In einem Interview mit der Thüringischen Landeszeitung habe ich mich den Fragen von Hartmut Kaczmarek gestellt.

Die Euro- und Europaskepsis in der Bevölkerung ist groß, das Vertrauen schwindet. Was muss geschehen, um dieses Vertrauen wieder herzustellen?

Der Grundfehler ist, dass wir keine europäische Wirtschafts- und Finanzunion haben. Das macht uns angreifbar durch die Märkte.

Diesen Konstruktionsfehler werden Sie nicht schnell beheben können.

Sicher nicht. Aber man muss der Bevölkerung klar die Alternative aufzeigen: Entweder wir bleiben beim Euro oder wir gehen zurück zu nationalen Währungen wie der D-Mark. Ich bin dafür, dass wir beim Euro bleiben.

Warum?

Wir müssen klar machen, welche Vorteile wir durch den Euro haben.

Welche?

Wir müssen doch nur in die Schweiz blicken, um zu sehen, wie es bei einer alleinigen nationalen Währungen aussieht. Wir hätten zwar eine stabile, aber aufgewertete Währung. Die Folge: Unsere Exportwirtschaft und damit die gesamte Wirtschaft würden große Probleme bekommen.

Wir behalten den Euro, aber so kann es doch auch nicht weitergehen?

Die Bedingungen müssen sich dramatisch ändern. Wir sind an einem historischen Scheideweg.

Heißt konkret?

Wenn man den Euro behalten will, muss man bereit sein, nationale Souveränitätsrechte abzutreten. Das betrifft vor allem die Haushaltsautonomie. Das heißt konkret: Derjenige, der Geld haben will, muss sich Auflagen beugen.

Und Vertrauen auf den Markt?

Dieses Vertrauen ist verlorengegangen. Die Marktkontrolle hat beispielsweise in Griechenland total versagt.

Wie kann man den Bürgern eigentlich noch erklären, dass wir noch mehr Geld für die Rettung Griechenlands bereitstellen sollen?

Wir müssen bei dieser Entscheidung abwägen, welche die weniger kostenintensive Variante ist. Die Bundeskanzlerin hat zu Beginn der Griechenlandkrise behauptet, es würde uns nichts kosten. Dann waren wir bei 22 Milliarden, jetzt sind wir bei 211 Milliarden. Wir Politiker müssen den Menschen reinen Wein einschenken.

Auch über die Folgen einer Griechenland-Pleite?

Selbstverständlich. Das hätte unweigerlich Folgen für Italien und Spanien. Ein solches Szenario ist nicht zu bewältigen. Es würde Bankpleiten und eine tiefe Rezession zur Folge haben. Und die Kosten wären bei weitem höher als weitere Kredite für Griechenland.

Die Kanzlerin sagt: Retten wir Griechenland, bleibt der Euro zusammen, bleibt Europa zusammen. Aber wer soll das bezahlen?

Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder macht Griechenland eine harte Umschuldung. Das fordern die meisten Ökonomen. Auch ich halte das für zwingend. Die SPD fordert einen 50-prozentigen Gläubigerschnitt.

Das heißt, die Banken verlieren ihr Geld?

Die Banken haben den Großteil ihrer Verpflichtungen gegenüber Griechenland schon auf 50 Prozent abgeschrieben. Die Verluste sind also schon eingepreist.

Skeptiker prophezeien einen Bankencrash.

Das glaube ich nicht. Gefahren sehe ich nur für die griechischen Banken. Die müssten dann rekapitalisiert werden.

Die Folgen eines Schnittes wären beherrschbar?

Ich meine ja und viele Ökonomen sind der gleichen Meinung.  Bei einer 160prozentigen Staatsverschuldung wird Griechenland niemanden mehr finden, der dem Staat noch Geld leiht.

Aber die privaten Gläubiger werden doch schon beteiligt, sagt die Bundesregierung.

Das ist keine echte Beteiligung privater Gläubiger. Die tauschen 100 Prozent griechische Papiere alt gegen zu 100 Prozent von Europa garantierte Papiere. Das Einzige, was nicht garantiert ist, sind die Zinsen.

Das heißt doch, Banken und Versicherungen werden mit Steuergeldern gerettet. Ist das akzeptabel?

Auf keinen Fall. Auch die Bevölkerung akzeptiert das nicht.

Sie fordern ja schon langem stärkere Kontrollen auf den Finanzmärkten.

Wir brauchen eine Finanztransaktionssteuer, wenn man diese Gläubigerbeteiligung nicht will. Die FDP hat eine solche Steuer allerdings verhindert. Ich kann gut verstehen, dass die Bevölkerung darüber verärgert ist.

Finanztransaktionssteuer heißt…

Das ist eine Umsatzsteuer auf Finanzdienstleistungen, um Spekulationen einzudämmen.

Aber die Probleme Griechenlands wären damit nicht gelöst.

Nein. Mir geht es aber darum, dass nicht der Bürger für die Rettung Griechenlands zahlt, sondern diejenigen, die von der Stabilisierung Griechenlands enorm profitieren. Das gilt auch für diejenigen, die Staatsanleihen Italiens, Spaniens oder anderer Länder halten.

Der Kern ist doch das große Ungerechtigkeitsempfinden der Menschen.

Die soziale Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Deshalb müssen wir diejenigen, die mehr finanziell schultern können, auch stärker belasten. Das ist im übrigen auch der Kern des SPD-Steuerkonzeptes.

Hechelt die Politik nicht nur noch den Finanzmärkten hinterher?

Genau darum geht es. Wir als Politiker dürfen uns nicht von den Märkten beherrschen lassen, sondern müssen den Märkten unsere Regeln aufzwingen.

Sie betrachten das Ganze nüchtern-finanzpolitisch. Die CDU drückt derzeit auf die Emotionen in Sachen Europa.

Die Kanzlerin hat ihr Herz dafür spät entdeckt. In der Haushaltsdebatte 2011 hat sie dieses Bekenntnis zu Euro und Europa erstmals im Bundestag abgelegt. Vorher hat sie eher – beispielsweise bei einem Auftritt im Sauerland – die Stammtische bedient mit dem Schüren von Vorurteilen gegenüber Griechenland.

Sie finden eine solche Emotionalisierung gut?

