Für das Buch „Mittendrin – Zukunftsentwürfe für eine älter werdende Gesellschaft“ (Hrsg. Garrelt Duin, Petra Ernstberger und Johannes Kahrs, Berlin 2011) habe ich folgenden Beitrag verfasst:

Bananen werden braun, Menschen werden alt. Beiden zunächst rein äußerlichen Phänomenen liegen biochemische Prozesse zugrunde, die durch Umwelteinflüsse beschleunigt oder verzögert werden können. Sowohl bei Bananen als auch bei Menschen kennen wir die positive Erfahrung des widerlegten Anscheins: Die braune Schale umhüllt eine Vollreife, gesunde Frucht von unnachahmlicher Süße – und in einem von ersten Zipperlein und fortgeschrittenem Alter gezeichneten Körper waltet nicht selten ein ungemein kluger, wacher und innovativer Geist. Man denke etwa an den englischen Astrophysiker Stephen Hawking, der bereits seit 1968 wegen einer schweren Nervenkrankheit auf einen Rollstuhl angewiesen ist und mittlerweile nur noch über einen Sprachcomputer kommuniziert, den er mit Pupillenbewegungen steuert. Noch vor 100 Jahren wäre diesem Genie wohl die wissenschaftliche Karriere und wären uns allen damit die bahnbrechenden Erkenntnisse über die Struktur schwarzer Löcher und die Entstehung des Universums allein wegen seines körperlichen Zustandes verwehrt geblieben. Den fatalen Fehlschluss von äußerlichen Funktionseinschränkungen auf mangelnde innere Substanz hat die moderne Medizin glücklicherweise überwunden. Im Gegenzug gilt natürlich auch, dass vordergründige körperliche Intaktheit durchaus mit erheblichen innerlichen Defiziten einhergehen kann.

In unseren Debatten über die Umkehrung der Alterspyramide zeigt sich allerdings allzu häufig ein fataler Hang zur Einseitigkeit. Gewiss, die moderne Mediendemokratie zwingt zur Zuspitzung. Gezielte Provokation und pointiert formulierte Interessenvertretung eignen sich in einer „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ als politische Instrumente. Doch wo hört das mediale Spiel auf und wo beginnt die bewusste Produktion gesellschaftlicher Spaltung?

Der breite öffentliche Diskurs über die Auswirkungen des demografischen Wandels und die Konsequenzen, die aus der damit verbundenen Alterung der Bevölkerung zu ziehen sind, hat sich in Deutschland während der vergangenen Jahre in der Auseinandersetzung mit zwei radikalen Sichtweisen entwickelt. Zunächst traf im Jahre 2003 ein frisch gekürter Bundesvorsitzender der Jungen Union (JU) medial ins Schwarze, als er im Brustton der Überzeugung verkündete, er „halte nichts davon, wenn 85-Jährige noch künstliche Hüftgelenke auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen“. Auch wenn mittlerweile allgemein bekannt ist, dass die Äußerungen des JU-Vorsitzenden ganz in der Tradition seines Verbandes mehr eigener Eitelkeit als politischer Substanz geschuldet waren, verfehlten die damaligen Einlassungen zur Gesundheitspolitik ihre öffentliche Wirkung nicht. Von den Seniorenverbänden bis hin zur Deutschen Gesellschaft für Orthopädie tappte man in Philipp Mißfelders Falle, und in den Feuilletons wurde wochenlang ein „Krieg der Generationen“ geführt.

Die Fortsetzung dieses „Krieges“ besorgte dann in umgekehrter Stoßrichtung FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher im Jahr 2004 mit seinem – zugegeben hervorragend vermarkteten – Buch „Das Methusalem-Komplott“. Darin geißelt der Frankfurter Feuilletonchef durchaus zu Recht einen in Wirtschaft, Medien und Gesellschaft virulenten Jugendwahn, der eine Tendenz zur schleichenden Marginalisierung und Diffamierung des Alters in sich trage. Schirrmacher weiß, was dagegen zu tun ist, und fordert einen „Aufstand der Alten“. Niemand solle sich doch schämen müssen wegen seines Alters, und überhaupt würden die Älteren bald die deutliche Bevölkerungsmehrheit stellen. Insofern käme es jetzt darauf an, die Deutungshoheit über das Altersphänomen zu erringen und die mit Krankheit, Sturheit und Siechtum verbundenen gesellschaftlichen Vorurteile zu durchbrechen. Dazu erliegt Schirrmacher dann aber einer naheliegenden Versuchung und begibt sich auf das Glatteis unangemessener Idealisierung des Alters: Die empirisch belegte Steigerung der Lebenserwartung wird auf ungebrochen vitale Mittsiebziger projiziert, für die volle ökonomische, kulturelle und politische Teilhabe auch 2040 noch selbstverständlich sein wird. Auch wenn der Demografie-Bestseller von Schirrmacher die laienmedizinischen Einlassungen des JU-Vorsitzenden von 2003 im Hinblick auf intellektuelle Schärfe und Reflexionsniveau natürlich bei weitem übertrifft, so kann er doch als eine Art Generationen-Erwiderung gelesen werden nach dem Motto: „Ein Hüftgelenk ist nicht genug!“

Gerade an diesen Beispielen offenbart sich ein Widerspruch freier Gesellschaften im Informationszeitalter: Während der demokratische Rechtsstaat einerseits auf Meinungsfreiheit und öffentliche Debatte angewiesen ist, verknappt das damit entstehende informelle Überangebot die öffentliche Aufmerksamkeit und zwingt in noch nie da gewesenem Umfang zur Pointe. Unzulässige Vereinfachungen, gezielte Provokationen und Indiskretionen aller Art sowie die Bedienung von Vorurteilen setzen Themen auf die Agenda und verhindern gleichzeitig deren angemessene Bearbeitung. Die deutschen Feuilletons sind satt gefüllt mit solchen Pyrrhussiegen.

