Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben die Haushaltswoche hinter uns. Die Debatten zum Haushalt 2011 wurden in unterschiedlicher Qualität und Intensität geführt. Wir führen die Debatten vor dem Hintergrund einer kritischen Situation auf den internationalen Finanzmärkten. Der Brand ist noch nicht gänzlich gelöscht und flackert immer wieder auf. Ein wichtiges Thema ist dabei die Staatsfinanzierung ? Stichwort: Irland ? in Europa. Darauf werde ich später noch eingehen.

Die Kernfrage ist, ob dieser erste schwarz-gelbe Haushalt und die Finanzplanung, die wir eben zur Kenntnis genommen haben, den Anforderungen, die das Grundgesetz mit der Schuldenbremse stellt, gerecht werden. Dabei sind auch die Verlautbarungen der Bundeskanzlerin auf europäischer Ebene von Bedeutung. Wir haben viel darüber debattiert, ob die Maßnahmen, die Sie getroffen haben, sozial gerecht und ausgewogen sind.

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Fragen Sie den Seeheimer Kreis, was der dazu sagt!)

Da muss ich Sie nicht weiter katholisch machen. Sie sind es nicht. Die Maßnahmen gehen eindeutig zulasten der Arbeitnehmer, der Arbeitslosen und der Rentner in diesem Land. Sie sparen zulasten der Zukunft. Sie lassen diejenigen, die die Krise verursacht haben, Spekulanten und Banken, vollkommen ungeschoren davonkommen. Das ist der große Fehler dieses Haushalts.

(Beifall bei der SPD)

Konsolidierung braucht ein gesellschaftliches Backing. Wir brauchen dazu die Unterstützung der Bevölkerung. Wir sehen in anderen Teilen Europas, wie kritisch die Situation sein kann. Die Unterstützung der Bevölkerung suchen Sie aber nicht. Sie haben vielmehr mit den Maßnahmen, was die Kürzungen im Sozialbereich betrifft, maßgeblich die Ideologie der FDP durchgesetzt. Wir tragen das nicht mit. Wir haben Anträge eingebracht, in denen wir klar dargelegt haben, wie wir die Schuldenbremse einhalten und wie wir für einen sozialen Ausgleich sorgen können. Das könnten wir durch die Einführung eines erhöhten Spitzensteuersatzes, die Einführung eines Mindestlohns und durch die Rücknahme der Steuergeschenke an Hoteliers und andere, die zu Beginn des Jahres hier im Deutschen Bundestag verabschiedet worden sind.

Ich will auf die Schuldenbremse zurückkommen. Der Bundestag nimmt das Budgetrecht als höchstes Recht des Parlamentes wahr. Ich habe in den letzten drei Monaten erlebt, dass die Koalitionsabgeordneten dieses Recht vollkommen aus der Hand gegeben haben. Der Bundestag ist aufgrund der nicht nachvollziehbaren Berechnungen des Finanzministeriums einer Selbstentmachtung einen weiteren Schritt entgegengegangen. Herzlichen Glückwunsch, FDP.

(Beifall bei der SPD – Otto Fricke (FDP): Gleichzeitig sagt ihr, wir haben zu viel geändert!)

Ich möchte zu dieser Frage, die ich wirklich für eine sehr grundsätzliche Frage halte ? es geht um die Gewaltenteilung zwischen Regierung und Parlament ? noch etwas sagen.

(Otto Fricke (FDP): Noch nie hat ein Parlament so viel geändert!)

Wir sehen hier kein selbstständiges Parlament mehr,

(Zurufe von der FDP: Oh!)

sondern wir stehen vor der Situation, dass Sie dem Bundestag Macht und die Fähigkeit, ein Gegengewicht zur Regierung zu bilden, entzogen haben. Sie haben das im Kern noch nicht einmal zur Kenntnis genommen.

(Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Erinnern Sie sich an das Jahr 2004!)

Wir werden zum Schluss namentlich abstimmen. Dem Berechnungsverfahren zur Schuldenbremse, die im Kern nichts anderes angibt als die maximale Höhe, die die Verschuldung erreichen darf, welches das Bundesfinanzministerium durchgeführt hat, trauen wir nicht. Sie alle können deshalb dem Bundesfinanzministerium das Vertrauen entziehen und haben heute die Gelegenheit, das Parlament zu stärken. Ich bin gespannt.

(Beifall bei der SPD)

Sie loben sich, Sie würden so stark konsolidieren.

(Otto Fricke (FDP): Sie kritisieren es ja!)

Zuerst war eine Kreditaufnahme von 80 Milliarden Euro geplant, jetzt liegt sie bei 50 Milliarden Euro. Ist das eigentlich Ihre Leistung, und ist das ausreichend? Ihre Leistung, Herr Fricke, ist es nicht. Das ist vielmehr konjunkturell bedingt. Es ist die Leistung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land und, mit Verlaub, zum Teil auch Ausfluss der Regierungspolitik ? ich erinnere an die Konjunkturprogramme ? der SPD.