Ich finde, man muss auf die Errungenschaften hinweisen, die wir in den letzten Jahrzehnten erzielt haben. Reisefreiheit, Niederlassungsfreiheit sind nur zwei davon. Entscheidend ist doch, dass wir es geschafft haben, dass Kriege hier in Mitteleuropa überhaupt nicht mehr denkbar sind.

Das reicht aber noch nicht.

Wir müssen die Ebenen unterscheiden. Es gibt die politische Ebene. Da müssen wir die Frage des Zusammenhalts in Europa klären. Es gibt die Frage von Krieg und Frieden. Und es gibt die Frage nach der Rolle Europas in der Welt.

China bietet schon Hilfe an…

… und keiner redet mehr über die Menschenrechte. Europa muss zusammenbleiben, wenn wir unsere humanistisch geprägten europäischen Werte exportieren wollen. Die Demokratien, auch in Amerika, erleben zur Zeit eine Schwächephase. Wir dürfen aber nicht zulassen, dass davon die Autokratien profitieren.

Wie teuer darf Europa für die Bürger werden?

Das ist nicht wirklich zu beantworten.

Es wird eine Lösung geben, die wird aber nicht billig.

Davon ist auszugehen. Ich bin aber auch der Überzeugung, hätte die Bundesregierung schon sehr viel früher klarer und eindeutiger gehandelt, wäre es billiger geworden. Die Bundeskanzlerin wusste lange nicht, was sie will. Und jetzt wird es teurer für uns.

Ex-EZB-Volkswirt Otmar Issinger hat vor einigen Tagen hier in Weimar eindringlich vor Eurobonds gewarnt. Die SPD ist dafür.

Das stimmt nicht.  Es gab in der SPD Diskussionen um Instrumente, aber es gab nie einen Beschluss für Eurobonds. Gemeinsame Haftung für die Schulden aller Länder kann nur dann funktionieren, wenn alle Länder einen gemeinsamen Haushalt haben, eine gemeinsame Finanzpolitik und einen gemeinsamen Finanzminister. Dazu muss man die Europäischen Verträge ändern. Das halte ich für die nächsten 5 bis 10 Jahre für ausgeschlossen. Das ist also ein Vorschlag, der aktuell nichts hilft.

Wenn man jetzt Ja sagt zu weiteren Griechenland-Hilfen: welche begleitenden Maßnahmen müssen denn unbedingt beschlossen werden?

Drei Dinge sind wichtig: Wir müssen das Instrumentarium, das ich für gut halte, jetzt beschließen. Die Summe wird aber nicht reichen. Die avisierten 440 Milliarden werden sehr schnell alle sein. Ich halte es für mutlos, das nicht schon jetzt so offen zu sagen. Zweitens: Mit reinen Sparprogrammen werden wir die Probleme der Welt nicht lösen.

Also Investitionshilfen?

Griechenland hat eine Herkulesaufgabe schon hinter sich. Das Land hat mehr gespart als wir es in Deutschland jemals getan haben. Die Agenda 2010 ist im Vergleich dazu nur eine Fußnote.

Aber das Land kommt nicht auf die Beine.

Deshalb brauchen sie bei allen noch notwendigen Spar-. und Strukturreformen auch Licht am Horizont. Das kann nur über die Europäische Union und von ihr unterstützte Investitionen kommen. 20 Milliarden Euro an Investitionen liegen auf Eis, weil Griechenland die Kofinanzierung nicht aufbringen kann. Nur eine finanzielle Roßkur nützt nichts. Griechenland braucht auch Impulse. Die Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer würde ich gerne teilweise für solche Investitionen genutzt sehen.

Also eine Art Marshallplan für Griechenland.

Ganz besonders für Griechenland, möglicherweise aber auch für den gesamten südeuropäischen Raum. Das sind auch Chancen für deutsche Unternehmen.

Brauchen wir stärkere Sanktionen?

Das ist der dritte Punkt.  Die Änderung des Stabilitätspaktes war notwendig. Die drei Prozent Neuverschuldung sind nicht mehr das einzige Kriterium. Es gibt auch andere, wie beispielsweise das Renteneintrittsalter. Eine weitere Forderung: ein nahezu ausgeglichener Haushalt. Das ist fast genau die Blaupause für die Schuldenbremse in Deutschland. Bisher fehlte nur ein Gremium, das bei Abweichungen auch Sanktionen beschließen kann. Ein solcher Vorschlag lag in Brüssel vor. Die Kanzlerin hat gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten allerdings den Automatismus aus diesen Sanktionen herausgenommen.

Für diese Herkulesaufgabe braucht man eine handlungsfähige Regierung.

Daran hapert es derzeit. Wir werden deshalb eher Neuwahlen haben als bislang gedacht.

„Die Bundesregierung darf nicht weiter beim Radwegebau kürzen und muss entsprechende Pläne zurücknehmen“, fordert Carsten Schneider, SPD-Bundestagsabgeordneter für Erfurt und Weimar, mit Blick auf die Ausschussberatungen zum Bundeshaushalt 2012. Nachdem CSU-Bundesbauminister Ramsauer bereits im Jahr 2010 kräftig an dieser Stelle gespart hatte, würden sich die Kürzungen auf insgesamt 40 Prozent innerhalb von drei Jahren belaufen.

„Es ginge auf Kosten der Sicherheit der Radfahrer, wenn im kommenden Jahr 20 Millionen Euro weniger für den Bau und die Erhaltung von Radwegen entlang von Bundesstraßen zur Verfügung stehen würden“, sagt Schneider, selbst begeisterter Hobbyradler und Mitglied im Allgemeinen Deutschen Fahrradclub.

„Vielen fahren am Wochenende mit den Fahrrad raus aus den Städten und legen oft längere Strecken zurück. Wenn entlang von Bundesstraßen aber keine Radwege existieren oder sie in einem schlechten Zustand sind, benutzen die Radler die Straße und riskieren so unnötigerweise ihre Gesundheit ein. Das muss nicht sein. Investitionen in das Radewegenetz sind daher sinnvoll, um das Unfallrisiko zu minimieren. Außerdem fährt es sich entspannter neben der Straße.“

In einem heutigen Artikel auf SPIEGEL ONLINE habe ich mich zur Frage „Sollen wir Griechenland pleitegehen lassen?“ geäußert.

