Am gestrigen Donnerstag war ich zusammen mit Peer Steinbrück Redner auf dem Innovationsdialog „Zukunft der Finanzmärkte“ in Berlin – eine Veranstaltung der von mir mit herausgegebenen Zeitschrift „Berliner Republik“. Auf dem anschließenden Podium saßen zudem Theodor Weimar, Vorstandsvorsitzender der UniCredit Deutschland AG, und der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands Georg Fahrenschon.

Weitgehende Einigkeit bestand darüber, dass die Finanzmärkte im Verhältnis zur Realwirtschaft zu groß geworden sind. Außerdem ist die Politik erpressbar: Wenn eine Bank als „too big to fail“ gilt – also als zu groß und systemrelevant, um sie fallen zu lassen – dann hat der Staat im Krisenfall keine andere Wahl, als sie zu retten, auch wenn die Misere selbst verschuldet ist. Deshalb drehte sich ein großer Teil der Debatte um die Frage, wie das Bankensystem besser reguliert werden kann. Eine wichtige Forderung: Wir brauchen ein Bankeninsolvenzrecht. Und der spekulative Handel mit Kreditausfallversicherungen muss verboten werden. „Die Banken haben an dieser Regulierungsdebatte ein eigenes Interesse“, sagte Steinbrück. „Denn dass der deutsche Staat noch einmal 500 Milliarden Euro für die Rettung von Banken zur Verfügung stellt, während andernorts das Geld für Kitaplätze und Schulen fehlt, ist völlig ausgeschlossen.“

Heute war ich auf Einladung meines SPD-Fraktionskollegen Burkhard Lischka in Magdeburg zu Gast auf der Podiumsveranstaltung „Rettungsschirme, Sparpakete oder Hebel – wie soll die Eurorettung funktionieren“.

Es entwickelte sich eine lebendige Debatte: Über die Konsequenzen der unterschiedlichen europäischen Rettungsinstrumente und die möglichen Auswirkungen auf den Bundeshaushalt diskutierte ich unter anderem mit Klemens Gutmann, Präsident der Arbeitgeberverbände Sachsen-Anhalt sowie mit Jakob von Weizsäcker, Abteilungsleiter im Thüringer Wirtschaftsministerium. Ein großer Dank gilt der Friedrich-Ebert-Stiftung Sachsen-Anhalt, die diese Veranstaltung ermöglicht hat.

 

Nach mehreren intensiven Verhandlungsrunden, an denen ich beteiligt war, einigten sich heute Bundesregierung sowie SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf den europäischen Fiskalpakt. Die Einigung wurde möglich, nachdem die Bundesregierung ihre Position in wesentlichen Punkten korrigiert und unsere Forderung nach einem europäischen „Pakt für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung“ akzeptiert hatte, den sie auf dem Europäischen Rat in der kommenden Woche einbringen wird.

Das beschlossene Maßnahmenpaket enthält die Besteuerung der Finanzmärkte, mit der wir endlich diejenigen an den Kosten der Krise beteiligen, die sie verursacht haben. Mit den Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer können höhere Investitionen in Wachstum und Beschäftigung finanziert werden. Dies ist die notwendige Abkehr von der reinen Sparpolitik, mit der die Schulden nicht wirksam abgebaut werden können.

Am Ende werden wir dem Fiskalvertrag in der kommenden Woche im Bundestag allerdings nur zustimmen, wenn sich Bund und Länder auch noch darüber einigen.

Die heutige Einigung finden Sie hier.

Zu Beginn der Woche habe ich an der Konferenz der finanz-, haushalts- und kommunalpolitischen Sprecherinnen und Sprecher der SPD-Bundestags- und der SPD-Landtagsfraktionen im Hamburger Rathaus teilgenommen. Wir haben uns mit aktuellen finanzpolitischen Themen ausei­nandergesetzt und folgende Resolution beschlossen:

Hamburger Resolution der finanz-, haushalts- und kommunalpolitischen Sprecherinnen und Sprecher der SPD-Fraktionen des Bundestages, des Abgeordnetenhauses, der Bürger­schaften und der Landtage vom 19. Juni 2012

I.

