Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal etwas Verbindendes. Herr Kollege Barthle, es ist richtig: Wir haben im Bundestag im Jahr 2009 unter Federführung eines SPD-Finanzministers gemeinsam die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert. Der Hintergrund war, dass es uns seit 1969 unter verschiedenen Koalitionen nicht mehr gelungen ist, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Deswegen kam es zu der Übereinkunft – sie ist vor dem Hintergrund der Staatsschuldenkrise, die Europa seitdem erreicht hat, wie ich glaube, noch verbindlicher -, uns konstitutionell, also in der Verfassung, einen engeren Rahmen zu setzen. Dieser Beschluss gilt.
Nun befinden wir uns in der ersten Phase der Anwendung der Schuldenbremse. Es ist teilweise kompliziert, sie zu verstehen; denn sie hat sehr viel mit makroökonomischen Daten, die der Bevölkerung und manchmal auch dem Kollegenkreis nur schwer zu erklären sind, zu tun.
In der Analyse des ersten Jahres kommen wir als SPD-Fraktion in Anbetracht dessen, was Sie und Ihr Bundesfinanzminister vorgelegt haben, zu dem Ergebnis, dass die jetzige Regelung Lücken aufweist. Die Lücken bestehen insbesondere darin, dass man den Abbaupfad von seinem Startpunkt bis zu seinem Endpunkt manipulativ handhaben kann. Ich mache diesen Vorwurf ungern, aber genau das tun Sie.
Entgegen dem gesamten finanzwissenschaftlichen Sachverstand vom Bundesrechnungshof, von der Bundesbank und dem Sachverständigenrat halten Sie an veralteten Zahlen fest. Diese veralteten Zahlen vom Juni 2010 führen dazu, dass Sie im Rahmen der Anwendung der Schuldenbremse, so wie Sie sie planen, zusätzliche Kredite in Höhe von 50 Milliarden Euro aufnehmen können.
(Otto Fricke (FDP): Könnten!)
– Können.
(Otto Fricke (FDP): Nein! Könnten! Das kleine T und seine großen Folgen!)
Wir als SPD-Fraktion sind folgender Auffassung: Der Geist der Schuldenbremse sieht vor, dass man sich die derzeitige Situation ansieht. Das heißt, dass man die Zahlen vom Ende des Jahres 2010 heranziehen muss. Da war das Defizit viel geringer, weil wir eine exzellente wirtschaftliche Lage hatten. Von da an muss man den Pfad nach unten gehen. Dies tun Sie aber nicht. Sie hätten heute die Gelegenheit, das, was Sie eben hier behauptet haben, umzusetzen und gesetzlich bzw. rechtlich verbindlich zu machen.
Bei uns besteht Argwohn darüber, dass Sie diese zusätzlichen Kreditermächtigungen von 50 Milliarden Euro – das sind Zahlen der Deutschen Bundesbank, nicht der SPD-Fraktion – nutzen werden und wollen.
(Otto Fricke (FDP): Aha! Jetzt doch!)
– Lieber Kollege Fricke, ich habe den Bundeswirtschaftsminister so vernommen. Ich werde ihn gleich noch zitieren. – Sie wollen diese 50 Milliarden Euro nutzen, um der FDP und der Koalition wahrscheinlich im Jahr 2013 – das ist naheliegend; das ist ein Wahljahr – mit zusätzlichen Steuersenkungen zu helfen. Dem Land werden sie aber zusätzliche Schulden hinterlassen.
Deswegen sage ich Ihnen ganz klar: Jede Steuersenkung auf Pump – wir werden 2013 ohnehin neue Kredite aufnehmen müssen – ist eine Steuerentlastung, die wieder zurückkommen wird; denn Sie werden noch mehr Zinsen zahlen und die Steuern letztendlich erhöhen müssen. Das wollen wir nicht mitmachen.