 

Seit der letzten Mission von Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank und EU-Kommission im Juni steht fest, dass Griechenland überschuldet ist. Der IWF hat damals die für die Auszahlung weiterer Hilfen notwendige Schuldentragfähigkeit des Landes nur bescheinigt, weil die Euro-Zone ein zweites Griechenland-Paket grundsätzlich zugesagt hatte.

Weil sich die volkswirtschaftlichen Rahmendaten in Griechenland verschlechtert haben, wird das Volumen für dieses Paket nun nicht mehr ausreichen. Dieser Erkenntnis verweigert sich die Bundesregierung jedoch, weil es in der Folge offenbaren würde, dass das Volumen des Euro-Rettungsfonds EFSF auch angesichts seiner neuen Aufgaben und Möglichkeiten nicht ausreicht.

 

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„Gute Arbeit“ war das Thema einer Abendveranstaltung am 12.09.2011 im Erfurter „ver.di-Haus“ in der Schillerstraße. Gemeinsam mit dem Thüringer Minister für Wirtschaft, Arbeit und Technologie Matthias Machnig, dem Thüringer ver.di-Chef Thomas Voß und Gewerkschaftssekretär Thomas Schneider wurde über arbeitsrechtliche Probleme und Herausforderungen insbesondere mit Blick auf den Thüringer Einzelhandel diskutiert.

Prekäre Arbeitsverhältnisse haben in Thüringen zugenommen: 34 Prozent aller erwerbstätigen Thüringer verdienen unter dem von uns geforderten Mindestlohn. Allein 49 Prozent der Thüringer Frauen bekommen weniger als 8.50 € Stundenlohn . Generell muss in Thüringen eine andere Lohnpolitik einziehen. „Was Thüringen braucht ist ein Programm für Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt“, so Matthias Machnig. Ebenso forderte er zutreffend eine Diskussion über den Wert von Arbeit und eine Qualifizierungsoffensive  für die nächsten Jahre im Freistaat ein.

Anwesend waren neben Vertretern der Einzelgewerkschaften auch Betroffene aus dem Lebensmitteleinzelhandel, die sich mit gewerkschaftlicher Unterstützung erfolgreich gegen Mehrarbeit ohne Bezahlung, zu geringe Stundenentgelte für geringfügig Beschäftigte, Verweigerung der gesetzlichen Ansprüche gegenüber geringfügig Beschäftigen und gegen Mobbing und menschenverachtendes Verhalten durch Vorgesetze in den Märkten gewehrt haben. Diese Menschen, die Mut bewiesen haben, müssen  nach wie vor mit Repressalien rechnen. Um so mehr haben sie unseren Respekt und unsere Unterstützung verdient.

Gewerkschaften und vor allem auch die engagierten Arbeitnehmer in den Betrieben vor Ort haben gerade im Osten ehrliche und nachhaltige politische Unterstützung verdient. Den dazu notwendigen Dialog will ich deshalb noch weiter intensivieren. Denn das wichtigste Ziel sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik fordert eine gemeinsame Kraftanstrengung aller Akteure: Gute Arbeit für gute Löhne auf einem fairen Arbeitsmarkt.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Haushaltsdebatten in dieser Woche Revue passieren lässt und die Zeitungen liest, bekommt man den Eindruck, es ging um vieles – insbesondere bei der Koalition -, aber nur wenig um den Haushalt und die Lage in unserem Land 2012.

(Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): Das lag an euren Beiträgen! – Otto Fricke (FDP): Weil ihr nichts zu kritisieren gefunden habt!)

Wenn Redner von der Koalition gesprochen haben, dann ging es eher darum, eine Bindungswirkung herzustellen, damit sie noch irgendwie zusammenhält, vor allen Dingen bei der Euro-Frage. Das war der wirklichen Lage in Deutschland und in der Welt, wie sie sich am heutigen Tage darstellt, nicht angemessen. Ich sage das auch bezogen auf den Haushalt.

Wir befinden uns in einer sehr kritischen weltwirtschaftlichen Situation. Die OECD senkt weltweit die Wachstumsprognosen, auch für den Euro-Raum und für Deutschland. Herr Trichet, der EZB-Präsident, hat gestern – die Überschrift im heutigen Handelsblatt lautet: „Trichet steuert um“ – eher Leitzinssenkungen in Aussicht gestellt als weitere Erhöhungen. Auch die Wachstumsprognosen sind gesenkt worden. An den internationalen Finanzmärkten haben wir fast die gleiche Situation wie 2008, was die Nervosität des Interbankenmarkts und das Vertrauen der Banken untereinander betrifft. Diesen Eindruck habe ich insbesondere, wenn ich den Absturz des DAX sehe.

Wenn man das betrachtet und auch unsere Verantwortung berücksichtigt, wird deutlich, dass die Bundesregierung mit diesem Haushalt keine Antwort auf diese Situation gegeben hat. Es ist sicherlich richtig, dass es nicht Aufgabe der Bundesregierung ist, schwarzzumalen. Das wollen auch wir nicht. Aber es heißt doch: Jede revolutionäre Tat beginnt mit dem Aussprechen dessen, was ist.

(Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Lassalle!)

– Lassalle. Brüder im Geiste.

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Nachhilfestunden für Sozialisten!)

Deswegen gehört ein Blick in das Ist dazu.

Ich versuche das zu reflektieren, was hier in dieser Woche besprochen wurde und was diesem Haushalt zugrunde liegt. Dann sehe ich, dass Sie noch im Konjunkturhochsommer leben. Aber wenn der Herbst kommt, sind Sie überhaupt nicht darauf vorbereitet, in einer solchen Krisensituation zu handeln. Bisher galt: Unser Land hat sich gut entwickelt, und zwar trotz dieser Regierung.

(Bettina Hagedorn (SPD): Richtig!)

Ich mache mir ernsthafte Sorgen, was passiert, wenn es unserem Land einmal nicht so gut geht und wir immer noch diese Regierung haben.

(Beifall bei der SPD – Johannes Kahrs (SPD): Abwählen! – Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): Dann haben wir immer noch diese Opposition!)