Angesichts der strikten Konsolidierungsvorgabe der grundgesetzlichen Schuldenbremse, die ab 2020 eine Neuverschuldung der Länder grundsätzlich untersagt, und der im Jahre 2019 auslau­fenden Regelungen zum Länderfinanzausgleich, müssen Grundsatzfragen der Finanz- und Haushaltspolitik und die künftigen Finanzbeziehungen von Bund und Ländern unter besonderer Berücksichtigung der finanziellen Lage der Länder und Kommunen erörtert und gelöst werden.

Die finanz-, haushalts- und kommunalpolitischen Sprecherinnen und Sprecher der SPD­Fraktionen fordern daher, die Landesparlamente bei der anstehenden Neugestaltung der Bund­Länder-Finanzbeziehungen intensiv und frühzeitig einzubeziehen. Hierbei ist insbesondere die Budgethoheit der Landesparlamente sicherzustellen, was eine gleichberechtigte Beteiligung an den Verhandlungen über die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen umfasst.

II.

Im Hinblick auf die Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition, Bund und Ländern, zum Europäischen Fiskalpakt ist festzuhalten, dass weder der Bundestag noch die Landespar­lamente in die Erarbeitung dieses Vertragswerks eingebunden wurden.

Mit der heutigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Informationsrechten der Parlamente bei den europäischen Angelegenheiten hat die Bundesregierung eine schwere Nie­derlage erlitten.

Die sich aus dem Vertragswerk ergebenden fiskalischen und budgetrechtlichen Auswirkungen auf die Länder sind immer noch nicht hinreichend geklärt. Entscheidend ist nach Auffassung der Sprecherinnen und Sprecher der SPD-Fraktionen, dass der Fiskalpakt nicht zu Belastungen der Länderhaushalte führen darf, die über die Regelungen des Grundgesetzes zur Schuldenbremse hinausgehen.

III.

Die finanz-, haushalts- und kommunalpolitischen Sprecherinnen und Sprecher der SPD-Fraktionen halten es für zweckmäßig, ein Gremium zu schaffen, das die Aufgabe hat, die politi­schen Entscheidungen zur Einhaltung der haushalts- und finanzpolitischen Regeln des Grund­gesetzes und der europäischen Ebene sowie haushalts- und finanzpolitische Aspekte von Ge­setzesvorhaben zu begutachten und die Parlamente zu beraten.

IV.

Angesichts des Neuverschuldungsverbots des Grundgesetzes und der damit verbundenen Aus­trocknung des Marktes für Länderanleihen, begrüßen die finanz-, haushalts- und kommunalpoli­tischen Sprecherinnen und Sprecher der SPD-Fraktionen die Initiative von Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz, künftig „Deutschland-Anleihen“ aufzulegen, um Bund und Ländern einen gemeinsamen Zugang zum Kapitalmarkt mit optimalen Zinskonditionen zu eröffnen. Der Vorschlag sollte vorurteilsfrei weiterverfolgt werden.

V.

Auf positive Resonanz bei den Sprecherinnen und Sprechern der SPD-Landtagsfraktionen trifft der Vorschlag von Olaf Scholz, der unter noch zu konkretisierenden Bedingungen die Verwen­dung des sogenannten Solidaritätszuschlags ab 2020 zur Entlastung der Länder von Zinszah­lungen für die Altschulden vorsieht, um damit deren Tilgung zu erleichtern. Die Sprecherinnen und Sprecher der SPD-Landtagsfraktionen bewerten den Vorstoß als sehr guten Vorschlag für den Schuldenabbau.

VI.

Die Einhaltung der Schuldenbremse stellt für die Länder eine große Herausforderung dar. Steuersenkungen auf Bundesebene konterkarieren bisherige Konsolidierungsbemühungen und schränken finanzielle Handlungsspielräume weiter ein. Die finanz-, haushalts- und kommunal­politischen Sprecherinnen und Sprecher der SPD-Fraktionen erteilen daher jeglichen Steuer­senkungsplänen der Bundesregierung eine klare Absage.

