Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man die Rede von Herrn Barthle verfolgt, dann hat man den Eindruck, dass darin viel Autosuggestion und wenig Realität enthalten sind. Der Herr Minister hat in seiner Einbringungsrede sehr pathetisch geredet, ohne konkret zu werden. Die FDP hält Sonntagsreden – ich sage gleich auch noch, warum -, in denen sie Versprechungen macht, als sei sie immer noch nicht in der Regierung angekommen, und die Union macht alles mit.
(Beifall bei der SPD)
Als Erstes muss man sich die Frage stellen: Wo stehen wir? Aufgrund der Konjunkturprogramme, für die SPD-Minister maßgeblich verantwortlich waren – ich nenne das Kurzarbeitergeld, aber auch die Investitionsmaßnahmen, die auf Peer Steinbrück zurückgehen -, war die Lage im Jahre 2009 besser, als es prognostiziert wurde. Herr Schäuble, Sie haben 15 Milliarden Euro weniger Kreditaufnahme verbuchen können, als vorhergesagt wurde. Damit hat die FDP nicht viel zu tun gehabt. Das einzige Gesetz, das Sie bisher gemacht haben, wird dazu führen, dass die eingesparten 15 Milliarden Euro, die im Jahr 2010 einen Basiseffekt in Höhe von 10 Milliarden Euro haben, verjuxt und verpulvert werden – beispielsweise an Hoteliers -, ohne dass es einen nennenswerten Wachstumseffekt gibt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das ist eine neue Währungseinheit: Für 1 Million Euro bekommt man 1 Milliarde Euro. Das gibt es anscheinend nur bei der FDP. Ich frage mich nur, ob es diese Million jetzt jährlich gibt oder ob Sie die 1-Milliarde-Lobbyvergünstigung wieder aufheben.
75 Milliarden Euro betrüge die Nettoneuverschuldung auch ? das gebe ich zu ?, wenn die SPD noch an der Regierung wäre. Das ist krisenbedingt. 10 Milliarden Euro packen Sie obendrauf. Bei einer jährlichen Durchschnittsverzinsung von 4 Prozent ? der jährliche Durchschnitt wird in etwa so sein; die Zinsen werden wieder steigen – macht dies jedes Jahr Mehrkosten in Höhe von 400 Millionen Euro aus, die Sie zukünftigen Generationen aufbürden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie halten Sonntagsreden. Wenn es nach der FDP gegangen wäre, dann hätten wir jetzt ein Grundgesetz, das gar keine Neuverschuldung zulässt. Richtig? Ihr Punkt war doch immer – um ein bisschen ökonomisch zu denken -: Die Neuverschuldung muss null betragen; alles andere ist schlecht.
(Joachim Poß (SPD): Das war übrigens der Herr Burgbacher, der jetzt bei den Hoteliers so beliebt ist!)
Wir ? auch Teile der Union wollten das ? haben dann durchgesetzt, dass man konjunkturreagibel vorgehen kann.
Was würden Sie heute eigentlich machen? Was wäre Ihre ökonomische Antwort? Wo würden Sie sparen? Ich warte, insbesondere nachdem Sie vier Monate ? man weiß nicht so richtig, ob Sie nun zusammen regieren oder nur gemeinsam die Pöstchen besetzen ? in einer Koalition sind, darauf, dass Sie sagen, was denn nun kommt. Herr Minister Schäuble hat heute darüber gesprochen, wie wichtig Vertrauen insgesamt und auch für die wirtschaftlichen Akteure ist.
(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr von Finck hat doch Vertrauen!
Dem widerspreche ich nicht; das nehme ich sehr gerne auf. Dann müssen Sie aber auch bei den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land Vertrauen für die Politik, die Sie machen, schaffen, indem Sie sagen, was Sie tun wollen. Darum drücken Sie sich herum.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie wissen, Sie müssen im nächsten Jahr 10 bis 15 Milliarden Euro sparen, um die Regelungen zur Schuldenbremse einzuhalten. Sparen kann eine Einnahmeverbesserung bedeuten. Sparen kann man auch bei den Ausgaben. Sie sagen nicht, was Sie wollen.
(Dr. Claudia Winterstein (FDP): Das werden sie schon noch sagen!)