Passen Sie auf: Sie haben in einer Situation, in der wir die höchsten Steuereinnahmen und das höchste Wirtschaftswachstum haben, für dieses Jahr einen Haushalt vorgelegt, der die drittgrößte Neuverschuldung vorsieht, die es jemals in der Bundesrepublik gab.

(Otto Fricke (FDP): Das stimmt doch gar nicht! – Gegenruf der Abg. Bettina Hagedorn (SPD): Doch! Natürlich stimmt das!)

Vieles hat eine Rolle gespielt. Sie haben es mit Ausweichmanövern versucht und gesagt, die Sozialdemokraten in NRW würden nicht sparen. Der Haushalt sei daher verfassungswidrig.

(Otto Fricke (FDP): Das hat das Gericht festgestellt!)

Ich habe mir das alles noch einmal genau angeschaut. Ich habe mir den Haushalt unter der Annahme angeschaut, dass wir noch die alten Schuldenregeln hätten. In NRW und allen anderen Bundesländern gilt sie derzeit noch, das heißt, dass die Kreditaufnahme nur so hoch sein darf wie die Investitionen. Wenn das so wäre, dann wären die Haushalte des Bundes 2010, 2011 und 2012 verfassungswidrig,

(Otto Fricke (FDP): Aber das gilt doch gar nicht mehr!)

weil Sie die Investitionen in einer Art und Weise kürzen, wie Sie es noch nie getan haben. Damit sparen Sie an der Zukunftsfähigkeit unseres Landes.

(Beifall bei der SPD – Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In Niedersachen bei Schwarz-Gelb ist es genauso!)

Ich komme zu den Landeshaushalten, weil ich die Argumente aufgreifen will, die Sie angeführt haben. Die Landeshaushalte von Niedersachsen, Hessen, Schleswig-Holstein und Saarland sind allesamt verfassungswidrig,

(Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Alles Schwarz-Gelb!)

und zwar in den Jahren 2009, 2010 und 2011.

(Bettina Hagedorn (SPD): Ja!)

Wer regiert dort eigentlich?

(Johannes Kahrs (SPD): Nicht mehr lange!)

Schwarz-Gelb, noch. Zu Ihrer Verantwortung haben Sie kein Wort gesagt. Warum ist das so? Warum sind die Länder in Gänze in einer so schwierigen Situation? Weil Sie gleich zu Beginn Ihrer Amtszeit mit einem Gesetz, dass Sie „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ genannt haben – der Volksmund sagt dazu:  „Hoteliersbegünstigungsgesetz“ oder „Mövenpickgesetz“ -, dafür gesorgt haben, das den öffentlichen Haushalten zweistellige Milliardenbeträge entzogen worden sind,

(Heinz-Peter Haustein (FDP): Stimmt doch gar nicht!)

die dafür hätten genutzt werden können, die Konsolidierung voranzutreiben. Sie haben das Gegenteil davon getan.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wer so fahrlässig handelt und es in den besten wirtschaftlichen Zeiten, die wir haben, was die Einnahmesituation betrifft, nicht schafft, die Kreditaufnahme deutlich zu senken – was Ihre Verpflichtung wäre, damit Sie auch in schlechten Zeiten agieren können; aber genau das tun Sie nicht –

(Zuruf des Abg. Otto Fricke (FDP))

– ich rede vom Bund -, der gerät sehenden Auges – ich vermute, es wird Sie in dieser Legislatur noch treffen – in die Situation, dass er nicht mehr handeln kann, wenn die Wirtschaft abschmiert. In diese Situation kommen wir, weil Sie den Gegenwartskonsum fördern, nicht in die Zukunft investieren und den Haushalt nicht in dem Maße konsolidieren, wie das notwendig wäre.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Barthle, es ist richtig: Wir haben dazu ein Konzept vorgelegt. Wir Sozialdemokraten wollen – dazu haben wir uns klar bekannt – die Schuldenbremse einhalten, wie der Bundesrechnungshof, die Bundesbank und der Sachverständigenrat das fordern und wir hier im Bundestag das übrigens auch beschlossen haben.

(Bettina Hagedorn (SPD), an die CDU gewandt: Und wie Sie es nicht tun!)

Das bedeutet für das Jahr 2012: 5 Milliarden Euro weniger Kreditaufnahme, als Sie sich gönnen. Sie haben, konjunkturell bedingt, 20 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen. Die Nettokreditaufnahme senken Sie um 13 Milliarden Euro. Das heißt: Sie haben 7 Milliarden Euro verprasst.

In den FDP-geführten Ressorts wurde eine Viertelmilliarde Euro zusätzlich verbucht. Wo ist eigentlich Ihr liberales Sparbuch geblieben?, frage ich mich da.

(Beifall bei der SPD – Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der Schublade!)

Ich sage das nicht einfach so im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung, sondern aus echter Sorge.

(Widerspruch bei der FDP)

– Ja. Hören Sie: 2009 konnten wir aus der Krise herauskommen, weil wir Vorsorge getroffen haben. Es hat uns geholfen, dass wir einen nahezu ausgeglichenen Staatshaushalt und bei der Bundesagentur für Arbeit eine Reserve in Höhe von 18 Milliarden Euro hatten. Sie tun das Gegenteil. Sie verprassen das Geld heute, sodass Sie später, wenn es kritischer werden könnte, keine Luft, um atmen zu können, und keinen Spielraum mehr haben werden, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen.

(Beifall bei der SPD – Bettina Hagedorn (SPD): Sie haben auch in die Rentenkasse gegriffen! – Johannes Kahrs (SPD): Pleitegeier!)

Dieser Haushalt ist nicht sozial gerecht, nix da! Vor einem Jahr hat dieses Kabinett nach einer Nachtsitzung in Meseberg – damals noch mit Herrn Westerwelle; lang sind die Zeiten her – ein Konsolidierungsprogramm mit einem Volumen von 80 Milliarden Euro vorgelegt. Real umgesetzt wurden 40 Milliarden Euro. Diese 40 Milliarden Euro betreffen zum größten Teil den Etat von Frau von der Leyen.

(Bettina Hagedorn (SPD): So ist es!)

Sie kürzen bei den Arbeitslosen in diesem Land, während die Vermögenden ungeschoren davonkommen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Norbert Barthle (CDU/CSU): Das stimmt doch nicht! Luftverkehrsteuer zum Beispiel!)