(Beifall bei der SPD ? Otto Fricke (FDP): Und Helmut Schmidt! Vergessen Sie nicht Helmut Schmidt!)

? Dass Sie das nicht hören wollen, ist klar. Aber so viel zur Wahrheit.

Ich würde Ihnen empfehlen, einmal den Monatsbericht der Bundesbank vom November zu lesen. Normalerweise ist es so: Wenn Sie konjunkturell bedingte Mehreinnahmen haben, müssen Sie die zur dauerhaften Senkung der Kreditaufnahme nutzen. Das schreiben Sie im Übrigen ja auch den Griechen und einigen anderen ? ich meine, nicht zu Unrecht ? vor.

(Otto Fricke (FDP): Wir schreiben den Griechen gar nichts vor! Dieses wilhelminische Denken haben wir nicht!)

Was genau machen Sie aber? Dieser Haushaltsentwurf enthielt zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens eine höhere Kreditaufnahme. Die wird jetzt gesenkt. Konjunkturell bedingt ? also einfach dadurch, dass es besser läuft ? haben wir aber Mehreinnahmen von 11,2 Milliarden Euro bei Steuern und Zinsen bzw. Minderausgaben auf dem Gebiet des Arbeitsmarktes zu verzeichnen. Um wie viel sinkt jetzt die Kreditaufnahme? ? Um 9,1 Milliarden Euro. Sie, meine Damen und Herren, haben 2,1 Milliarden Euro während des Verfahrens verprasst. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD)

An dieser Stelle zitiere ich den Bundesbankbericht, der auch zum Thema Schuldenbremse sehr ausführlich ist:

Im Hinblick auf die neue Schuldenbremse ist kritisch zu beurteilen, dass offenbar bereits im ersten Jahr von einer konsequenten Umsetzung abgesehen wird.

Er führt weiter aus:

Da die krisenbedingten Belastungen für den Bundeshaushalt nun offenbar deutlich geringer ausfallen als befürchtet, ist der Ausgangswert und damit der Neuverschuldungsspielraum bis 2015 entsprechend niedriger anzusetzen.

Das tun Sie aber nicht. ? Weil es so profund ist, zitiere ich weiter:

Dadurch ergeben sich für die kommenden Jahre höhere Verschuldungsspielräume

? das ist die Kritik der SPD, die von der Bundesbank hier bestätigt wird, meine Damen und Herren ?,

bei deren Ausnutzung die notwendige Konsolidierung ? wie so oft ? in guten Zeiten auf künftige Jahre verschoben würde.

Meine Damen und Herren, Das ist Fakt, das beschließen Sie hier im Bundestag in zwei Stunden. Das geht vollkommen fehl. Man kann sich nicht in Europa als Schulmeister aufführen und zu Hause die Hausaufgaben nicht machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Otto Fricke (FDP): Wir führen uns nicht als Schulmeister auf!)

Ich zitiere weiter aus dem Bundesbankbericht:

Die klar dokumentierte Regelintention der neuen Schuldenbremse, die in der Währungsunion derzeit auch für andere Länder als Vorbild zur Sicherung tragfähiger Staatsfinanzen angesehen wird, würde damit gleich bei der ersten Anwendung in bedenklicher Weise übergangen und das Vertrauen in die langfristige Wirksamkeit der Reform entsprechend untergraben.

Meine Damen und Herren, das ist eine klassische Sechs für Ihre Finanzpolitik. Die taugt nichts, sie ist unsolide und unsozial.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Was hat der Herr Finanzminister in Bezug auf andere politische Fragen gemacht? Es gab viele Ankündigungen und kaum Ergebnisse. Was ist mit der Mehrwertsteuerreform? Es wurden eine Kommission eingesetzt und der Koalitionsausschuss damit befasst. Die brachten das Ergebnis: Darüber soll nicht entschieden werden. Bei der Gemeindefinanzreform kann er sich gegen die FDP nicht durchsetzen.

(Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zum Glück!)

Zusammenfassend stelle ich fest: Sie haben keinerlei Antworten.

Erwähnen muss ich noch den Punkt des systemischen Risikos der Landesbanken. Auf uns bzw. die Länder rollt ein mächtiger Tornado zu. Sie jedoch erwecken nicht mal den Anschein eines Versuchs, zu einem Gespräch einzuladen ? außer zu dem Kaffekränzchen, das Sie hatten ?, um hier eine Neuordnung zu schaffen. Denn es ist natürlich Aufgabe des Bundes, zumindest die Gesprächsführung in die Hand zu nehmen und die Betreffenden zu zwingen, ihre Probleme offen darzulegen. Dagegen ist Irland gar nichts. Auch da passiert nichts.