Die Forderung der SPD-Bundestagsfraktion, die Einnahmen des Staates durch eine Finanz­transaktionssteuer zu verbreitern und gerechter zu gestalten, wird von den Sprecherinnen und Sprechern unterstützt. Die Durchsetzung dieser Steuer im Rahmen der Fiskalpaktverhandlun­gen ist ein großer Erfolg für die SPD.

Heute nahm ich auf Einladung meines Fraktionskollegen Lars Klingbeil in Soltau an einer Veranstaltung „Fraktion vor Ort“ teil. Vor rund 100 Gästen stand die europäische Schuldenkrise im Mittelpunkt. In meinem Vortrag stellte ich klar, dass wir in Zukunft eine stärkere europäische Koordinierung auch in der Haushaltspolitik benötigen. Außerdem warb ich für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, deren Einnahmen für dringend notwendige Wachstumsimpulse verwendet werden müssen. Die anschließende Diskussion zeigte einmal mehr, wie sehr das Thema Europa die Menschen derzeit bewegt – ob in Niedersachsen bei Lars Klingbeil oder in meiner Heimat Thüringen.

Diese Woche hatte ich die Ehre, auf dem Jahresempfang des SPD-Unterbezirks Prignitz in Perleberg (Brandenburg) einen Vortrag über die europäische Krise und die Zukunft der Finanzmärkte zu halten. Für mich war es eine willkommene Gelegenheit, meine Sicht der Dinge darzulegen – und mit den Genossen vor Ort in die Diskussion zu kommen. Übrigens hat der Landkreis Prignitz als strukturschwache Region in der Vergangenheit viele Mittel aus den Europäischen Strukturfonds erhalten, unter anderem für den Deichbau und die Sanierung von Fachwerkhäusern. Nicht nur, aber auch deshalb ist die EU bei den Prignitzern hoch angesehen.

Der Bundestag muss trotz Euro-Schuldenkrise die Hoheit über die Haushaltspolitik in Deutschland zurückerobern

Seit dem Beginn der Bankenkrise im Jahr 2007 steht die Finanzpolitik im Zentrum der politischen Debat­te. Der Ort dieser Debatte und der damit verbundenen Entscheidungen sollte der Deutsche Bundestag sein. Doch die Be­völkerung erlebt die politischen Reprä­sentanten als Getriebene – in Deutsch­land ebenso wie etwa in Griechenland oder in Italien, wo eine „Expertenregie­rung“ eingesetzt wurde. Die Anweisun­gen für Länder unter dem Rettungs­schirm erarbeiten unbekannte Beamte von EU-Kommission, EZB und IWF. Die Europäische Zentralbank flutet den Ban­kenmarkt mit Milliarden, verschickt blaue Briefe an Regierungen und geht Risiken in Billionen-Höhe ein.

Mit welcher Legitimation treffen Tech­nokraten eigentlich so wegweisende Ent­scheidungen? Und wieso finden die zen­tralen Diskussionen über Europas Zu­kunft in nächtlichen Sitzungen der Regie­rungen statt? Wen wundert es da, dass sich die Bürger von der Politik abwen­den, die sie als ohnmächtig empfinden. Dem einzelnen Abgeordneten begegnen sie im Wahlkreis noch freundlich, aber sie bedauern ihn auch für die zu lösenden Probleme und seinen geringen Einfluss.

Nun soll mit dem Fiskalvertrag für Si­cherheit und Ordnung gesorgt werden, in­dem alle Unterzeichnerstaaten nationale Schuldenbremsen einführen oder, wie in Deutschland, existierende Schuldenregeln anpassen. Doch so wie die Bundesre­gierung den Fiskalvertrag hierzulande implementieren will, erhielten erneut nicht gewählte Experten enormen Ein­fluss – auf Kosten der Parlamente. Nach vielen Dementis musste auch Finanzmi­nister Wolfgang Schäuble eingestehen, dass es fraglich ist, ob die existierende deutsche Schuldenregel mit den Anforde­rungen des Fiskalpaktes vereinbar ist.

