Die SPD-Fraktion legt heute den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Artikel 115-Gesetzes vor. Damit wollen wir nicht Ergebnisse der Finanzreform in Frage stellen oder verändern. Im Gegenteil, wir wollen durch Konkretisierungen im Gesetz erreichen, dass das, was der Gesetzgeber damals gewollt hat, auch tatsächlich vom Bundesfinanzminister umgesetzt wird. Denn dieser Bundesfinanzminister – der ja auch mal Verfassungsminister war – handelt Sinn und Geist der Regelungen der Schuldenbremse zuwider. Er will durch sinnwidrige Interpretationen der gesetzlichen Regelungen die gewollt stramme Schuldenbremse ausbremsen und sich einen doch noch möglichst großen Verschuldungsspielraum sichern.
Zum einen will der Bundesfinanzminister dadurch den Konsolidierungsdruck abschwächen. Weite Teile des sog. Sparprogramms vom vorigen Jahr sind nämlich nach wie vor nicht unterlegt. Wo ist denn das Konzept zur Einsparung bei der Bundeswehr? Wo ist denn das Konzept zur Einsparung bei der Bundesagentur für Arbeit? Wo ist denn der Gesetzentwurf zur Finanztransaktionssteuer, die ab 2012 gemäß Sparpaket eingeführt werden soll? Überall Fehlanzeige!
Zum anderen drängt sich ein Verdacht auf. Diese Koalition will dadurch, dass sie die Schuldenobergrenze so hoch wie nur möglich ansetzt, Spielräume für Steuersenkungen vor der nächsten Wahl schaffen. Solche Steuersenkungen wären nur auf Pump und nur durch Tricksereien bei der Schuldenbremse zu finanzieren. Und dagegen wehren wir uns mit dem vorgelegten Gesetzentwurf. Die grundlegende Konsolidierung des Bundeshaushalts ist notwendig und ohne Alternative. Deshalb muss die Schuldenbremse nach Geist und Sinn strikt eingehalten werden.
Worum geht es konkret? Der Bundesfinanzminister trickst vor allem bei der Festlegung des sogenannten strukturellen Defizits des Jahres 2010 als Ausgangswert für den Abbaupfad der Neuverschuldung bis 2016. Er trickst außerdem bei der Festlegung des konjunkturellen Anteils am Haushaltsdefizit. Mit dem Gesetzentwurf wollen wir ihn auf den Pfad der Tugend zurückholen und dies kommt nicht aus heiterem Himmel. Wir haben in vielen Sitzungen im Haushaltsausschuss und auch hier bei der Lesung des Bundeshaushalts im Parlament immer wieder gefordert, er möge sich an Geist und Sinn des Gesetzes halten. Dies war ohne jeden Erfolg und deshalb ist diese Gesetzesänderung notwendig.
Der Bundesfinanzminister soll verpflichtet werden, den Ausgangswert 2010 für den Abbaupfad bis 2016 an der tatsächlichen Entwicklung auszurichten und nicht willkürlich an dem im vorigen Sommer für 2010 erwarteten Wert. Das damals für 2010 erwartete Defizit lag bei 65 Mrd. Euro, das tatsächliche Defizit liegt jetzt bei 44 Mrd. Euro. Diese erfreuliche enorme Absenkung um 21 Mrd. Euro muss sich auch in einer entsprechenden Absenkung des Abbaupfades widerspiegeln. Das ist völlig plausibel und eigentlich selbstverständlich, denn der enorme Aufschwung in 2010 hat die Bundesfinanzen durch höhere Steuereinnahmen und geringere Arbeitsmarktausgaben erheblich verbessert. Diese Verbesserung wirkt als Sockeleffekt in die nächsten Jahre fort. Hingegen bekräftigt die Bundesregierung noch im Jahreswirtschaftsbericht, sie wolle bei ihrer Festlegung der Verschuldungsobergrenze für die Aufstellung des Bundeshaushalts 2012 und der Finanzplanung bis 2015 von dem völlig überhöhten Wert von 65 Mrd. Euro ausgehen.
Was bedeutet das für 2012 in Zahlen? Bei einem angenommenen Sockel von 65 Mrd. Euro in 2010 liegt die Schuldenobergrenze für 2012 um 11,5 Mrd. Euro höher als bei dem tatsächlichen Sockel von 44 Mrd. Euro. Eine solche Absenkung klingt zunächst nach viel und nach einem riesigen Problem für den Bundesfinanzminister. Der Eindruck ist aber falsch, denn diese Absenkung ist Folge der deutlich besser als erwarteten Wirtschaftsentwicklung, die auch den Bundeshaushalt 2012 wesentlich besser aussehen lassen wird als in der bisherigen Finanzplanung angenommen. Ich gehe von konjunkturellen Verbesserungen für den Bundeshaushalt 2012 von mindestens 15 Mrd. Euro gegenüber dem Finanzplan aus. Dies ist deutlich mehr als die beschriebene Absenkung der Obergrenze um 11,5 Mrd. Euro, die unser Gesetzentwurf zur Folge haben wird. Im Prinzip wird also nur der Spielraum eingedampft, den die Konjunktur geschaffen hat. Und dagegen wehrt sich BMF nun so vehement. Warum? Ich wiederhole: Sie wollen den Konsolidierungsdruck entgehen und bauen vor für Steuersenkungen auf Pump und das ist unverantwortlich.
Sie stehen dabei völlig alleine. Bislang habe ich niemand aus Wissenschaft oder Wirtschaft gehört, der ihre Auffassung zur Festlegung des Sockels 2010 teilt. Im Gegenteil haben Bundesrechnungshof, der Sachverständigenrat und die Bundesbank wie wir gefordert, von aktuellen Daten auszugehen. Die Bundesbank hat dies in ihrem letzten Monatsbericht nochmals ganz deutlich unterstrichen.
Auch bei der Berechnung der Konjunkturkomponente des Defizits hat der Bundesfinanzminister während des gesamten letzten Jahres getrickst, desinformiert bzw. nur scheibchenweise informiert. Der Haushaltsausschuss wurde regelrecht für dumm verkauft, wenn seitens des Bundesfinanzministeriums behauptet wurde, es brauche Monate, um auf ein neues Verfahren umzustellen. Institute und der Sachverständigenrat konnten dies binnen Stunden. Wir mussten lernen, dass BMF auch hier bei der Berechnung Ermessensspielräume hat, die im Extrem die Schuldenobergrenze um 6 bis 8 Mrd. Euro nach oben schieben können. Für mich als Parlamentarier ist das mit Blick auf das Budgetrecht nicht hinnehmbar. Der Bundesfinanzminister darf nicht solche Entscheidungsspielräume haben und damit dem Parlament die Schuldenobergrenze nach gusto diktieren. Wir hatten ihn deshalb schon während der Haushaltsberatung aufgefordert, die Berechnung der Konjunkturkomponente an eine unabhängige Institution, nämlich den Sachverständigenrat zu übertragen. Der Bundesfinanzminister hat dies persönlich im Haushaltsausschuss auch nicht abgelehnt und soll jetzt durch unseren Gesetzentwurf dazu verpflichtet werden.
Die SPD will, dass die Regelungen zur Schuldenbremse auf Punkt und Komma und nach Sinn und Geist eingehalten werden. Die Konkretisierung des Gesetzes wird dies garantieren.
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