Einen vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklung markierte jüngst Thilo Sarrazin: Einerseits hat er es mit seiner Publikation geschafft, die auch unter demografischen Gesichtspunkten zentralen Zukunftsthemen Einwanderung und Integration ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen, andererseits verhindern sensationsheischende Tabubrüche und abwegige Vereinfachungen einen produktiven Diskurs schon im Ansatz. Deutschland debattiert jetzt nicht über angemessene Sprachanforderungen, familiennahe Hilfsangebote oder interkulturelles Lernen, sondern über die Vererbung von Intelligenzquotienten. Lehrbuchartig!

Die Veränderung unserer Bevölkerungsstruktur darf aber nicht als Podium öffentlicher Selbstdarstellung missbraucht werden. Es gibt keinen Anlass zur Dramatisierung.

Die gesellschaftlichen Veränderungen sind weder das Verschulden einzelner Bevölkerungsgruppen, noch beschreiben sie einen politischen Ausnahmezustand. Nur auf dem Fundament dieser Einsicht sollten Sozialdemokraten den demografischen Wandel gestalten. Pauschale Schuldzuschreibungen, interessengeleiteter Aktionismus und fremdenfeindliche Abwehrkämpfe bieten keinerlei Orientierungshilfe. Im Verfassungsstaat des Grundgesetzes kann die Herausforderung der Bevölkerungsentwicklung nur angemessen bewältigt werden, wenn politisches Handeln zwei Grundsätzen folgt: Interessenausgleich und Anerkennung von Realitäten. Eine solche Politik hat die rechtlich geschützten Positionen und legitimen Erwartungen von Jung und Alt, von Singles und Familien, von Gesunden und Kranken, Männern und Frauen ebenso zu berücksichtigen wie von Einwanderern und der deutschen Ursprungsbevölkerung – und zugleich die praktischen Bedürfnisse der Lebenswirklichkeit im Auge zu behalten.

Die entscheidende Frage der kommenden Jahre wird dabei sein, ob es uns gelingt, die richtige Balance zwischen Markt und Staat zu finden. Wir müssen auf der einen Seite den Mut haben, dort, wo die alternde Gesellschaft selbst durch Angebot und Nachfrage die für sie besten Lösungen hervorbringt, Luft zum Atmen zu lassen, und auf der anderen Seite die Kraft aufbringen, da energisch gegenzusteuern, wo die Marktmechanismen den Einzelnen überfordern. So trägt die zunehmende Nachfrage junger Familien nach ansprechenden und vielfältigen Kita-Angeboten und schulischen Ganztagsformen positiv zu entsprechenden neuen Angeboten freier Träger bei. Wir müssen dafür sorgen, dass die Wahrnehmung dieser Angebote allen Kindern möglich ist, unabhängig vom elterlichen Einkommen. Die alleinerziehende Fachverkäuferin darf ebenso berufstätig und Mutter sein wie Arbeitsministerin Ursula von der Leyen. Deshalb haben wir als Sozialdemokraten den Ausbau von Ganztagsschulen, den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ab dem ersten Geburtstag und das Elterngeld durchgesetzt. Die jetzt von Schwarz-Gelb geplante Streichung des Elterngeldes für erwerbsfähige Hilfebedürftige sendet genau die falschen Signale: soziale Selektion statt Integration. Die für die Gestaltung des demografischen Wandels so wichtige Vereinbarkeit von Familie und Beruf steht auch von einer anderen Seite unter Druck. Pflegebedürftigkeit von Eltern und Angehörigen wird in naher Zukunft eine ganz zentrale persönliche und zugleich finanzielle Herausforderung für die jüngere Generation werden. Auch auf diesem Gebiet wird die steigende Nachfrage im Idealfall zu produktivem Wettbewerb und Qualitätsverbesserungen bei stationären und ambulanten Leistungen führen – aber eben auch zu massiven Preissteigerungen. Es ist gut, wenn Besserverdienende und Vermögende ihren Angehörigen alle Segnungen des sich dynamisch entwickelnden Pflegemarktes zuteilwerden lassen können. Der Staat muss indes dafür Sorge tragen, dass von den Qualitätssteigerungen alle profitieren. Die unter Ulla Schmidt vollzogene schrittweise Anhebung des Pflegegeldes und die Einführung eines gesetzlichen Freistellungsanspruches für Arbeitnehmer, um die Pflege ihrer Eltern zu organisieren, waren Schritte in die richtige Richtung. Solidarische Reformen im Beitragsrecht, wie progressive Veranlagung und Einbeziehung von Kapitalerträgen sowie der weitere Ausbau des öffentlichen Qualitätsmanagements müssen folgen. Statt um gerechte Strukturen in der Kranken- und Pflegeversicherung kümmert sich die FDP jedoch lieber um den privaten Versicherungsmarkt: Luxuspflege für wenige und Minimalleistungen für den Rest.

Dasselbe Bild zeigt sich bei der nötigen Anpassung kommunaler Infrastruktur. Die Marktakteure investieren schon länger in altersgerechte Wohnobjekte und barrierefreie Bestandsumbauten. Wo der Markt nicht investiert, sollte die öffentliche Städtebauförderung regulierend eingreifen. Gerade diese Programme lässt Schwarz-Gelb nun auslaufen. Das zynische Motto dahinter: Wer alt und arm ist, braucht keinen Fahrstuhl im Haus.

Der deutsche und europäische Arbeitsmarkt wird in Zukunft mehr denn je auf qualifizierte Zuwanderer angewiesen sein. Hier ist Mut zum Laisser-faire angezeigt: Fremdenfeindlichkeit und rassistische Vorurteile werden in den ländlichen Regionen hoffentlich mit dem Weisheitszahn verschwinden, den der pakistanische Zahnarzt kunstgerecht entfernt hat. Vor Parallelgesellschaften schützen Investitionen in Bildungsgerechtigkeit und soziale Teilhabe, nicht Leitkulturdebatten und „Integrationsgipfel“ im medialen Schaufenster.

