere Unterstützung.
Der Vorschlag, den die Länder gemacht haben, sieht eine Einigung zulasten Dritter vor. Der Dritte ist hier der Bund. Deswegen sind wir als Gesetzgeber gefordert, uns dazu zu verhalten ? das tun wir heute in dieser Debatte; das haben wir auch vorher schon getan ? und einen eigenen Vorschlag zu unterbreiten. Den will ich Ihnen auch nennen; denn wir sind hier nicht im luftleeren Raum. Die Entsolidarisierung geht mit dem Vorschlag der Länder einher. Herr Troost, hier sind wir unterschiedlicher Auffassung. Es hat mich sehr gewundert, dass Sie jetzt gesagt haben, Sie fänden die Einigung der Ministerpräsidenten gut. Es ist das Gegenteil eines solidarischen Ausgleichs,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
weil die finanzstarken Länder überproportional von den Steuermehreinnahmen und der Finanzkraft profitieren würden. Es würde dort mehr Geld verbleiben, und die Unterschiede zwischen den Ländern würden größer werden.
(Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): So viel zur 33-jährigen Kenntnis des Bund-Länder-Finanzausgleichs! Mal richtig hingucken, Herr Troost!)
Damit der Ausgleich dann aber trotzdem noch irgendwie stattfinden könnte, müsste der Bund das Ganze bezahlen. Dann stößt der Bund aber irgendwann an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit.
Kollege Brinkhaus hat vorhin darauf hingewiesen, wie viel Unterstützung wir in dieser Legislaturperiode schon geleistet haben, insbesondere für Länder und Kommunen. Das hat es in keiner Legislaturperiode zuvor in diesem Ausmaß gegeben. Man stellt sich schon die Frage, wo wir hier eigentlich noch Bundespolitik machen. Wir brauchen die Handlungsfähigkeit des Bundes, damit er für die finanzschwachen Länder da sein kann. Deswegen braucht es auch einen solidarischen Ausgleich.
An dieser ganz entscheidenden Stelle, bei der Entsolidarisierung der Länder und dem Mehrbehalt bei den finanzstarken Ländern – letztendlich wird die Klage von Bayern und Hessen ja geführt, weil sie meinen, dass ihr Eigenbehalt bei Steuermehreinnahmen zu gering ist -, geht diese Einigung fehl. Sie geht zulasten des Bundes, weil in einem ersten Schritt, ab 2020, gut 10 Milliarden Euro zusätzlich vom Bund verlangt werden, ohne dass die Frage der Gegenfinanzierung thematisiert wird. Dieser Betrag soll dynamisch aufwachsen.
Vizepräsidentin Ulla Schmidt:
Herr Kollege Schneider, wenn Sie jetzt irgendwann einmal einen Punkt machen würden, dann könnte ich Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Troost gestatten.
Carsten Schneider:
Aber gern.
Vizepräsidentin Ulla Schmidt:
Bitte schön, Herr Kollege Troost.
(Johannes Kahrs (SPD): Der hatte doch gerade geredet!)
– Er darf trotzdem fragen, wenn er noch Wissensdrang hat.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
Dr. Axel Troost (DIE LINKE):
Es ist weniger Wissensdrang, sondern eher Aufklärungsdrang. – Zunächst ist es so, dass Ihre sozialdemokratische Finanzministerin aus Erfurt mit diesem Vorschlag schon sehr zufrieden war – so, wie auch die Vertreter aus meinem Land Brandenburg sehr zufrieden waren. Insofern kann er nicht ganz so schlecht und ungerecht gewesen sein.
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)
– Ja, doch, sonst hätten sie sich natürlich nicht damit einverstanden erklärt. Das ist doch logisch. –
(Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Sie müssen mal richtig hingucken, Herr Troost!)
Für meine Begriffe unterliegen Sie hier einem Irrtum.