Das ist ungerecht.

Als Antwort darauf haben wir ein Steuer- und Finanzierungskonzept vorgelegt, einen Nationalen Pakt für Entschuldung und Bildung. Ja, Sie haben recht: Wir wollen den Spitzensteuersatz erhöhen.

(Bettina Hagedorn (SPD): Ja!)

Ab einem Einkommen von 64.000 Euro soll der Steuersatz sukzessive auf 49 Prozent steigen. Dieser Satz soll ab einem Einkommen von 100.000 Euro gelten.

(Otto Fricke (FDP): Abkassieren!)

Das trifft – das können Sie in der Süddeutschen und der FAZ nachlesen – die oberen 4 Prozent. Mit Verlaub, angesichts dessen, was wir an Risiken übernommen haben, um Banken und damit letztendlich auch Einkommen und Vermögen zu sichern – nicht nur deswegen haben wir das getan, aber das ist natürlich auch ein Punkt -, ist es nur gerecht, wenn wir das Angebot, das uns viele Millionäre in diesem Staat machen – sie wollen dem Staat ein wenig geben, damit er existieren kann -, annehmen. Das muss aber in Gesetzesform gegossen werden, wie es sich gehört. Hier müssen Recht und Gesetz gelten; Steuergerechtigkeit gehört dazu.

(Beifall bei der SPD)

Minister Schäuble hat in seiner Einführungsrede am Dienstag sehr viel über die Schuldenbremse gesprochen. Er hat gesagt, wie wichtig sie sei, insbesondere in den ersten Jahren. Ich habe hier wirklich schon oft dargelegt, dass Sie die Schuldengrenze untergraben, indem sie von falschen Werten ausgehen. Ich versuche in jeder Haushaltsausschusssitzung, ebenso wie die anderen aus meiner Fraktion, das anzubringen.

(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Das können wir bestätigen! Wir können es schon auswendig!)

Wir haben einen Gesetzentwurf eingebracht, der diese Schlupflöcher schließen würde. Aber Sie tun das Gegenteil.

(Bettina Hagedorn (SPD): Richtig!)

Sie behaupten hier zwar, dass Sie sich an die Schuldenbremse halten. Sie tun es aber, dem geballten Sachverstand dieser Republik zum Trotz, nicht. Sie bunkern 50 Milliarden Euro auf dem Kontrollkonto, die Sie für zusätzliche Kredite nutzen können, obwohl sie Ihnen nicht zustehen. Wenn Sie, Herr Minister Schäuble, diese Möglichkeit nicht nutzen wollen, erwarte ich von Ihnen, dass Sie hier, an dieser Stelle – Sie reden ja nachher noch -, klipp und klar sagen: Diese 50 Milliarden Euro werden wir niemals anrühren; deswegen werden wir dem gesetzlich einen Riegel vorschieben. Nur dann gilt es, und nur dann glaube ich es; denn Sie haben in den vergangenen zwei Jahren hier so viele Pirouetten gedreht, dass man Ihrem Wort an sich nicht mehr glauben kann.

(Beifall bei der SPD)

Hier war, insbesondere vonseiten der FDP, viel von der Schuldenbremse und davon, wie toll sie ist, die Rede; diese Ansicht teile ich. Ich habe mir einmal das Verhalten bei der Schlussabstimmung dazu angesehen. Ein einziger Abgeordneter der FDP hat zugestimmt; das war Florian Toncar. Alle anderen haben dagegen gestimmt oder sich enthalten. Das ist ein Armutszeugnis.

(Beifall bei der SPD)

Ich will hier noch ein paar Sätze zur Europäischen Union und zur Debatte über den Euro sagen; das hängt natürlich alles zusammen. Im Rahmen der Kritik, die hier vorgetragen worden ist – insbesondere am Mittwoch -, verstieg sich Herr Westerwelle zu der Aussage, die Änderung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sei der größte Fehler seit 1945; ich glaube, Herr Westerwelle, das haben Sie so gesagt. Größer geht es nicht. Ein bisschen Aufklärung ist an dieser Stelle notwendig.

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt sah so, wie er ausgestaltet war, vor, dass man sich 3 Prozent Defizit pro Jahr leisten konnte, egal, ob in guten oder in schlechten Zeiten; es waren immer 3 Prozent.

(Otto Fricke (FDP): Nein! Stimmt doch nicht!)

Ich sage Ihnen: Das war falsch. Gerade in guten Zeiten müssen Sie Vorsorge treffen, um in schlechten Zeiten Defizite machen zu können. Genau das sieht der neue Stabilitäts- und Wachstumspakt vor. Bei nahezu ausgeglichenen Haushalten, „close to balance“, muss in guten Zeiten sogar Vorsorge getroffen werden,

(Bettina Hagedorn (SPD): Ja, also jetzt! Genau!)

und das Geld darf nicht ausgegeben werden – Sie tun das Gegenteil; Sie brechen ihn gerade -, um in schlechten Zeiten agieren zu können.

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): 86 Milliarden Euro!)

Ich sage Ihnen: Wir Sozialdemokraten stehen dazu, und das steht im Übrigen auch im Grundgesetz.

(Beifall bei der SPD)

Denn dieser Pakt war das Vorbild für die Schuldenbremse. – Das sind also alles nur Abwehrkämpfe.

Frau Bundeskanzlerin, wenn wir Sozialdemokraten damals eines falsch gemacht haben – das will ich klar sagen -, dann war es, dass es damals keine Automatismen gegeben hat oder sie für die Bundeshaushalte nicht genutzt wurden. Aus Fehlern muss man lernen, und wir Sozialdemokraten tun das. Aus diesem Grund unterstützen wir die Kommission und das Europäische Parlament in dem Vorhaben, dass die Sanktionen demnächst immer automatisch verhängt werden sollen. Ich frage mich, warum Sie eigentlich in Deauville beim Spaziergang mit Herrn Sarkozy genau das wieder gestrichen haben. Genau das ist nämlich der Punkt. Sie fordern hier im Bundestag Sanktionen ein, und in Europa opfern Sie sie. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Das ist doch nicht ehrlich.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich hoffe, dass Sie in den Haushaltsberatungen noch Einsicht zeigen werden, sowohl bezüglich dieser Flanke der sozialen Ungerechtigkeit