Herr Schäuble hat vorhin gesagt: Das machen wir lieber ein bisschen später, dann bekommt das keiner mit; das ist besser, ansonsten wird es nur zerredet.
(Joachim Poß (SPD): Er hat das im Stil eines Philosophen gesagt!)
Meine Damen und Herren, was diesem Land bis 2016 bevorsteht, um die europäischen Regelungen und die Maßgaben der deutschen Verfassung umzusetzen, darüber kann man nicht einfach mal im Hinterzimmer diskutieren. Man kann nicht einfach kommen und sagen: Hoppla, hier bin ich; diese und jene Maßnahme gilt jetzt für diese Zeit.
Hier hätte es einer ehrlichen Wahlauseinandersetzung bedurft. Das haben Sie nicht gemacht. Das fällt Ihnen jetzt auf die Füße. Ich weiß nicht, wie viele Treffen mit Beglückwünschungen und Beweihräucherungen Sie noch abhalten wollen. Sie haben zu Beginn der Koalition, zu dem Zeitpunkt, an dem man es tun muss, nicht klar gesagt, was die Herausforderungen sind und was im Einzelnen umgesetzt werden muss. Das tun Sie auch jetzt nicht. Sie verschieben das immer weiter. Sie verschieben es jetzt auf die Steuerschätzung im Mai. Nur, die findet kurz vor der nordrhein-westfälischen Landtagswahl statt.
(Otto Fricke (FDP): Aber vorher!)
Herr Schäuble, Sie haben gesagt, für 2010 müssten Sie keine mittelfristige Finanzplanung vorlegen. Da haben Sie Recht. Aber für 2011 müssen Sie das tun.
(Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister: Klar!)
Sie haben im Rahmen der goldenen Regeln ? Herr Barthle hat sie eben hier zitiert ? das Top-down-Prinzip festgelegt. Sie sagen also, wie hoch die maximale Kreditaufnahme ist, und dann sagen Sie den Ressorts, wie viel sie bekommen. Sie haben ein Haushaltsaufstellungsrundschreiben herumgeschickt ? das ist der Beginn der Verhandlungen ?, in dem nichts davon steht. Außer Rhetorik und Ankündigungen, dass alles schwierig wird und gespart werden muss, steht keine politische Entscheidung der Regierung, wohin es gehen soll, am Beginn dieses Verfahrens.
Das wollen Sie innerhalb eines Monats nach der Steuerschätzung machen. Was wird die Steuerschätzung denn bringen? Wir wissen, das strukturelle Defizit beträgt 70 Milliarden Euro. Vielleicht sind es 72 Milliarden Euro, vielleicht sind es 68 Milliarden Euro. Dies ändert aber nichts an der Substanz.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Das ist angekündigter Wahlbetrug vor einer Landtagswahl. Anders kann ich das ? es tut mir Leid ? nicht formulieren.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir sind nicht irgendjemand. Das ist die größte Volkswirtschaft Europas. Wir treffen wichtige Entscheidungen. Bald kommt das Jahr 2012. 2013 steht schon wieder eine Wahl an. Ich weiß nicht, wann Sie mit der Wahrheit herausrücken wollen. Sie müssen diese Antworten aber geben, gerade auch im europäischen Kontext. Wenn Sie weiterhin wollen, dass wir uns niedrig verschulden, dass die Leute uns vertrauen und Geld geben, dann müssen Sie einen klaren Fahrplan haben. Nichts haben Sie! Sie riskieren eine Inflation. Sie riskieren steigende Zinsen. Sie riskieren, dass das Sparguthaben der kleinen Leute nichts mehr wert sein wird.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich weiß nicht, was für Sie noch wichtig ist. Wir haben noch viele Landtagswahlen, vielleicht gibt es noch eine Oberbürgermeisterwahl oder eine Kreistagswahl in Buxtehude. Denn danach wird jetzt die Bundesrepublik Deutschland geführt. Das ist ein Trauerspiel.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ? Heinz-Peter Haustein (FDP): Die SPD ist ein Trauerspiel!)