Deutschland feiert in diesem Herbst 20 Jahre Wiedervereinigung. Während die SED Klassenkampf spielte, haben die Ostdeutschen auch braune Bananen gekauft. Und diese haben nicht selten am besten geschmeckt. Die Erfahrung, dass das Leben jenseits der offiziellen Schwarz-Weiß-Malerei viele Graustufen bietet, hat den Alltag in der DDR sicher erträglicher und die Parteipropaganda erfolgloser gemacht. Ostdeutsche haben gelernt, die Wahrheit über gesellschaftliche Zustände nicht in Leitartikeln und Parteitagsbeschlüssen zu suchen, sondern in der Kaufhalle um die Ecke und im Wohnhaus auf der anderen Straßenseite. Dieser spezielle Sinn für das Lebenspraktische hat sowohl moskautreue Kommunisten als auch westdeutsche Anlagebetrüger überstanden – und tritt den neuen demografischen Herausforderungen ganz nüchtern entgegen, etwa mit dem phasenweisen Rückbau von Plattenbauten oder der ökologischen Sanierung von Industriebrachen. Der demografische Wandel ist weder gut noch böse, sondern im Rahmen von anstrengenden, aber notwendigen Abwägungen gerecht zu gestalten. Dass es dabei nicht das Schlechteste ist, wenn sich ostdeutscher Pragmatismus an Bananen orientiert, hat die jüngere deutsche Geschichte eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

(c) Mittendrin – Zukunftsentwürfe für eine älter werdende Gesellschaft

Pläne werden wahr! In Gößnitz setzt sich seit Jahren eine Bürgerinitiative wie auch der Bürgermeister mit großem Engagement für den Bau einer Ortsumfahrung der B93 ein. Vor mehreren Jahren habe ich mich während eines Besuches meines heutigen Betreuungswahlkreises Altenburger Land vor Ort von den durchdachten Plänen der Stadt überzeugen lassen. Das Konjunkturpaket I bot dann für mich die Gelegenheit, für das Gößnitzer Vorzeigeprojekt in Berlin zu werben. Tatsächlich befindet sich die Umgehungsstraße seit Anfang 2010 im Bau und wird im Herbst 2011 voraussichtlich fertig gestellt werden.

Anlässlich des schon weit fortgeschrittenen Bauvorhabens, folgte ich am 30. Mai der Einladung der SPD im Altenburger Land nach Gößnitz. Zusammen mit dem Kreisvorsitzenden Hartmut Schubert, dem Gößnitzer Bürgermeister Wolfang Scholz, dem Sprecher der Bürgerinitiative Herrn Höfer sowie circa 70 weiteren interessierten Bürgerinnen und Bürgern besichtigte ich die neuesten Bauabschnitte. Verantwortliche des Straßenbauamtes wie Vertreter der bauenden Firmen führten uns in die Komplexität der Bauweisen von Brücken, Trassen wie auch Regenauffangreservaten ein. Nach zweistündiger Wanderung bei bestem Sommerwetter auf der neu gebauten Bundesstraße lud der Ortsverein Gößnitz noch zur gemeinsamen Stärkung im heimischen Sportlerheim. In geselliger Runde ließen wir den Nachmittag bei Bratwurst und interessanten Gesprächen ausklingen.

Ich möchte mich für die herzliche Einladung bedanken und freue mich sehr, dass nun ein für die Gößnitzer so wichtiges Projekt realisiert wird.

 

„Jetzt hat es Schwarz-Gelb schwarz auf weiß. Die Sparmaßnahmen bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik, die CDU/CSU und FDP im Bundeshaushalt gegen den Widerstand von SPD, Gewerkschaften und Sozialverbänden durchgedrückt haben, treffen vor allem die Langzeitarbeitslosen“, erklärt der SPD-Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider mit Verweis auf den heute veröffentlichten Atlas „Chancenabbau für Langzeitarbeitslose“ der Paritätischen Forschungsstelle in Berlin.

„In Erfurt liegen die Kürzungen bei den Eingliederungsmaßnahmen in diesem Jahr im Vergleich zum vergangenen bei rund 30 Prozent und in Weimar sogar bei rund 36 Prozent. Beide Kommunen haben damit wesentlich weniger Geld für die Aktivierung von Langzeitarbeitslosen zur Verfügung als bisher. Für die Arbeitssuchenden bedeutet dies, dass viele Maßnahmen ersatzlos wegfallen werden oder bereits weggefallen sind.“

Im Thüringer Durchschnitt betragen die Kürzungen 33,7 Prozent.

„Wenn den Jobcentern vor Ort die Mittel für Weiterbildungs-, Qualifizierungs- und Umschulungsmaßnahmen fehlen, werden es Langzeitarbeitslose besonders schwer haben, zurück in Arbeit zu kommen. Damit zahlen diejenigen für die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise, die ohnehin schon die größten Opfer bringen. Außerdem ist die Kürzungspolitik angesichts des drohenden Fachkräftemangels auch ökonomisch völlig verfehlt“, kritisiert Schneider.

„Auch die vorgelegten Eckpunkte zur Reform der arbeitsmarkpolitischen Instrumente gehen in die falsche Richtung. Viele Pflicht- sollen in Ermessensleistungen umgewandelt werden. Am Ende werden die Arbeitssuchenden noch weniger Unterstützung erhalten.“

Carsten Schneider, SPD-Bundestagsabgeordneter für Erfurt und Weimar, zieht eine positive Zwischenbilanz des Förderprogramms „Innovationskompetenz Ost“ (INNO-KOM-Ost). Zugleich jedoch fordert er, dass der Osten auch in Zukunft weiter gezielt gefördert werden muss.

„Die Fördermittel aus dem Bundesprogramm INNO-KOM-Ost sind eine Zukunftsinvestition für Ostdeutschland. In Thüringen profitieren 10 gemeinnützige Industrieforschungseinrichtungen direkt von diesem Förderprogramm. Außerdem sind Unternehmen in die Region gekommen, die mit diesen Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten. So sind vor Ort viele Arbeitsplätze entstanden“, sagt Schneider.