Die Einhaltung des Fiskalpakts soll von unabhängigen nationalen Überwa­chungsinstanzen überprüft werden, die hohe Anforderungen erfüllen müssen. Ei­ne solche Form der Überwachung gibt es im Rahmen der deutschen Schuldenregel nicht. Deshalb konnte Schäuble die Vor­schriften bisher dehnen und sich einen Überziehungskredit von rund 50 Milliar­denEuro genehmigen – ein klarer Rechtsbruch. Bevor die Bundesregierung gegen­über anderen Euro-Staaten den Oberleh­rer spielt, sollte sie ihre eigenen Hausauf­gaben machen.

Um die Vorgaben des Fiskalpakts zu erfüllen, will die Bundesregierung den bestehenden „Stabilitätsrat der Finanz­minister von Bund und Ländern“ zum Aufsichtsgremium über die nationale Fis­kalpolitik befördern. Dabei fordert der Vertrag, dass das Überwachungsgremi­um unabhängig sein muss von den rele­vanten fiskalpolitischen Institutionen – und das sind die deutschen Finanzminis­ter mitnichten. Sie sind zentrale Akteu­re! Dieses Manko versucht die Regierung zu kaschieren, indem sie zusätzlich einen Beirat aus Experten von Bundesbank und Wirtschaftsforschungsinstituten ein­setzt. Überschreiten Bund oder Länder die vorgegebenen Verschuldungsgren­zen, sollen die Fachleute Politikempfeh­lungen aussprechen. Aber dieser Beirat wäre in keiner Weise legitimiert, weitrei­chende Ratschläge zu erteilen, die einen unmittelbaren Handlungsdruck auf die politisch verantwortlichen und demokra­tisch legitimierten Entscheidungsträger in Parlament und Regierung ausüben.

Statt eine Expertokratie aus Beamten und Wissenschaftlern einzurichten, muss die Gestaltung der Fiskalpolitik wieder dorthin zurück, wo sie hingehört: in die Hände des Haushaltsgesetzgebers. Nur die Parlamente sind demokratisch le­gitimiert, die zentralen Weichen für das Land zu stellen. Keine Frage: Politik braucht Beratung, auch unkonventionel­le Ideen von außen. Aber zur Überwa­chung der Schuldenregel sollte es einen Schiedsrichter geben, der nicht gleichzei­tig Mitspieler ist und der ein klares, aber begrenztes Mandat hat.

Deshalb schlage ich zwecks Umset­zung des Fiskalvertrages in Deutschland vor, einen Nationalen Rat für Haushalts- ­und Finanzpolitik einzurichten, der orga­nisatorisch gemeinsam von Bundestag und Bundesrat getragen wird. Mit die­sem Rat würde der Haushaltsgesetzge­ber wieder in die Lage versetzt, die parla­mentarische Kernaufgabe – das Budget­recht – angemessen wahrzunehmen. Seit Ausbruch der Finanzkrise hat der Bun­destag viel Macht an die Regierung abgegeben. In immer kürzeren Zeiträumen muss er Entscheidungen von großer Trag­weite und mit erheblicher finanzieller Re­levanz treffen. Erst vor wenigen Mona­ten bestätigte das Bundesverfassungsge­richt die Entscheidungsprärogative des Parlaments auch in Krisenzeiten.

Doch der Bundestag verfügt häufig nicht über die notwendigen Ressourcen, um diese Entscheidungen in angemesse­ner Weise vorzubereiten. Stets ist das Parlament auf Regierungsvorlagen ange­wiesen, oft ohne jede Chance, sie gründ­lich zu prüfen. Es fehlt an Zeit und an Personal. Beispiel Griechenland-Hilfen: Vor der Abstimmung über das zweite Rettungspaket legte das Finanzministerium die entscheidenden Unterlagen über die Schuldentragfähigkeit des Landes nicht nur viel zu spät vor. Sie waren obendrein auch noch unvollständig.

Der von mir vorgeschlagene Rat würde die Anforderungen des Fiskalvertrages erfüllen und könnte gleichzeitig dazu die­nen, der Regierung die Festlegung der Pa­rameter zu entziehen, welche die zulässi­ge Nettokreditaufnahme bestimmen und die Schuldenregel somit gleichsam objek­tivieren. Außerdem wäre der Bundestag mit einem solchen Werkzeug besser in der Lage, die Kosten von Gesetzgebungs­vorhaben oder Beschaffungen abzuschät­zen und zu bewerten. Denn abgesehen von der Kontrolle des Bundesrechnungs­hofes bleiben sämtliche Zahlenangaben der Regierung bisher ungeprüft.