Man hat sich auf den Vorschlag des Landes Nordrhein-Westfalen zum Umsatzsteuervorabausgleich eingelassen. Wenn man dann aber den normalen Bund-Länder-Finanzausgleich draufsetzte, hieße das natürlich, dass die Leistungen von Bayern und Baden-Württemberg 1,5 bis 2 Milliarden Euro höher ausgewiesen würden. Ich habe meinen Leuten im Osten gesagt: Das ist unverantwortlich. Denn egal, was man da 2019 über eine Excel-Tabelle ausrechnen würde – ab 2020 oder 2022 wüsste keiner mehr davon. Dann wird gesagt: Das kann doch nicht sein, dass so viel Geld aus unseren Haushalten in den Osten fließt. – Deswegen hat man das in einer Stufe miteinander verrechnet.
Wenn Sie sich die Unterschiede gegenüber dem anschauen, was es vorher in der Geschichte des Bund-Länder-Finanzausgleichs schon einmal gab, und betrachten, inwiefern es Zuwächse in den einzelnen Bundesländern gibt, dann stellen Sie fest, dass es im Ergebnis praktisch mit dem anderen Verfahren identisch ist. Das heißt, der zusätzliche Betrag, die 1,4 Milliarden Euro, kommt nicht durch den Ausgleichsmechanismus zustande, sondern resultiert aus anderen Forderungen. Darüber kann man möglicherweise reden.
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):
Herr Kollege Troost, ich bin mir nicht sicher, was die Frage war.
(Heiterkeit – Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Es war nur die Erkenntnis: Es wird eben nicht unsozial! – Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Du sollst das zur Kenntnis nehmen!)
– Nein, das nehme ich nicht zur Kenntnis, sondern dem widerspreche ich.
Erstens. Was die Einigung der Länder und die Einschätzung einzelner Vertreter der Länder betrifft – in den Ländern sind ja alle Farben dabei, auch Grüne und die Linkspartei, und sie haben diesem Vorschlag im Endeffekt zugestimmt -, halte ich für die SPD-Bundestagsfraktion fest, dass wir in der Einigung keine Fortentwicklung und Stabilisierung des solidarischen Ausgleichssystems erkennen, sondern eine Entsolidarisierung zulasten des Bundes.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Ich will es gerne noch einmal sagen: Der entscheidende Punkt ist nicht die Festsumme von knapp 10 Milliarden Euro – 8,5 oder 9,6 Milliarden Euro -, sondern die Dynamik des Ausgleichs. Wir haben bisher einen mehr oder weniger progressiv ansteigenden Ausgleichstarif. Dadurch, dass die Umsatzsteuerfestbeträge – bisher waren sie fest – dynamisiert würden, wäre der Länderanteil zulasten des Bundes größer. Der Eigenbehalt der Länder, insbesondere der finanzstarken, würde durch die Linearisierung des Ausgleichstarifs – zwischen „linear“ und „progressiv“ gibt es einen großen Unterschied – festgeschrieben, und vor dem Hintergrund der Belastung – ich glaube, sie haben sich auf 63 oder 67 Prozent geeinigt – gibt es ein geringeres Ausgleichsvolumen. Dementsprechend ist es eine Entsolidarisierung gegenüber dem bestehenden, jetzigen System.
Jetzt komme ich zu Frau Hajduk. Die letzten 39 Sekunden nutze ich, um zu sagen: Wir haben auf Grundlage des Grundgesetzes und der Verfassungsrechtsprechung ein ausgeurteiltes System, das sich bewährt hat. Es ist nur befristet, bis 2019. Es spricht aber, wenn man keinen besseren Vorschlag hat, nichts dagegen, den bestehenden Finanzausgleich zu entfristen und ihn mit der bisherigen Systematik weiterzuführen, kombiniert mit einer Initiative des Bundes, um den besonderen Finanzbedarf in den extrem finanzschwachen Ländern – Saarland, Bremen, ein Teil der ostdeutschen Länder – zu decken. Das wird notwendig sein, dazu sind wir auch bereit.
Dass der Bund gar nichts zusätzlich gibt, das wird nicht gehen. Aber dass wir quasi 10 Milliarden Euro auf den Tisch legen und dynamisch wachsende Ausgaben übernehmen, um die Ungleichheit zwischen den Ländern auszugleichen, das wird nicht gehen. Das wäre das Ende der Bundespolitik. Dann sind wir nur noch Notare im Bundestag und haben keinen eigenen Gestaltungsspielraum mehr. Das wollen wir als Sozialdemokraten nicht.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)