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): So ein Quatsch!)

bei der Finanzierung, Kollege Michelbach, als auch bei den Ausgaben, insbesondere im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik, wo die Schwächsten der Schwachen jede Chance auf Hilfe von Ihnen, Frau von der Leyen, versagt bekommen werden. Die Umwandlung von Pflicht- in Ermessensleistungen ist nichts weiter als eine reine Kürzungsorgie zulasten der Schwächsten in dieser Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich hoffe, dass Sie mit uns dafür sorgen, dass die Vermögen in diesem Land ein Stück weit mehr dazu beitragen, dass dieses Land sicher, sozial ausgewogen und fortschrittlich ist, fortschrittlich insbesondere dadurch, dass wir notwendige Zukunftsausgaben im Bereich Bildung finanzieren und dass wir die zusätzlichen Mittel nehmen, um die Neuverschuldung für 2012 deutlich unter die von Ihnen gesetzte Marke zu senken, nämlich auf 22 Milliarden Euro statt auf 27 Milliarden Euro. Jeder Euro mehr Schulden wird dazu führen, dass wir in Zukunft bei steigenden Zinslasten noch höhere Belastungen haben werden, dass die Zukunftsfähigkeit, die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland eingeschränkt wird und dass wir irgendwann nur noch Ewigkeitslasten tragen. Das wollen wir Sozialdemokraten nicht. Deswegen stehen wir zu unserem Konzept, Mehreinnahmen bei den oberen 4 Prozent zu generieren, Schulden in den guten Jahren, wie wir sie gerade erleben, abzubauen und in die Zukunft zu investieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Situation in Europa und in Deutschland ist, was die wirtschaftliche und finanzielle Situation betrifft, fragil. Wir erleben Unsicherheiten an den Finanzmärkten wie den Absturz des DAX in den vergangenen Tagen und die Ausschläge bei den italienischen Staatsanleihen. Das zeigen auch Umfragen zu dem Thema, worin die deutsche Bevölkerung ihr größtes Problem und ihre größte Sorge sieht. Das sind nicht mehr wie früher die Arbeitslosigkeit oder andere Punkte, sondern es ist die Stabilität der Währung und der Staatsfinanzen. Das muss uns für die Arbeit an diesem Haushalt 2012 und der mittelfristigen Finanzplanung Mahnung und Leitplanke sein.

Herr Minister Schäuble, bei Ihrer Einbringungsrede hatte ich den Eindruck, dass sie eher an Ihre Koalition gerichtet war als an die deutsche Bevölkerung oder diese Parlamentsopposition. Denn die Zitate von Herrn Dahrendorf in Bezug auf die Verschuldung, das strukturelle Defizit und die Verwendung von konjunkturellen Mehreinnahmen schienen mir sehr stark in Richtung FDP und auch Teile der CDU/CSU zu gehen.

(Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): Das haben die auch so verstanden! – Gegenruf des Abg. Joachim Poß (SPD): Nein, das haben die nicht verstanden!)

Denn nicht erwähnt haben Sie, dass Sie mit dem Kabinettsbeschluss zum Haushalt ein Schreiben der drei Parteivorsitzenden vorgelegt haben – zwei davon saßen, glaube ich, auch mit am Kabinettstisch -, in dem zur Kenntnis gegeben wurde, dass Sie noch in diesem Herbst über Steuersenkungen entscheiden wollen.

(Otto Fricke (FDP): Ja! Das hat er doch gesagt!)

– Er hat aber nicht gesagt, wie er es finanzieren will. Die entscheidende Frage ist: Hält der Haushalt 2012 die von Ihnen hochgehaltene Schuldenbremse ein oder nicht?

(Otto Fricke (FDP): Um 10 Milliarden Euro!)

Dabei haben wir ganz entschieden einen Dissens.

(Otto Fricke (FDP): 10 Milliarden Euro drunter!)

Ich habe vorhin die Deutsche Bundesbank angesprochen. Mit Verlaub, es geht nicht nur um die Deutsche Bundesbank, sondern auch um den Bundesrechnungshof und den Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Lage. Alle drei plus die SPD sind der Auffassung, dass Sie die Schuldenbremse nicht so einhalten, wie wir sie im Bundestag beschlossen haben.

(Beifall bei der SPD – Otto Fricke (FDP): Doch!)

– Das tun Sie eben nicht. Deswegen sind Sie kein Vorbild für Europa, wenn Sie so wie hier in Deutschland in den ersten Jahren der Anwendung die Schuldenbremse verletzen. Wenn andere europäische Länder das machen würden, dann würden Sie ihnen verbal die Ohren langziehen.

(Beifall bei der SPD – Otto Fricke (FDP): Wir sind doch selbst darunter! Das ist schlicht gelogen!)

Warum tun Sie das nicht? Sie liegen allein im Jahr 2012  5 Milliarden Euro über dem, was maximal zulässig wäre. Ich will Ihnen auch sagen, wo sie geblieben sind.

Wir sind uns völlig einig, dass die konjunkturelle Lage exzellent ist. Wir Sozialdemokraten sind die Letzten, die sich darüber ärgern würden. Wir freuen uns.

(Otto Fricke (FDP): Das haben wir aber bisher kein einziges Mal gehört!)

Denn, mit Verlaub, wir haben einen kleinen Anteil daran. Wir freuen uns mit den Deutschen, die zusätzliche Arbeitsplätze bekommen, und mit den Unternehmen, die Aufträge haben und Steuern zahlen. Darüber sind wir froh.

(Dr. Volker Wissing (FDP): Aber Sie stänkern den ganzen Tag herum!)

– Das ist aber nicht Ihr Verdienst, Herr Kollege Wissing.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es ist vielmehr das Verdienst der fleißigen Menschen in Deutschland.

Gegenüber dem letzten Finanzplan zeigt die aktuelle Lage, dass es eine konjunkturelle Verbesserung gibt: 14,5 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen und 5 Milliarden Euro weniger Ausgaben für den Arbeitsmarkt. Das macht knapp 20 Milliarden Euro.

Sie senken die Neuverschuldung aber nicht um 20 Milliarden, sondern nur um 13 Milliarden. Wo sind diese 7 Milliarden Euro geblieben? –

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Bernd Scheelen (SPD): Das wollen wir wissen!)