Wenn ich das alles unterm Strich nach einjähriger Arbeit, Herr Bundesfinanzminister, zusammenfasse, muss ich sagen, dass Sie den Ansprüchen, die Sie an sich selbst gestellt hatten und die in der Öffentlichkeit formuliert wurden, nicht gerecht werden. Im Gegenteil, Sie sind ein schwacher Finanzminister. Sie haben in wesentlichen Punkten versagt.

(Beifall bei der SPD)

Nur so kann ich mir erklären, warum die Bundeskanzlerin so kräftig an Ihnen festhält, denn was kann einem Kabinettschef Besseres passieren als ein Finanzminister, der keinen Ärger macht, sondern alles mehr oder weniger durchwinkt.

(Otto Fricke (FDP): Ach, Steinbrück hat keinen Ärger gemacht?)

Ich will aber noch zu dem zweiten Punkt, der uns bewegt, kommen, nämlich Irland bzw. die europäische Krise. Die Situation dort ist sehr kritisch. Sie haben uns im Mai ? im Rahmen einer Tröpfchentaktik ? erst das Problem Griechenland auf den Tisch gelegt. Dann haben Sie uns den Rettungsschirm vorgelegt, von dem Sie nicht wussten, dass er verabschiedet werden sollte. Frau Merkel, Sie sind nach Brüssel geflogen und sind überrascht worden. Dort ist ein Rettungsschirm über 750 Milliarden Euro verabschiedet worden; der entsprechende Gesetzentwurf zum Rettungspaket wurde dann hier in den Bundestag eingebracht. Die Kernaussage war: Die Summe ist so groß, und der Rettungsschirm wirkt allein dadurch so abschreckend, dass er nie in Anspruch genommen wird.

(Otto Fricke (FDP): Wer hat das gesagt? – Gegenruf des Abg. Dr. Peter Danckert (SPD): Sie müssen zuhören!)

? Das war die Aussage der Bundesregierung.

Jetzt stelle ich fest: Genau das passiert nicht. Die Abschreckung hat nicht funktioniert. Sie werden nächste Woche kommen und sagen: Irland braucht Geld. Wie wir uns verhalten werden, hängt davon ab, welche Konditionen Sie dort ausgehandelt haben werden. Die Fragen sind: Werden die Finanzmärkte gezähmt? Wer zahlt eigentlich die Zeche für die Krise? Ist unlauterer Steuerwettbewerb in der Europäischen Union weiterhin Konsens? Es bleibt also festzuhalten, dass dieser große Schirm, die Macht der großen Zahlen, an dessen Zustandekommen Sie nur gering beteiligt waren, dann aber letztendlich hier mit einer Woche Beratungszeit durchgepeitscht haben, nicht funktioniert hat.

Deswegen, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, Herr Finanzminister, gilt: Sie sind und bleiben Getriebene und Gehetzte der Märkte. Wir haben nicht das Primat der Politik, im Gegenteil. Auch wenn die Bundeskanzlerin das am Mittwoch behauptet hat, ist es de facto nicht so. Jede neue Ausweitung der Spreads, jede Ausweitung der Zinsspanne, führt zu Verunsicherung.

(Otto Fricke (FDP): Da siehst du mal, wohin uns elf Jahre SPD gebracht haben!)

Es hilft nichts ? ich weiß, dass Ihnen das wehtut, Herr Fricke ?,

(Otto Fricke (FDP): Nein, ich bin traurig über die SPD!)

hier immer wieder mit der Tröpfchentaktik zu kommen. Das wird zu keiner Beruhigung führen, weil nach Irland Portugal folgen wird. Das ist vollkommen klar. Danach wird man sich die Nächsten herausbrechen.

(Otto Fricke (FDP): Wissen Sie das?)

Es werden Spanien oder Italien sein. Die FAZ spekuliert darüber. Damit ist vollkommen klar: Dieser Schirm wird nicht ausreichen.

(Otto Fricke (FDP): Haben Sie darüber Kenntnisse?)

Deswegen ist es so, dass Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, bei der Regulierung der internationalen Finanzmärkte versagt haben. Nichts ist in Seoul durchgesetzt worden: keine Finanztransaktionsteuer auf europäischer Ebene, keine stärkere Bankenaufsicht. Es gab auch keine Antworten auf die elementaren Fragen, wie es insgesamt mit dem Euro weitergeht.

Meine Damen und Herren, das ist ernüchternd und erschütternd.

(Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Ihre Rede ist ernüchternd und erschütternd!)

Wir brauchen hier aber eine Bundesregierung, die weiß, was sie will, die einen klaren Fahrplan hat und die nicht so ungeschickt agiert, dass sie redet, bevor sie weiß, was sie will, was ja zu noch stärkerer Verunsicherung führt. Wir brauchen eine Bundesregierung, die führt. Ich hoffe, dass zumindest die Partner auf europäischer Ebene das Notwendige durchsetzen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

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