Viele andere Länder verfügen bereits über entsprechende parlamentarische In­stitutionen, zum Beispiel Schweden (Fis­cal Policy Council), die Niederlande (Bu­reau for Economic Policy Analysis), Großbritannien (Office for Budget Re­sponsibility) und natürlich die Vereinig­ten Staaten. Das dortige Congressional Budget Office ist die wohl stärkste Aus­prägung des parlamentarischen Selbstbe­hauptungswillens weltweit. Ein solches parlamentarisches Beratungsgremium könnte die Aushöhlung der parlamentari­schen Mitwirkungsrechte in den vergan­genen Jahren teilweise revidieren und den Bundestag wieder in die Lage verset­zen, seiner Kernaufgabe als (Haushalts-)Gesetzgeber gerecht zu werden. Das Parlament muss wieder selbstbe­wusster werden, sonst verkommt die Ge­waltenteilung zu einer leeren Formel.

 

Namensbeitrag von Carsten Schneider, haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Vorsitzender der Landesgruppe Thüringen, erschienen in der Süddeutschen Zeitung am 13. Juni 2012

Ich bedanke mich bei allen Läuferinnen und Läufern sowie Sponsoren für die Unterstützung der 7. Auflage von „Erfurt rennt“ am vergangenen Samstag.

Sonnenschein, Superstimmung und ein starkes Zeichen für eine weltoffene Stadt: Die sehr gute Organisation durch den Verein „Springboard to Learning“ hat sich ausgezahlt. Von dem Erlös können wieder viele Unterrichtsstunden mit ausländischen Lehrerinnen und Lehrern in Erfurter Schulen finanziert werden. Eine gute Investition in die Zukunft und einmal mehr ein tolles Lauferlebnis…

 

Ostdeutschland 2020 – Die Zukunft des „Aufbau Ost“ lautet der Titel einer Studie, die heute in Berlin vorgestellt wurde und die das Landesbüro Thüringen der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegeben hatte:

Nach wie vor hat Ostdeutschland die gleichen Probleme: Die Wirtschaftskraft liegt bei 70 Prozent des westdeutschen Niveaus, die Arbeitslosenquote ist mit rund 12 Prozent weiterhin fast doppelt so hoch und die Löhne liegen teilweise deutlich unter Westniveau.

Besonders in den niedrigen Löhnen sehe ich einen entscheidenden Standortnachteil für den Osten. Klar ist deshalb: Die Löhne müssen steigen, um vor allem Fachkräfte zu halten und auch anwerben zu können. In einigen Branchen herrscht bereits ein erheblicher Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Ostdeutsche Unternehmen werden Lohnanreize setzen müssen.

Außerdem muss der Bund mehr in Forschung und Entwicklung im Osten investieren und die dortige wissenschaftliche Infrastruktur ausbauen. Innovationen lösen wirtschaftliche Impulse aus und setzen dadurch positive Entwicklungen in Gang.

Einen Aspekt, den die Studie nicht beleuchtet, ist der Kulturreichtum. Auch er prägt das Image Ostdeutschlands und übt eine Anziehungskraft aus. Aus meiner Sicht ist es notwendig, dass der Bund eine größere finanzielle Verantwortung zur Förderung des kulturellen Erbes übernimmt.

Dies sind einige der Forderungen, die ich im Rahmen meiner Kommentierung der Studienergebnisse aufgestellt habe. Die komplette Studie ist hier als Download verfügbar.

 

Interview in mdr aktuell vom 24. Mai 2012 im Wortlaut:

Christoph Sagurna: Herr Schneider, die Studie, die uns hier gerade von den Autoren der Friedrich-Ebert-Stiftung vorgestellt wurde, sagt im Groben, dass die Lebensverhältnissen in Ost und West noch eine ganze Weile – wenn nicht sogar für immer – unterschiedlich bleiben. Überrascht Sie das Ergebnis?