„Wir brauchen noch mehr Forschung und Entwicklung, die Unternehmen anlocken und Unternehmensgründungen nach sich ziehen, wenn Thüringen mehr als eine verlängerte Werkbank des Westens sein will. In den neuen Bundesländern gibt es im Vergleich zu den alten Ländern weiterhin überproportional wenig Forschungseinrichtungen. Dieser strukturelle Nachteil des Ostens muss auch in Zukunft durch spezielle Förderprogramme wie INNO-KOM-Ost gezielt ausgeglichen werden“, fordert Schneider. „Denn der Solidarpakt läuft im Jahr 2019 aus.“

„Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle hat sich im Rahmen seiner sogenannten Mittelstandsinitiative bisher nicht klar zur Fortführung des Förderprogramms bekannt. Abzuwarten bleibt der Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 2012, der voraussichtlich im Juni vorliegen wird. Spätestens in den parlamentarischen Beratungen im Herbst muss Brüderle dann Farbe bekennen. Die SPD jedenfalls ist für eine weitere Förderung – mindestens auf dem heutigen Niveau.“

Die Thüringer Forschungsinstitute haben rund 40 Millionen Euro für die Jahre 2009 bis 2011 aus dem Förderprogramm INNO-KOM-Ost bewilligt bekommen. Davon erhält das Institut für Fertigteiltechnik und Fertigbau Weimar e. V. rund 1,36 Millionen Euro, das Forschungsinstitut für Tief- und Rohrleitungsbau Weimar e.V. rund 650.000 Euro sowie das Erfurter Institut für Mikrosensorik und Photovoltaik gGmbH rund 12,2 Millionen Euro. Während ihrer Regierungszeit hatte die SPD mehrere Bundesprogramme initiiert, um sowohl die Forschung als auch die Wirtschaft in den neuen Ländern strukturell zu stärken.

„Mit seiner gestrigen Äußerung, im kommenden Jahr über eine Verlängerung der Altschuldenhilfe entscheiden zu wollen, hat sich CSU-Bundesbauminister Peter Raumsauer wieder einmal als Meister im Hinhalten gezeigt“, sagt Carsten Schneider, Thüringer SPD-Bundestagsabgeordneter.

„Die Altenschuldenregelung muss so schnell wie möglich bis zum Jahr 2016 verlängert werden. Die ostdeutschen Wohnungsbaugesellschaften müssen längerfristig verlässlich planen können. Auch die Kommunen wollen wissen, woran sie sind. Schließlich müssen sie auf den Wohnungsleerstand infolge des allgemeinen Bevölkerungsrückgangs und der Abwanderung, von denen eine Gegenden besonders betroffen sind, reagieren.“

Während die Leerstandsquoten bei den kommunalen Wohnungsunternehmen in Weimar rund 4 Prozent und Erfurt lediglich 2 Prozent betragen, gibt es Regionen in Thüringen und dem gesamten Osten, in denen das Problem gravierend ist. Dort können es sich die Unternehmen wegen Restschulden aus DDR-Zeiten von durchschnittlich etwa 4.000 Euro je Wohnung nicht leisten, überflüssigen Wohnraum, der unnötige Kosten verursacht, zurückzubauen.

Eine Initiative der SPD-Bundestagfraktion, die Altschuldhilfe bis zum Jahr 2016 zu verlängern, wird heute abschließend im Deutschen Bundestag beraten. Bereits im federführenden Ausschuss für Bau und Stadtentwicklung ist eine Nachfolgeregelung allerdings mit Mehrheit von CDU/CSU und FDP abgelehnt worden.

„Thüringens CDU-Bauminister Christian Carius sollte Ramsauers Ankündigungen keinen Glauben schenken. Er ist bekannt dafür, dass am Ende doch alles ganz anders kommt. Ich erinnere nur an die Kürzungen beim Programm ‚Soziale Stadt‘, die er im vergangenen Herbst in buchstäblich letzter Minute einvernehmlich mit den Regierungskoalitionen in ungeahnte Höhe getrieben und die Kommunen mit den Kosten allein gelassen hat“, so der haushaltspolitische Sprecher seiner Fraktion.

„Jetzt zu sagen, er habe damals vor den Streichungen gewarnt, entspricht daher nicht den Wahrheit. Tatsache ist, dass Herr Ramsauer zuallererst bayerische und zuallerletzt ostdeutsche Interessen vertritt.“

„Daher fordere ich Minister Carius auf, eine Initiative im Bundesrat zu starten, und sich für die Interessen des Ostens einzusetzen. Schließlich hat er sich bereits mehrfach öffentlich in diese Richtung positioniert.“

 

„Für die Programme ‚Schulverweigerung – Die 2. Chance‘ und ‚Kompetenzagentur‘ läuft die Förderung aus ESF-Mitteln im August dieses Jahres aus und die Bundesregierung will für die zweite Förderperiode 2011 bis 2013 rund 55 Prozent weniger Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds bereit stellen als bisher. Das gefährdet die Fortsetzung der erfolgreichen Arbeit des Förderkreises Jugend, Umwelt, Landwirtschaft e.V. als Projektträger in Weimar“, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider.

Deutschlandweit bieten die beiden Programme derzeit rund 40.000 Kindern und Jugendlichen eine Chance, ihren Schulabschluss nachzuholen und ihren Weg in den Beruf zu finden. Durch „Schulverweigerung – Die 2. Chance“ und „Kompetenzagentur“ erhalten sie eine Hilfestellung sowie Zuspruch und werden in schwierigen Situationen nicht allein gelassen.

„In Weimar haben 124 Kinder und Jugendliche seit 2008 ihre zweite Chance genutzt und den Schulabschluss nachgeholt. Pro Jahr sind dort insgesamt 45 junge Menschen bei ‚Schulverweigerung – Die 2. Chance‘ in Betreuung“. so Schneider.

„Die Bundesregierung hat den Kommunen erst sehr kurzfristig die vorgesehene Mittelkürzung mitgeteilt. Deshalb konnten diese in ihren laufenden Haushalten keinerlei Vorsorge für eine mögliche Anschlussfinanzierung treffen. Dies wäre ohnehin schwer, weil die Kommunen große Löcher in ihren Haushalten stopfen müssen und kein Geld für zusätzliche Leistungen haben.“

„Damit die erfolgreichen Programme weiterlaufen, muss die Bundesregierung deshalb die geplante Kürzung bei der Förderung aus ESF-Mitteln zurücknehmen und für die neue Programmphase bis zum Jahr 2013 mindestens 112 Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds zur Verfügung stellen“, fordert Schneider.