Die FDP ist ja nun wirklich mein Liebling. Sie haben immer ein sogenanntes Sparbuch vorgelegt. Ich muss Ihnen sagen: Wir befinden uns am Beginn der Beratungen des Haushalts. Ich habe nicht gehört, was Sie machen wollen. Ich habe nicht vernommen, welche Veränderungen Sie vornehmen wollen. Die schon genannten 10 Milliarden Euro haben Sie verjuxt; das ist gegessen. Aber Sie haben einmal ein großes Paket mit Sparvorschlägen eingebracht, das jetzt, nachdem Sie an der Regierung sind, nichts mehr wert ist. Das gibt es nicht mehr! Sie wollten Stellen von Staatssekretären streichen. Das Entwicklungshilfeministerium wollten Sie abschaffen.
(Joachim Poß (SPD): Ja, ja! ? Sören Bartol (SPD): Nichts ist passiert!)
Ich sehe Herrn Niebel hier. Es konnte gar nicht schnell genug gehen, dass er ? von langer Hand geplant ? Abteilungsleiter wird und den Ministerjob annimmt. Keinen dieser Vorschläge bringen Sie ein. Es ist nur heiße Luft.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Finanzpolitisch haben Sie sich damit jeglicher Seriosität beraubt.
Ich bin gespannt. Wir werden Ihnen Vorschläge, zumindest die, die Ministerien, Öffentlichkeitsarbeit, Staatssekretäre etc. betreffen, vorlegen. Sie können sich dazu verhalten.
(Otto Fricke (FDP): Das ist Rosinenpickerei! – Joachim Poß (SPD): Dafür bekommt Thiele einen neuen Job!)
Aber Sie haben die Pöstchen ja schon alle besetzt. Tut mir leid, Otto, dass es für Dich nicht geklappt hat. Aber für alle anderen, die sich jetzt breit machen, ist genug dabei gewesen.
(Joachim Poß (SPD): Es kommen ja noch welche!)
Ich befürchte, dass Sie im Mai feststellen werden: Wir haben nur noch einen Monat Zeit bis zum Beschluss des Haushalts im Kabinett, nur noch einen Monat, um 15 Milliarden Euro einzusparen. Obwohl das nicht so schnell geht, müssen wir eine Entscheidung treffen. Was wird das für eine Entscheidung sein? Sie können den Ausgleich für das strukturelle Defizit für 2011 sehr schnell erbringen, indem Sie den Arbeitslosenversicherungsbeitrag erhöhen. Ich prophezeie Ihnen: Sie werden im Juni vereinbaren, den Arbeitslosenversicherungsbeitrag für 2011 zu erhöhen.
(Bettina Hagedorn (SPD): Ja!)
Wer zahlt den? Den Arbeitslosenversicherungsbeitrag, den Sozialversicherungsbeitrag zahlen alle, die ab dem ersten Euro einzahlen. Im unteren Einkommensbereich ist der Beitrag überproportional höher, weil wir im oberen die Beitragsbemessungsgrenze haben, auch in anderen Bereichen der Sozialversicherung. Sie entlasten also die, die Einkommensteuer zahlen. Das sind vor allem die, die oben sind. Die, die unten sind, werden belastet. Das ist nicht nur unsozial, sondern auch ökonomisch unsinnig.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie haben die Chance, das auszuschließen. Sagen Sie doch vor der Wahl, damit die Menschen Klarheit haben, dass Sie das nicht tun werden, dass der Arbeitslosenversicherungsbeitrag und die Sozialabgaben nicht erhöht werden. Tun Sie das? Bekommen wir darauf eine klare Antwort?
(Hubertus Heil (Peine) (SPD): Schweigen im Walde!)
Ich höre nichts!
Der Haushalt 2010, den Sie vorlegen, hat eine Grundsubstanz, die noch aus unserer Regierungszeit stammt. Sie haben sofort Ihre Lobbygeschenke obendrauf gepackt.
(Joachim Poß (SPD): So ist es!)
Ich zitiere die Süddeutsche Zeitung:
Nicht erst seit Westerwelles Geschwurbel von einer geistig-politischen Wende scheint es, als sei diese Regierung seltsam aus der Zeit gefallen. Vielleicht ist das Bündnis aus einer kraftlosen CDU, einer unberechenbaren CSU und einer hypertrophen FDP einfach die falsche Regierung für die Probleme der nächsten Jahre.
Ich glaube, der Autor hat Recht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
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