Carsten Schneider: Nein, das Ergebnis überrascht mich nicht. Denn es gibt sowohl im Westen wie im Osten unterschiedlich wachsende Regionen und unterschiedlich starke Regionen. Also der Gesamtschnitt ist immer einer, der nie die gesamte Wahrheit abbildet, und wir haben einfach in Ostdeutschland die Situation, dass uns die großen Unternehmen mit ihren Hauptsitzen fehlen und deswegen eben auch die Steuerkraft, die Arbeitsplätze und die Innovationsfähigkeit. Das ist das Hauptmanko, was einer Angleichung letztendlich im Wege steht und was wahrscheinlich noch sehr lange dauern wird.

Sagurna: Wenn ich die Studie richtig verstanden habe, zucken die Wissenschaftler ja mit den Schultern und sagen, da kann man nichts machen, das ist halt so. Während die Politik in der Pflicht ist, verfassungsgemäß schon in der Pflicht ist, die Lebensverhältnisse anzugleichen. Was kann die Politik tun, um dieser Studie mittelfristig zu wiedersprechen?

Schneider: Zwei Punkte sind notwendig. Erstens wir brauchen in den ostdeutschen Bundesländern auch in den nächsten Jahre eine Finanzausstattung für die Kommunen aber auch für die Länder, dass sie ihre Aufgaben finanzieren können: öffentliche Sicherheit, Bildung, Kindergärten und Hochschulen. Das heißt, ein neuer Länderfinanzausgleich muss diese Finanzkraft sicherstellen.

Der zweite Punkt ist: Was tut man noch zusätzlich, damit die Regionen in Ostdeutschland prosperieren, dass sie wachsen können? Und das ist vor allen Dingen die Frage nach Investitionen, Geld vom Bund für die Wissenschaft, für neue Großforschungseinrichtungen und -zentren, die leuchten dann letztendlich auch wieder machen Städte attraktiv machen. Und vor allem führen sie dazu, dass aus den Erkenntnissen irgendwann auch einmal Arbeitsplätze werden. Das fehlt bisher total in der Strategie der Bundesregierung und deswegen meine ich, muss das berücksichtigt werden.

Sagurna: Jetzt habe ich gerade vor meinem geistigen Augen zum Beispiel den Oberbürgermeister von Oberhausen gesehen, wie er sagt: Oh, Länderfinanzausgleich zugunsten der Ost-Kommunen und Länder. Noch mehr Geldtransfer West-Ost. Würden Sie diesem Klagegrund etwas entgegenhalten können?

Schneider: Also der Länderfinanzausgleich ist ja befristet bis 2019. Er muss neu geordnet werden. Und die ostdeutschen Länder sind sogar benachteiligt, weil die Finanzkraft – was die Städte und Gemeinden an Geld einnehmen – nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt wird. Es wird bei der Neuordnung oder Neuverhandlung dann auch darum gehen, dass man auch demografische Lasten ausgleicht, nicht so sehr Ost-West, sondern wirklich gesamtdeutsch einen Ausgleich der Finanzkraft hinbekommt. So dass wir überall lebenswerte Regionen haben.

Sagurna: Das habe ich eben schon aus Ihrer Antwort gehört und mich gefragt: Ist es denn überhaupt sinnvoll heutzutage noch genau diese Ost-West-Frage bei den Lebensverhältnissen zu stellen oder müsste die Differenzierung nicht eine ganz andere sein, um nicht auch eine moralische Schieflage zu erzeugen, die gar nicht gerechtfertigt ist? Sie selber haben ja von dem Durchschnitt gesprochen.

Schneider: Ja also, klar ist der Solidarpakt II gilt jetzt bis 2019. Das muss auch sein. Danach wird es nicht mehr nach Himmelsrichtungen gehen, ob das nun im Osten oder im Westen eine Stadt ist oder ein Land, sondern es wird darum gehen, wie der Bedarf ist. Da wird es Allianzen zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern und vielleicht Sachsen und Bayern geben. Das muss man dann sehen. Es wird dann eher wirklich darum gehen: Wie ist die Situation und wie können überall die Menschen halbwegs ordentlich leben.