Wir fordern die Abschaffung des Kooperationsverbotes in seiner jetzigen Form. Es verhindert eine sinnvolle und notwendige Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern im Bildungsbereich. Die existierenden Möglichkeiten zur Kooperation der verschiedenen staatlichen Ebenen werden den neuen Bedürfnissen der Internationalisierung der Bildung in Europa nicht mehr gerecht. Um die vielfältigen Chancen des europäischen Bildungsraumes künftig besser nutzen zu können, muss die Zusammenarbeit mit den Bundesländern neu geregelt werden.

Auch in den Verhandlungen zum Bildungs- und Teilhabepaket hat sich deutlich gezeigt, welche Hindernisse das Verbot für die praktische Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen zur Folge hat. Ein Teil der Leistungen aus dem Paket hätte direkt an die Schulen und Kindertagesstätten gehen können, wenn uns das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der Bildungspolitik nicht daran gehindert hätte. Deshalb muss die verfassungsrechtliche Schranke künftig durchlässiger werden und die Zusammenarbeit stärker möglich sein.

Das erfolgreiche Ganztagsschulprogramm etwa, mit dem 151 Schulen in Thüringen seit dem Jahr 2003 gefördert wurden, wäre in seiner damaligen Form heute nicht mehr möglich. In Zukunft soll der Bund daher anders als bisher in einigen Bereichen der schulischen Bildung gemeinsam und gleichberechtigt mit den Ländern entscheiden können. Wir brauchen deutschlandweit gemeinsame Standards und vergleichbarere Abschlüsse statt eines bildungspolitischen Flickenteppichs, wie wir ihn zurzeit vorfinden.

Da auch die Bundesländer ihre Haushalte konsolidieren müssen, werden insbesondere die einkommensschwächeren unter ihnen ihre Ausgaben im Bereich Bildung und Forschung nicht wie zugesagt bis zum Jahr 2015 auf 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes steigern können. Deshalb soll der Bund den Ländern künftig über Notlagen hinaus finanzielle Hilfen zur Verfügung stellen können – gleichzeitig aber auch mehr Mitspracherechte erhalten.

Die heutige Initiative der SPD-Bundestagsfraktion zielt darauf ab, eine neue Kooperationsnorm im Grundgesetz zu verankern, so dass Bund und Länder gemeinsame Leistungs- und Qualitätsstandards entwickeln können. Außerdem sollen sie in der Lage sein, bei den notwendigen Maßnahmen zur Sicherstellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens zusammenzuwirken. Die primäre Zuständigkeit der Bundesländer für das Bildungswesen in Deutschland bleibt davon unberührt.

Wir fordern die Thüringer CDU auf, nicht weiter aus ideologischen Gründen gegen eine Neuregelung der Zusammenarbeit zu sein, sondern mit ihrem Koalitionspartner SPD im Bundesrat initiativ zu werden. Zur Recht hat sich auch Thüringens Bildungsminister Christoph Matschie gegen das geltende Kooperationsverbot ausgesprochen. Das vom CDU-Fraktionsvorsitzenden im Thüringer Landtag Mike Mohring vorgeschlagene 10-Punkte-Thesenpapier geht vor allem im Bereich der Schulbildung in die falsche Richtung. Auch hier muss künftig eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern möglich sein.

Nicht mehr lange, dann heißt es wieder „Erfurt rennt“! Bereits zum sechsten Mal findet am Samstag, den 28.05. 2011, der beliebte Benefiz-Staffellauf um den Erfurter Dom statt. Für jede gelaufene Runde fließen 2,50 Euro an den Verein „Springboard to Learning e.V.“, der es in Erfurt lebenden Migrantinnen und Migranten ermöglicht, an Schulen als „Botschafter“ Schülerinnen und Schülern Einblicke in eine andere Kultur zu gewähren. Bisher konnten aus den erlaufenen Spenden einer Veranstaltung ungefähr 600 Unterrichtsstunden eingerichtet werden.

Als ich vor ungefähr zehn Jahren den Lauf mitbegründete, konnte ich mir noch nicht vorstellen, was für ein großer Andrang sich in der Folgezeit einstellen sollte. Umso mehr freut es mich als Schirmherr von „Erfurt Rennt e.V.“, dass zwischenzeitlich bereits 37 Team-Anmeldungen vorliegen und es bis zum Startschuss wohl noch einige mehr werden. Ich möchte an dieser Stelle alle Mitbürgerinnen und Mitbürger dazu auffordern, die Gelegenheit zu nutzen und für ein weltoffenes und tolerantes Erfurt Gesicht zu zeigen.

Für das Buch „Argumente – Politikvorschläge für Thüringen“ (Hrsg. Landesbüro der Friedrich-Ebert-Stiftung, Mai 2011) habe ich folgenden Beitrag verfasst:

1. Die Ursachen der Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrise

Die Ursachen und Auswirkungen der Finanz­markt- und Wirtschaftskrise werden noch Ge­genstand vieler Dissertationen und Forschungs­arbeiten sein. Es gilt das Eisberg-Prinzip: Den Teil über dem Wasser haben wir bereits gese­hen, doch niemand weiß, wie viel noch unter­halb der Oberfläche liegt. Der Ausgangspunkt der Krise waren die Verwerfungen auf dem amerikanischen Subprime-Markt. Sie führten zu der bisher schwersten Krise des weltweiten Finanz(markt)systems, eine Krise, die nach den Erhebungen und Einschätzungen von Instituti­onen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) oder der Bundesbank vor allem für die europäischen Banken, noch nicht ausgestanden ist. Diese Krise zog einen gewaltigen Konjunkturabschwung und damit besonders für die Industriestaaten eine harte Wirtschaftskrise nach sich. Das jüngste Gewand dieser Krise ist die Refinanzierungskrise ganzer Staaten: Inner­halb der EU waren es bisher Griechenland, Irland und Portugal. Derzeit stehen sogar die Vereinigten Staaten von Amerika auf der Beo­bachtungsliste der Rating-Agenturen – Tendenz negativ. Ein solcher Befund wäre noch vor we­nigen Jahren unvorstellbarer gewesen.