Ich höre nichts.

(Norbert Barthle (CDU/CSU): Finanztransaktionsteuer, Kernbrennstoffsteuer!)

– Aha. Damit sind wir beim entscheidenden Punkt: Ihren Maßnahmen, die wir schon immer als Luft und Wolken, als Wolkenkuckucksheim kritisiert haben. In Ihren vor einem Jahr präsentierten Meseberg-Beschlüssen haben Sie mit großem Auftritt Einsparungen in Höhe von 80 Milliarden Euro angekündigt. Die Hälfte ist übriggeblieben. Es werden nur 40 Milliarden Euro eingespart.

Wo werden diese 40 Milliarden Euro eingespart? Sie haben einzig und allein bei den sozial Schwächsten zugelangt.

(Beifall bei der SPD)

Das sind die Maßnahmen, die durchgegangen sind. Alle anderen Maßnahmen, die Sie beschlossen hatten, sind weggefallen.

(Norbert Barthle (CDU/CSU): Das stimmt nicht!)

Deswegen fehlt Ihnen das Geld, lieber Kollege Barthle. Deswegen machen Sie zu hohe Schulden in der konjunkturell besten Zeit, die wir jemals in Deutschland gesehen haben, mit den höchsten Steuereinnahmen, die es in Deutschland jemals gab, und dem besten Wachstum. Der Höhepunkt war zuletzt 2008. Wir liegen 2012 deutlich höher als 2008. Trotzdem betreiben Sie die dritthöchste Neuverschuldung, die es jemals gegeben hat. Meine Damen und Herren, das ist kein Ruhmesblatt, das ist ein Armutszeugnis.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister Schäuble, ich habe mir den Bundesbankbericht vom Mai 2011 extra herausgesucht. Der Bundesbankpräsident, Herr Weidmann, ist im Kabinett anders aufgetreten. Er hat es aber nicht öffentlich gemacht, obwohl ich ihn darum gebeten habe. Er tat es nicht, warum auch immer. Es geht in dem Bundesbankbericht um einen Sicherheitsabstand, von dem Sie, Herr Kollege Barthle, immer sagen, dass Sie seine maximale Höhe nicht ausschöpfen würden.

(Norbert Barthle (CDU/CSU): So ist es!)

– Das stimmt. – Aber Sie haben die maximale Höhe zu hoch angesetzt. Das ist das Problem. Ich zitiere nun die Bundesbank:

Ein solcher Sicherheitsabstand sollte aber nicht dadurch geschaffen werden, dass die Obergrenze durch eine problematische Auslegung gedehnt wird. Gerade dies scheint allerdings angelegt zu sein, da in den derzeitigen Planungen als Ausgangspunkt der Obergrenze für den strukturellen Defizitabbaupfad von 2011 bis 2016 – entgegen der Intention der Schuldenbremse – ein veralteter und deutlich überhöhter Schätzwert für das strukturelle Defizit des Jahres 2010 verwendet wird. Hierdurch

– Achtung! –

ergeben sich zusätzliche Verschuldungsspielräume von kumuliert rund 50 Mrd €.

(Beifall bei der SPD – Sören Bartol (SPD): Hört! Hört!)

Wir haben hier im Juni einen Gesetzentwurf zur harten Auslegung der Bestimmungen über die Schuldenbremse vorgelegt. Sie haben dem nicht zugestimmt. Herr Kollege Barthle, Sie waren im Haushaltsausschuss, als ich den Punkt betreffend die 50 Milliarden Euro erwähnt habe. In der Anhörung hatte die Bundesbank dies dargestellt, und ich habe es mir zu eigen gemacht. Sie haben gesagt: Wir lösen das Problem. – In der Schlussberatung war davon nichts mehr zu hören. Sie wissen, dass Sie über eine Kriegskasse von 50 Milliarden Euro verfügen, also noch Pfeile im Köcher haben, und diese Kriegskasse erhalten Sie sich. Das aber ist das Gegenteil von solider Finanzpolitik und von Transparenz, die Sie sich heute hier bescheinigen.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege Schneider, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke?

Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):

Gern.

Otto Fricke (FDP):

Herr Kollege Schneider, wir alle hier im Parlament wissen, dass Sie seit zwei Jahren darauf herumreiten, dass man für die Schuldenbremse, die Sie selber beschlossen haben, die aber anscheinend Ihrer Meinung nach nicht präzise genug formuliert war, eine andere Interpretation findet. Ich stimme Ihnen zu: Wenn es um Berechnungen geht, deren Grundlagen nicht genau definiert sind, kann man unterschiedlicher Meinung sein. Ich gehe davon aus, dass auch hinter Ihrer Intention ein guter Wille steckt. Deswegen frage ich Sie: Wie hoch hätte die Neuverschuldung im Jahr 2011 nach Ihrem Modell sein dürfen und wie hoch darf sie im Jahr 2012 sein, wenn Sie das so genau wissen?

Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):

Herr Kollege Fricke, im Jahr 2012 muss sie nach unserer Berechnung zwischen 21,5 Milliarden Euro und 22 Milliarden Euro liegen. Nach Ihrer Berechnung liegt sie bei 27 Milliarden Euro im Jahre 2012.

(Otto Fricke (FDP): Wir haben das noch nicht beschlossen!)

Ich komme gleich zu unseren Vorstellungen im Einzelnen. Im Rahmen der Haushaltsberatungen werden wir Ihnen klipp und klar unsere Vorschläge vorlegen, um die Verschuldung in dieser Größenordnung abzubauen. Es ist richtig, was Herr Minister Schäuble sagte. In der ersten Anwendungsphase der Schuldenbremse schreiben Sie die Geschichte für die nächsten Jahrzehnte. Diese Schuldenbremse haben die meisten hier im Parlament beschlossen. Sie dehnen jetzt den Interpretationsspielraum in dem entscheidenden Punkt des Kontrollkontos aus und bunkern 50 Milliarden Euro.

(Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister: Wir nutzen sie doch nicht!)