Sagurna: Kommunalfinanzen ist ein schwieriges Thema und sicherlich zu schwierig, um es in einer Antwort zu erklären. Aber vielleicht noch mal das Beispiel, was Sie eben auf dem Podium in den Mund genommen haben. Es gibt Oberhausen, es gibt Duisburg, es gibt aber auch Bonn, es gibt Dresden, es gibt aber auch sächsisches Land, wo die Kommunen sehr viel schlechter in der Einnahmesituation dastehen. Wieso ist das falsch berücksichtigt, wenn es um den Länderfinanzausgleich geht, der neu geordnet werden muss? Wenn Sie das an einem Beispiel noch einmal versuchen könnten zu erklären.

Schneider: Also der Länderfinanzausgleich gleicht die Steuereinnahmen in etwa aus. Bei den Kommunen, bei den Städten ist es aber so, dass sie Gewerbesteuereinnahmen haben, die auch Teil der Länderfinanzen sind. Die Gewerbesteuereinnahmen, die in Stuttgart natürlich wegen Daimler und Porsche viel höher sind als vielleicht in Leipzig, die werden nur zu zwei Dritteln einberechnet. Das heißt, tatsächlich ist der Osten dadurch benachteiligt, weil wir nicht so viel Gewerbesteuereinnahmen haben und deswegen der Ausgleich nicht so hoch ist, wie er eigentlich sein müsste.

Sagurna: Ganz zum Schluss, das habe ich eben Dr. Ragnitz auch gefragt: Die Definition von Lebensverhältnissen wird ja in dieser Studie rein an den ökonomischen Lebensverhältnissen bemessen. Wie viel Geld ist im Portemonnaie. Ist das überhaupt eine relevante Definition? Wenn ich daran denke, dass Menschen ihr lebensglück nicht unbedingt ausschließlich übers Portemonnaie definieren. In anderen Worten: Wenn jetzt jemand in Ostdeutschland die Ergebnisse dieser Studie sieht, oh Gott wir sind immer noch so viel hinterher und es wir noch so ewig lange dauern. Wird der nicht allein unglücklich durch das Lesen der Studie, obwohl er gar nicht so unglücklich sein müsste?

Schneider: Erstens gibt es in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt eine große Heimatverbundenheit der Menschen. Die wollen lieber zu Hause bei sich in ihren Regionen bleiben und dort auch leben und arbeiten als  wegzugehen. Aber der entscheidende Punkt ist der Lohn. Und wenn die Löhne weiterhin deutlich niedriger sind als in Stuttgart oder München oder eben auch in Oldenburg, dann wird es eher einen Verlust von Menschen geben, weil sie abwandern werden. Und wir brauchen sie alle hier und deswegen ist Geld schon ein Aspekt, nicht der entscheidende, aber die Löhne in Ostdeutschland müssen steigen.

Sagurna: Allerletzte Frage, auch das etwas aufgegriffen aus Ihrer Antwort eben. Dem Bund sind häufig die Hände gebunden: Kooperationsverbot ist ein Beispiel. Sie fordern einen stärkeren Bund bei der Hilfe, die Lebensumstände anzugleichen. Wie könnte das aussehen?

Schneider: Also der Bund ist qua Gesetz in vielen Punkten nicht berechtigt, den ostdeutschen Ländern zu helfen. Zum Beispiel zu sagen, die Klassikstiftung Weimar oder die Universität Dresden übernehmen wir in unsere Verantwortung, wenn das Land das auch möchte. Ich finde, das muss aber möglich sein, so eine Art von Experimentierklausel, dass der Bund stärker Verantwortung auch für sein Erbe, historisches Erbe übernimmt. Und dann letztendlich diese Einrichtungen mit finanziert, die Länder entlastet und sie auch zum Blühen bringt. Diese Experimentierklausel ist zwingend notwendig.

Sagurna: Ist das bei diesen starren föderalen Strukturen, die wir haben, überhaupt denkbar? Ist das möglich so eine Ausnahmeregelung?

Schneider: Gesetzlich ist das möglich, man muss das Gesetz letztendlich ändern. Und ich hoffe, das wir für so etwas auch eine aktive Mehrheit bekommen.

Sagurna: Ich danke vielmals für das Gespräch