Zu dem prägenden Umfeld der Krisen zählen mehrere Faktoren. Dazu gehören erstens die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte zwi­schen den Industriestaaten untereinander so­wie zwischen den Industriestaaten und den Schwellenländern. Das prominenteste Beispiel sind die Devisen- und Handelsbeziehungen zwischen China und den Vereinigten Staaten. Seit Jahren schon dreht sich eine Abhängig­keitsspirale: Vereinfacht ausgedrückt, stehen den enormen Überschüssen in der Außenhan­delsbilanz Chinas entsprechende Defizite in den Vereinigten Staaten (aber auch in Europa) ge­genüber. Die Folge: Die chinesische Staatsbank verfügt über Devisenreserven in Höhe von rund 3 Billionen Dollar, überwiegend angelegt in amerikanischen Anleihen.

Zweitens haben die amerikanische Zentralbank FED sowie andere Zentralbanken ihre Leitzinsen in den vergangenen Jahren auf sehr niedrigem Niveau gehalten. Um Wirtschaftswachstum zu erzeugen, haben sie die Märkte auf Pump mit billigem Geld regelrecht geflutet.

 

Drittens wurde die Wachstums- und Wohlstandsdefinition in den westlichen Indust­rieländern auf die Entwicklung des Bruttoin­landsproduktes (BIP) eingeengt. Um die Kosten zu senken, haben viele europäische und ameri­kanische Unternehmen die Produktion von Gütern ins Ausland verlagert. So wurden China und Indien zu den „Produktionsstätten der Welt“. Hält diese Entwicklung an, drohen sich die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte weiter zu verstärken. Das Resultat wären er­hebliche Wohlstandsverschiebungen in allen beteiligten Staaten – die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich in vielen Entwicklungs­ländern wie in den G8-Staaten gleichermaßen.

Zum internationalen Umfeld gehört viertens aber auch eine politische Dimension: Alle Re­gierungen der G8-, aber auch der G20-Staaten wollen möglichst breite Schichten ihrer Bevöl­kerungen an Wachstum und Wohlstand teilha­ben lassen. Genau deshalb geht die Entwick­lung auf dem amerikanischen Subprime-Markt nicht nur auf die Gier nach Rendite einiger In­vestment-Banken zurück, sondern war auch politisch gewollt: Jeder amerikanische Bürger sollte ein Eigenheim besitzen können. Gleich­zeitig nahm sich der Staat bei der Regulierung und der Aufsicht von Märkten immer mehr zurück. Bereits die Ankündigung von Wirt­schaft und Industrie, Produktionsstätten und Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern, münde­te in einer immer stärkeren Liberalisierung von Marktregeln und staatlichen Anreizsystemen, besonders für den Finanzsektor. So führte der unregulierte Subprime-Markt durch den Me­chanismus der Verbriefung und Streuung von Kreditrisiken zur Generierung von strukturier­ten Wertpapieren, die nicht einmal mehr die Marktteilnehmer verstanden.

Der plötzlich auftretende immense Abschrei­bungsbedarf führte zu einem Misstrauen der Banken untereinander und am Interbankenmarkt; die internationalen Geldflüsse trockne­ten aus. An diesem Punkt wurde die Finanz­marktkrise zur Wirtschaftskrise. Die Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft: Sie trat der Wirtschaftskrise mit viel Geld entgegen und ließ sich damit auf das Spiel der Märkte zu deren Regeln ein. Weitsicht, neue Ideen und engagierte, mutige Vorstöße wie noch im Rahmen des G20-Gipfels in Pittsburgh verabre­det, bleiben mehr und mehr auf der Strecke – bis heute. Dies wiederum trieb Staaten wie Griechenland oder Irland in eine Staatsfinanzie­rungskrise. Die Märkte trauen der Politik nicht mehr.

2. Eine Renaissance des „Wissen-Wollens“

Als die Finanzmarktkrise im Jahr 2008 aus­brach, standen die politischen Entscheidungs­träger vor einem grundlegenden Problem: Wen konnten sie um Rat fragen? Wer war in der Lage, die internationalen Verflechtungen an den Verbriefungs- und Derivatemärkten sowie im Interbankenverkehr zu erörtern? Auf welche Prognosen und Einschätzungen konnte man sich verlassen? Hinzu kam der enorme Zeit­druck: In nur einer Woche beschloss der Bun­destag im September 2008 das Finanzmarkt­stabilisierungsgesetz und führte den Sonder­fonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) ein. Oder nehmen wir ein Beispiel aus dem vergan­genen Jahr: Der im Mai und Juni 2010 quasi über Nacht ins Leben gerufene europäische Stabilitäts-Mechanismus (ESM, bekannt gewor­den als „Euro-Rettungsschirm“) geht zurück auf eine Telefonschaltkonferenz der G8-Aufsichtsbehörden. Auf zahlreiche Nachfragen hin erhielten deutsche Bundestagsabgeordnete die Auskunft, harte Daten über tagesaktuelle Entwicklungen auf den Kapital- und Interbankenmärkten hätten damals, an dem Freitag der Schaltkonferenz, gar nicht vorgelegen. Es habe lediglich „gewisse Befürchtungen“ gegeben. In normalen Zeiten wären solche Informationen nicht annähernd ausreichend, um politische Entscheidungen dieser Tragweite treffen zu können!

Nun rächte sich, dass die Politik sich zu wenig mit den internationalen Finanz- und Kapital­märkten sowie mit deren Akteuren und Pro­dukten auseinandergesetzt hatte. Alle Staaten müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass die politischen Entscheidungsträger oft nicht über das nötige Wissen verfügten, um Ver­flechtungen und Aktivitäten der Finanzbranche verstehen zu können und dass viele Institutio­nen nebeneinander her statt miteinander arbei­teten. Die EU-Kommission etwa war keinesfalls unproduktiv, was die Regulierung der Finanz-und Kapitalmärkte angeht – im politischen All­tag gingen diese Vorschläge meist unter. Auch die Diskussionen über den Finanzmarktrege­lungskatalog „Basel II“ hat die Politik zu wenig begleitet – sie wurden im Baseler Ausschuss hauptsächlich von Aufsichtsbehörden geführt. Die internationalen Rechnungslegungsvorschrif­ten für Unternehmen (IFRS) erarbeitete ein pri­vatrechtlich organisierter Verein in London. Dessen Vorlage wurde ohne richtige Mitwir­kung und Kontrolle durch Regierungen und Parlamente ins europäische Recht übernom­men. Entsprechend schwierig ist es, diese Re­gulierungskataloge heute wieder zu ändern.