– Herr Kollege Schäuble, dann legen Sie einen entsprechenden Gesetzentwurf vor, der vorsieht, dass Sie den Spielraum nicht nutzen. – Ich habe im Haushaltsausschuss dem Staatssekretär exakt die Frage gestellt, ob der Betrag genutzt wird oder nicht. Wenn er nicht genutzt wird, dann können Sie es hier erklären und das rechtlich absichern. Genau das aber tun Sie nicht.

(Otto Fricke (FDP): Wir haben es im Ausschuss gesagt!)

– Verbale Äußerungen sind etwas anderes als rechtlich abgesicherte Festlegungen. – Sie haben den Spielraum, ob Sie ihn nutzen oder nicht. Das haben Sie im Haushaltsausschuss zugegeben. Ich behaupte: Sie werden ihn nutzen, weil Sie Ihren Steuersenkungs- und Entstaatlichungsphantasien auf den letzten Drücker nachgeben werden, auch um der FDP etwas entgegenzukommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das sagen wir die ganze Zeit.

(Otto Fricke (FDP): Sie behaupten, wir lügen!)

Ich glaube, das wird so geschehen, weil Sie alle Versprechen letztendlich brechen.

Ich habe bereits vorhin gesagt, dass das Thema Staatsfinanzen in der Bevölkerung wahrscheinlich viel bedeutender als früher ist. Wir, die SPD, haben uns entschlossen – Sie haben uns das vorher nicht geglaubt -, in den nächsten Jahren einen sehr strikten, konsequenten Weg zu gehen; wir sehen den Abbau der Neuverschuldung, die Konsolidierung des Staatshaushalts als einen unserer Hauptpunkte. Deswegen hat der Parteivorstand der SPD gestern ein Programm für die Jahre bis 2016 beschlossen, das nur zwei Schwerpunkte beinhaltet: erstens den Abbau der Staatsverschuldung – was wir planen, ist härter und ehrgeiziger als das, was Sie vorlegen

(Bettina Hagedorn (SPD): Ehrgeiziges Ziel!)

– und zweitens die Stärkung des Bereichs Bildung.

(Bettina Hagedorn (SPD): Ja!)

Wir wollen etwas für die Flanke tun, die Sie – entweder die CDU allein oder nur die FDP – ignorieren. All die Krisen, mit denen wir es jetzt zu tun haben – Staatsfinanzierungskrisen, Neuverschuldung -, haben ihre Ursache in den extremen Spekulationen auf den Finanzmärkten. Infolgedessen mussten erst Banken und müssen jetzt Länder gerettet werden.

(Otto Fricke (FDP): Der Grund ist die Verschuldung!)

Die Vermögenden, diejenigen, die über ein hohes Einkommen verfügen, haben von diesen Rettungen enorm profitiert; denn nur sie konnten auch etwas verlieren. Es wurde somit auch ein Beitrag zur Stabilität ihrer Einkommen geleistet. Die Reichen müssen nun einen Beitrag zur Krisenbewältigung leisten. Deswegen schlagen wir vor, dass die oberen 4 Prozent der einkommensteuerpflichtigen Haushalte in Deutschland einem höheren Steuersatz unterliegen. Das ist einer von vielen unserer Vorschläge.

Außerdem wollen wir einen Vorschlag zum Subventionsabbau machen; wir haben das schon detailliert besprochen. Wir bieten Ihnen an, auf unser Angebot einzugehen. Man sollte nicht einseitig Verschuldung betreiben oder bei den sozial Schwächsten kürzen.

(Bettina Hagedorn (SPD): Ja!)

Ich komme zum Schluss. Sie haben eine neue Euro-Expertin; sie ist leider schon gegangen. Sie hat sehr abenteuerliche Vorstellungen, was Gold und andere Dinge betrifft. Ich bin der Meinung, Frau von der Leyen sollte sich lieber um diejenigen kümmern, für die sie Verantwortung trägt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie stiftet nur Verwirrung. Verantwortung trägt sie vor allen Dingen für die Langzeitarbeitslosen. Mit Blick auf die Ausgaben will ich klar sagen: Das, was Sie im Bereich der beruflichen Weiterbildung und Qualifikation kürzen, fehlt, um diejenigen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, die auf dem gespaltenen Arbeitsmarkt keine Chance haben. Wer zulässt, dass stattdessen Fachkräfte aus dem Ausland geholt werden, der versündigt sich an den hiesigen Arbeitslosen, und das werden wir nicht mitmachen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

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Heute habe ich in Berlin gemeinsam mit Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Joachim Poß ein finanzpolitisches Konzept mit dem Titel „Nationaler Pakt für Bildung und Entschuldung. Wir denken an morgen!“ vorgestellt. Es setzt die Schwerpunkt bei Schuldenabbau, Bildungsinvestitionen, Stärkung der sozialen und kulturellen Handlungsfähigkeit der Städte und Gemeinden sowie Investitionen in Forschung und Entwicklung. Entlang dieser Prioritäten wird die SPD ihre Finanzpolitik künftig ausrichten.

„Ich erwarte eine klare Zusage von CSU-Bundesbauminister Dr. Peter Ramsauer, den altersgerechten Wohnungsumbau über das Jahrsende hinaus weiter zu fördern. Die Bundesmittel für das KfW-Programm ‚Altersgerecht Umbauen‘ dürfen nicht wie geplant auslaufen, sondern müssen für die kommenden Jahre fortgeschrieben werden. Dafür muss sich auch Thüringens CDU-Bauminister Christian Carius einsetzen“, fordert der SPD-Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider mit Blick auf die in der kommenden Woche beginnenden Beratungen zum Bundeshaushalt 2012.

„In Thüringen sind bisher über das Programm rund 20 Millionen Euro vom Bund in barrierefreie und bedarfsgerechtere Wohnungen und Häuser investiert worden,“ nennt Schneider aktuelle Zahlen. „Angesichts unserer immer älter werdenden Gesellschaft ist für mich nicht nachvollziehbar, warum die Bundesregierung diese sinnvolle Zukunftsinvestition streichen will.“

„Je mehr zu Hause barrieregerecht umgebaut wird, desto mehr Ältere können länger in ihren eigenen vier Wänden und der vertrauten Umgebung wohnen bleiben. Weniger Senioren müssten künftig in Alten- und Pflegeheime umziehen. Außerdem würden die notorisch klammen Kommunen von Pflegekosten entlastet.“