Wir als SPD-Fraktion stehen für eine klare, transparente und solide Finanzpolitik. Aus diesem Grund wollen wir dem Entscheidungsspielraum, den sich der Bundesfinanzminister gesichert hat – denn er kennt seine Koalition und seine Kombattanten -, um 2013 – das ist meine Vermutung – Steuersenkungen auf Pump zu finanzieren, einen Riegel vorschieben. Wenn Sie Ihre Sonntagsreden tatsächlich ernst meinen, dann könnten Sie heute unserem Vorschlag zustimmen. Das wäre ganz einfach.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das tun Sie aber nicht, weil Sie diesen Spielraum bewusst bestehen lassen wollen, obwohl eine breite Mehrheit im Bundestag die Schuldenbremse, die eine Neuordnung der finanzpolitischen Situation und Einlassungen mit sich bringen sollte, beschlossen hat. Sie verspielen auf diese Weise Glaubwürdigkeit und politische Unterstützung; dies werfe ich Ihnen vor. Sie verspielen sie langfristig, nicht nur in der Bevölkerung, sondern wahrscheinlich auch im Parlament. Denn wenn man schon bei der ersten Anwendung des Ernstfalls schummelt, wenn man Spielräume nutzt, die einem durch eine gute Konjunktur in den Schoß fallen, und wenn man die Neuverschuldung nicht konsequent abbaut, damit wir aus der Abhängigkeit von den Finanzmärkten herauskommen und das Primat der Politik endlich wieder etwas gilt, dann ist das ein Armutszeugnis für diese Regierung und letztendlich – das mache ich Ihnen zum Vorwurf – für das Parlament. Denn das Budgetrecht des Parlaments ist unser Kernrecht. Es ist in vielen Fragen über den europäischen Bereich bereits ausgehöhlt. Sie aber billigen dem Bundesfinanzminister einen Spielraum zu und nehmen ihn sich selbst. Es ist schon atemberaubend, wie schnell Sie sich von finanzpolitischer Solidität verabschiedet haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Um das zu unterstreichen, habe ich hier ein Zitat von Herrn Vizekanzler Rösler aus der Welt vom 24. Juni 2011. Er sagt:
Eine konkrete Steuersenkungsperspektive ist ein wichtiges Mittel, um weitere Ausgabenwünsche abzuwehren, und kann so helfen, den Haushalt tatsächlich nachhaltig zu konsolidieren.
Das ist schon Dialektik. Man will die Steuern senken, also die Einnahmen reduzieren, um den Haushalt zu konsolidieren. Das verstehe ich nicht ganz; das muss ich aber auch nicht.
Ich will nur sagen: Wenn ich mir Ihre mittelfristige Finanzplanung, Stand 2010, und die Eckpunkte für 2012 anschauen – nächste Woche wird ja im Kabinett der Beschluss gefasst -, dann muss ich feststellen: Sie haben allein auf der Ausgabenseite 18 Milliarden Euro Mehrausgaben, weil Ihr Sparpaket, das Herr Kollege Barthle hier gerade so schön dargestellt hat, nur in einem Punkt gegriffen hat, nämlich da, wo es die sozial Schwächsten trifft.
(Bettina Hagedorn (SPD): Genau!)
Das haben Sie konsequent umgesetzt. Der Rest sind Luftbuchungen. Die Finanztransaktionsteuer kommt nicht vor; sie ist mittlerweile herausgebucht.
(Norbert Barthle (CDU/CSU): Luftverkehrsabgabe!)
Das Gleiche gilt für die Brennelementesteuer etc. All dies kommt nicht.
Ich will jetzt nicht auf die Bundeswehrreform eingehen, Herr Kollege Barthle. Ich schätze ja Herrn de Maizière sehr. Aber das Stückwerk, das er von Herrn zu Guttenberg übergeben bekommen hat, führt dazu, dass von den Einsparungen in Höhe von 8 Milliarden Euro 5 Milliarden nicht verwirklicht werden können, was sich jetzt hier niederschlägt.
Dass die FDP darüber sauer ist, kann ich verstehen; denn ihre Entlastungsperspektive ist dadurch vollkommen weg. Dass jetzt aber Geschäfte zulasten des Staates gemacht werden – der eine bekommt mehr Geld zum Ausgeben, der andere bekommt es im Wege von Steuersenkungen -, wodurch im Endeffekt die Schulden steigen und die Kredite in einer historischen Situation, in der wir Wachstum haben, das wir hoffentlich behalten werden – ich bin allerdings sehr skeptisch, ob sich das langfristig in Deutschland halten wird -, nicht abgebaut werden, zeigt, dass Sie an dieser Stelle versagen. Es wäre Ihre verdammte Pflicht, die exzellenten Zahlen zu nutzen, um das Defizit deutlich weiter herunterzufahren.
Sie hätten heute hier die Chance, Glaubwürdigkeit, auch im Hinblick auf den Kabinettsbeschluss in der nächsten Woche, zu zeigen und als Parlament der Regierung etwas Maßgebliches mit auf den Weg zu geben. Ich kann Sie dazu nur auffordern. Im Interesse der Unabhängigkeit der Bundesrepublik in der Finanzierung und zur Vermeidung der Abhängigkeit von Investoren, davon, ob sie uns Geld geben oder nicht, wäre das notwendig.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)