Der neue Vorsitzende der sächsischen CDU-Landtagsfraktion, Christian Hartmann, hat ein „Faible für deutsche und europäische Geschichte“. So steht es auf seiner Internetseite. Er wird also Franz von Papen kennen, den konservativen Reichskanzler 1932. Von Papen meinte, die rechtsradikalen Kräfte der Weimarer Republik durch Einbindung zähmen zu können. Wie rücksichtslos die Feinde der Republik ihre politischen Ziele verfolgen würden, unterschätzte er fundamental. Gerade von einem Christdemokraten darf man deshalb eine besondere Sensibilität im Umgang mit der rechtsextremen AfD erwarten. Doch Christian Hartmann denkt nicht daran. Er hält sich eine Koalition mit der AfD „aus Respekt vor den Wählern“ bewusst offen – auch in einem weiteren ausführlichen Interview schließt er eine Koalition mit der AfD nicht aus. Wenn ein führender CDU-Vertreter so redet, hilft er kräftig mit, die AfD salonfähig zu machen.
Christian Hartmann verkündet die Annäherung an die AfD zu einem Zeitpunkt, an dem diese Partei ihre Maske endgültig fallengelassen hat. Auf den Demonstrationen Anfang September in Chemnitz verbrüderte sie sich mit Pegida und verschiedenen rechtsradikalen Gruppen. Auf dem gemeinsamen „Schweigemarsch“ lief vorne Björn Höcke, der Anführer des völkisch-nationalen „Flügels“ der AfD. Seit diesem öffentlichen Schulterschluss steht fest: Die AfD ist keine bürgerliche Partei, sondern der parlamentarische Arm der extremen Rechten in Deutschland. Die inhaltlich-programmatische Rechtsradikalisierung der AfD, die seit längerem zu beobachten ist, geht einher mit der organisatorisch-strukturellen Öffnung in Richtung des rechtsextremistischen Milieus.
Nun mag man einwenden, dass auf den Demos in Chemnitz nicht nur Neonazis, sondern auch ganz normale Bürger mitgelaufen sind. Ebenso gilt natürlich, dass nicht alle AfD-Wähler Fremdenfeinde und Nationalisten sind. Aber gebietet es deshalb der „Respekt vor den Wählern“ (Christian Hartmann), sich der AfD gegenüber zugewandt zu zeigen und – wie die CSU – teilweise sogar deren Positionen zu übernehmen? Natürlich nicht. Respektvoll gegenüber den Bürgern wäre es, die eigenen Werte und Überzeugungen offensiv zu vertreten. Respektvoll wären Rückgrat und Verlässlichkeit. Respektvoll wäre das offene Wort: Wer bei den Neonazis mitmarschiert, macht sich mit deren Sache gemein! Und wer die AfD wählt, der äußert keinen legitimen Protest, sondern stimmt für eine fremdenfeindliche Partei, die den Systemwechsel anstrebt! Genau deswegen kann die AfD auch kein demokratischer Koalitionspartner sein. Leider hat das Beschwichtigen und Relativieren gegenüber dem Rechtsextremismus gerade in der sächsischen Union seit Jahrzehnten Tradition. Anstatt weiter den Kotau vor der AfD zu machen, sollte sich die sächsische CDU von rechten Tendenzen endlich deutlich distanzieren.
Und auch auf Bundesebene müssen die beunruhigenden Entwicklungen rund um Chemnitz Konsequenzen haben für den Umgang mit der AfD. Seit einem Jahr sitzen die Rechtsnationalisten mit 92 Abgeordneten im Deutschen Bundestag. Die übrigen Parteien haben sie – nach dem Leitbild „abgrenzen ohne auszugrenzen“ – von Beginn an fair behandelt. Die Hoffnung war, dass die AfD sich an der parlamentarischen Arbeit konstruktiv beteiligen und an die Regeln des Bundestages halten würde.
Das Gegenteil ist eingetreten. Die AfD arbeitet im Parlament nicht mit, sondern missbraucht den Bundestag als Bühne für die eigene Social Media-Propaganda. Ihre steuerfinanzierten Fraktionsgelder konzentriert sie nicht auf die parlamentarische Arbeit, sondern betreibt künftig einen eigenen „Newsroom“, um den angeblichen „Fake News“ der klassischen Medien eigene Wahrheiten entgegenzusetzen. Im Plenum selbst versucht die AfD immer häufiger, rechtsextreme Kampfbegriffe salonfähig zu machen („entartet“, „Flüchtlingswelle“, „Bevölkerungsaustausch“). Dabei verknüpft sie jeden noch so speziellen Tagesordnungspunkt mit dem Zuwanderungsthema. Es passt ins Bild, dass die zahlreichen Verbindungen von Bundestagsmitarbeitern der AfD in die rechtsextreme Szene mittlerweile gut dokumentiert sind.
Aus diesem Grund sollte, was für die Straße gilt, auch für das Parlament gelten: Die demokratischen Kräfte müssen sich deutlicher als bislang von der Partei abgrenzen. Das betrifft erstens die Parlamentsdebatten. Weiterhin werden wir rassistischen, menschenfeindlichen oder geschichtsklitternden Äußerungen scharf entgegentreten. Zweitens muss der Verfassungsschutz die jüngste Radikalisierung der AfD genau analysieren und dann entscheiden, ob die Kriterien für eine formale Beobachtung erfüllt sind.
Drittens ist gerade die SPD aufgefordert, die AfD in der Sozial- und Wirtschaftspolitik zu demaskieren und die eigenen Vorstellungen für ein zukunftsfähiges, solidarisches Land in den Vordergrund zu stellen. Wie die aktuellen Debatten um Rentensicherung und Mietenstopp zeigen, hat die AfD keine eindeutigen Positionen und keine Problemlösungskompetenz. „Ausländer raus“ ist eben keine Antwort auf steigende Mieten, lange Wartezeiten beim Arzt oder die Personalengpässe in Schulen und Polizeibehörden. Angesichts dieser inhaltlichen Leere wirkt Alexander Gaulands jüngste Polemik in dieser Zeitung gegen die politisch prägenden Parteien dieses hochattraktiven Landes, in dem 99 Prozent der Weltbevölkerung mit Sicherheit gern leben würden, seltsam hohl.
Klare Kante statt Anbiederung gegenüber der AfD – so muss der gemeinsame Ansatz aller demokratischen Parteien lauten. Dies weiß auch Angela Merkel, die Christian Hartmanns Äußerungen widersprochen hat. Dass allerdings Unionspolitiker der CDU-Bundesvorsitzenden in dieser zentralen Frage auf der Nase herumtanzen, lässt für die künftige Strategiefähigkeit der Union nichts Gutes erahnen.
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