Eine erste wichtige Konsequenz aus der Krise sollte deshalb eine „Renaissance des Wissen­Wollens“ sein: Die Sprachlosigkeit zwischen Märkten und Politik, zwischen Finanzmarktak­teuren und Entscheidungsträgern muss endlich beendet werden.

3. Mit welchem Instrumentenkasten vermeiden wir künftige Krisen?

Im Verlauf der Finanzmarktkrise zogen sich nahezu alle Aufsichtsbehörden, aber auch Wirt­schaftsprüfungsunternehmen und andere Ak­teure des Finanzsektors auf die Position zurück, die Krise sei nicht vorhersehbar gewesen. Im Übrigen hätten sich alle Geschehnisse im Rah­men der geltenden Rechts- und Gesetzeslage bewegt. Das mag stimmen. So mussten zum damaligen Zeitpunkt Banken – gemäß Basel II – Zweckgesellschaften tatsächlich nicht in der Bilanz aufführen. Allerdings offenbart diese Argumentation ein weiteres drastisches Defizit: Jenseits der Aufsicht über bestehende Rechts­normen und Gesetze braucht es dringend ein Frühwarnsystem und endlich wieder verantwor­tungsvolles, anständiges Verhalten in den Vor­standsetagen. Nicht alles, was nicht verboten ist, ist automatisch erlaubt. Und nicht alles, was erlaubt ist, ist erwünscht.

Im September 2008 intervenierte der Bund inmitten der Krise mit dem Finanzmarktstabili­sierungsgesetz. Dieses rief quasi über Nacht den Finanzmarktstabilisierungsfonds SoFFin ins Leben, ausgestattet mit der Befugnis, Garan­tien zu vergeben, Banken zu rekapitalisieren und toxische, also hoch defizitäre Wertpapiere anzukaufen. Das Volumen betrug 480 Milliar­den Euro, weit mehr als der jährliche Bundes­haushalt. Durch die dramatischen Entwicklun­gen bei der Hypo Real Estate (HRE) wurde im März 2009 ein Ergänzungsgesetz notwendig, um dem Staat die nötigen Instrumente an die Hand zu geben, auch operativ auf eine Bank Einfluss zu nehmen. Das Handels-, Gesell­schafts- und Aktienrecht wurde verändert und ergänzt um die Möglichkeit der Verstaatli­chung, die bis zum 30. Juni 2009 Bestand hat­te. Dieses Instrument, das in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien übrigens schon lange existiert, führte in Deutschland zu erheb­lichen parlamentarischen Grundsatzdiskussio­nen und Auseinandersetzungen. Im Juni 2009 mussten wir das Gesetz erneut durch ein Fort­entwicklungsgesetz ergänzen: Wir schufen die Möglichkeit von „Bad Banks“, sprich Abwick­lungsbanken für faule Kredite und verlustreiche Wertpapiere. Dies geschah auf erheblichen Druck der Branche. Sogar die Deutsche Bun­desbank vertrat öffentlich die Auffassung, die Banken würden diese Möglichkeit gewiss in Anspruch nehmen. Jedoch: Aus Angst vor ei­nem Prestigeverlust traute sich kein Institut, die Hilfe anzunehmen mit Ausnahme der WestLB und der HRE, die zum damaligen Zeitpunkt bereits in öffentlicher Hand waren.

Es fehlen aber nicht nur Instrumente für einen Einstieg des Staates in gefährdete Banken im Krisenfall, sondern erst recht für einen klar de­finierten Ausstieg. Diese Notwendigkeit einer Exit-Strategie wurde im Rahmen der G20 und der Notenbankengouverneure von Beginn der Krise an immer wieder betont und diskutiert.

Auch auf europäischer Ebene besteht ein Defi­zit, was die Instrumente betrifft. Das hat nicht zuletzt die Verschuldungskrise in den südeuropäischen Ländern und der politische Streit um den Euro-Stabilitätsmechanismus ESM gezeigt. Die Hilfsmaßnahmen ersetzen private Gläubi­gertitel durch solche, die der ESM und damit die öffentliche Hand hält. Damit wird der Ge­winn der Investoren gesichert und das Risiko in die Hände der Steuerzahler gelegt. Es gibt aber keine verbindlichen Vorschriften zur Gläubiger­beteiligung – obwohl die Staaten doch für e­ben dieses Risiko Zinsen zahlen. Es gibt keine hinreichenden Ansätze für Wachstumsförde­rungsprogramme in Griechenland oder Irland, obwohl nur durch solides Wirtschaftswachstum die Staatseinnahmen zu generieren sind, die ein Staat braucht, um wieder auf eigenen Fü­ßen stehen zu können. Eine fast schon irratio­nale Furcht vor weiteren Verlusten im Banken­system, die auch die Europäische Zentralbank mantra-artig vor sich herträgt, verhindert jeden nachhaltigen Lösungsansatz. Weshalb, muss man fragen, darf eigentlich keine Bank Pleite gehen? Die Gelder der kleinen Leute, die Einla­gen und Sparbriefe, wären jedenfalls geschützt.

Beim geplanten permanenten Euro-Rettungs­schirm, der im Juli 2013 eingeführt werden soll, werden diese grundsätzlichen Probleme wie­derholt: Wieder wird Geld gegen Defizite ge­setzt, wieder bleiben die langfristigen Fragen ungelöst. Weshalb sollten Investoren den Euro­Staaten und ihren Regierungen nun stärker trauen als zuvor? Ein Minimalkompromiss – von fast allen namhaften Ökonomen kritisiert und selbst von der Bundesbank mehr als kritisch gesehen – soll Europa retten und künftige Krisen vermeiden, zumindest abmildern. Das kann nicht gut gehen!

4. Ein neues Bewusstsein für einen starken Staat und neuer Mut zur Ehrlichkeit

Als die Finanzkrise ausbrach, trafen zwei weit­gehend verhärtete Fronten aufeinander. Aus Sicht vieler Wirtschaftsakteure war ein starker Staat der Feind; aus Sicht vieler Politiker war der Feind hingegen ein liberalisierter und unre­gulierter Markt. Solche verfestigten, vorurteils-beladenen Positionen führen nicht weiter. Wir müssen uns auf die Kernfunktionen von Markt und Staat besinnen: Aus Sicht des Staates ist ein allgemeiner, verbindlicher und verlässlicher Rechtsrahmen notwendig, in dem sich Unter­nehmen bewegen dürfen. Dabei braucht es auch Raum für Innovationen: Verbriefungsmodelle, die Streuung von Risiken, eine gewisse Freiheit des Derivatemarktes und so weiter. Denn all diese Instrumente sichern den breiten Zugang von Unternehmen zum Kapitalmarkt, der auch in Europa nicht länger allein über die Banken laufen darf. Die angloamerikanischen Staaten sind hier wesentlich weiter. Zugleich dürfen wir nicht hinnehmen, dass Finanzmarkt­akteure von eingegangenen Risiken befreit werden. Stattdessen geht es um den hinrei­chenden Selbstbehalt für Risiken, eine stärkere Eigenkapitalunterlegung sowie eine systemati­sierte Risikovorsorge auf Seiten der Banken und Investoren.

Seit langem wissen wir, dass der deutsche Ban­kenmarkt dringend konsolidiert werden muss; Deutschland ist „overbanked“. Dennoch versu­chen wir, jede Insolvenz einer Bank politisch zu verhindern. Aber damit signalisieren wir der Branche, dass ein „Weiter so“ möglich sei, da am Ende des Tages ja ohnehin der Staat ein­greife! In Wirklichkeit hat der Staat lediglich die Aufgabe, das öffentliche Gut der Finanzmarkt­stabilität dadurch zu sichern, dass keine syste­mischen Risiken bestehen – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Der Rest muss dem Markt überlassen bleiben.

Ein neues staatliches Bewusstsein ist auch in der Fiskalpolitik notwendig. Die staatliche Ver­schuldung darf nicht weiter ausufern. Deshalb haben wir in Deutschland im Mai 2009 die Schuldenbremse ins Grundgesetz eingeführt, um die staatliche Neuverschuldung zurückzu­führen. Richtig ist aber auch, dass die Haus­haltsprobleme nicht allein mithilfe von Spar­maßnahmen gelöst werden können. Die zahl­reichen Demonstrationen, die Europa während der Staatsschuldenkrise erschüttern, zeigen es deutlich: Haushaltskonsolidierung kann nur mit den Menschen geschehen, nicht dauerhaft gegen sie. Eine intelligente Haushaltspolitik setzt sich aus vier Elementen zusammen: Die Sicherung und Verbesserung der staatlichen Einnahmen, eine wachstumsfördernde Politik, die Reduzierung von rein konsumtiven Subven­tionen und eine Senkung der Ausgaben. Wachstumsorientierung meint in diesem Zu­sammenhang auch – besonders für Deutschland – die Binnenkonjunktur zu stärken und den Kapitalabfluss aus Exportüberschüssen ins Ausland zu verhindern.

Zusätzlich braucht es ein neues moralisches Bewusstsein dafür, dass Rendite endlich ist und nicht um jeden Preis und losgelöst von der so genannten Realwirtschaft erzielt werden kann. Wir brauchen eine Rückbesinnung auf die „die­nende“ Funktion der Finanzmärkte, die nicht allein durch Gesetze, sondern vor allem auch durch eine moralische Verständigung aller Be­teiligten zu erreichen ist. Und wir benötigen den Mut, besonders die Finanz- und Kapital­märkte wieder stärker an der Finanzierung öf­fentlicher Aufgaben zu beteiligen als bisher. Für die Akzeptanz in der Bevölkerung ist dies uner­lässlich. Genau aus diesem Grund fordert die SPD eine Steuer auf Finanztransaktionen.

Und wir brauchen ein stärkeres Europa. Wie wir „mehr Europa“ schaffen können, dazu habe ich im Dezember 2010 einen Vorschlag veröffentlicht.1

5. Wir brauchen einen neuen Interna­tionalismus

Auf dem Höhepunkt der Finanzmarktkrise gab es mit dem Gipfel der Staats- und Regierungs­chefs der G20 in Pittsburgh 2009 eine gute Gelegenheit, erstmals eine internationale Ver­ständigung über Regulierung und Aufsicht zu erzielen. Dieses „window of opportunity“ blieb aus mehreren Gründen weitgehend ungenutzt. Staaten wie Kanada vertraten die Meinung, die Finanzmarktkrise weder mit ausgelöst zu haben noch von ihr betroffen zu sein. Daher brauche es keinerlei neuer Regulierung. Diese Auffas­sung ist kurzsichtig, zugespitzt formuliert sogar protektionistisch.

Das Minimalziel muss daher lauten, zu einer neuen internationalen Verständigung, einem besseren Informationsaustausch und einem starken Frühwarnsystem zu kommen. Dazu muss auch gehören, internationale Regelkata­loge wie ein derzeit diskutiertes Basel III-Ab­kommen oder die Bilanzierungsstandards all­gemeinverbindlich zu machen und durch legi­timierte Gremien erarbeiten zu lassen. Bei­spielsweise dürfen Bilanzierungsstandards nicht länger ohne die Beteiligung von Regierungen, kontrolliert durch die jeweiligen Parlamente, vereinbart werden.

Der Ausgangspunkt für diesen neuen Internati­onalismus kann nur die Europäische Union sein. Bedauerlicherweise hat die amtierende deut­sche Bundesregierung in der Griechenland­-Krise und während der Verhandlungen über den Stabilitätsmechanismus gezeigt, wie Diplomatie nicht funktioniert: Nicht nur lassen die vereinbarten Mechanismen zur Finanzmarktre­gulierung stark zu wünschen übrig, schlimmer noch: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mit ihren Positionen Deutschland in Europa weit­gehend isoliert.

 

1 Carsten Schneider, Die Lösung heißt Europa: Für ein verbindliches System der Verbundhaftung, in: Das Progressive Zentrum (Hrsg.): Welches Wachs­tum für Europa? Beiträge zur Zukunft des europäi­schen Modells, Berlin 2010.