Die Bundesregierung wird mit dem Entwurf für den Bundeshaushalt 2012 und der Finanzplanung bis 2015 der Verantwortung, die Deutschland als größte Volkswirtschaft in Europa zukommt, nicht gerecht.
Wir erleben derzeit den stärksten Aufschwung seit zwanzig Jahren, mit steigenden Steuereinnahmen und sinkenden Arbeitslosenzahlen. Die Regierung Merkel/Rösler ist dennoch nicht in der Lage, diese positiven Rahmenbedingungen zu nutzen, um Deutschland auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten. Statt die Neuverschuldung nun schneller zu senken, werden die konjunkturellen Mehreinnahmen für zusätzliche Ausgaben über die Ministerien verteilt. Der Bundesfinanzminister lässt es zu, dass diese Mittel als Kitt für den Zusammenhalt der ehemaligen Wunschkoalition genutzt werden.
Damit wird die Schuldenregel weiterhin nicht verfassungskonform angewendet. Dies gilt insbesondere für die kommenden zwei Jahre, ab 2014 könnte die Koalition das nur schaffen, wenn sie die Globale Minderausgabe tatsächlich auch erbringt. Die Kennziffern des Haushaltes verstoßen aber auch gegen die alte Schuldenregel im Grundgesetz: Mit einer Nettokreditaufnahme von 27,2 Milliarden Euro liegen die neuen Schulden um 800 Millionen Euro über den Investitionen in Höhe von 26,4 Milliarden Euro. Dass die Neuverschuldung im Aufschwung nicht stärker abgesenkt wird, ist umso schlimmer, als die Steuereinnahmen im nächsten Jahr das Vorkrisenniveau 2008 um mehr als acht Milliarden übersteigen.
Dabei steigt der Anteil der Zinsbelastung an den Ausgaben im Bundeshaushalt von 11,6 Prozent in diesem Jahr auf 15,6 Prozent in 2015.
Obwohl der Bundesfinanzminister die Finanzplanung durch die Umstellung des Haushaltsaufstellungsverfahrens auf das so genannte top-down-Prinzip als Instrument gestärkt hat, wurde durch die heutige Kenntnisnahme des Koalitionsbeschlusses im Kabinett zur Steuersenkung der neue Finanzplan zur Makulatur. Die Mindereinnahmen durch eine Steuersenkung sind dort nicht dargestellt. Eine eventuell vorgesehene Gegenfinanzierung für dauerhafte Mindereinnahmen durch konjunkturell bedingte Steuermehreinnahmen kommt bei einer verfassungskonformen Anwendung des Grundgesetzes jedenfalls nicht in Frage.
Durch ihren Umgang mit der Schuldenregel im Grundgesetz gibt die Bundesregierung ein schlechtes Beispiel gegenüber den deutschen Bundesländern und den Mitgliedsstaaten der EU hinsichtlich einer unsoliden Finanzpolitik. Wer, wie die Bundeskanzlerin, von anderen Ländern eine regelgebundene Fiskalpolitik fordert, die eigenen nationalen Regeln aber mit Füßen tritt, macht sich unglaubwürdig. Dies gilt auch für den Abbaupfad für die Übergangsphase bis zur Einhaltung der Schuldenbremse. Die Regierungskoalition hat sich durch ihre regelwidrige Anwendung der Schuldenregel ein Verschuldungspolster angelegt, das nun auch auf dem Kontrollkonto – dem Gedächtnis der Schuldenbremse – gebucht wird, wie die Bundesbank und der Bundesrechnungshof dargelegt haben.
Der Bundesfinanzminister verabschiedet sich von der Konsolidierungslinie des Vorjahres und dem so genannten Zukunftspaket. Statt die Zügel anzuziehen, wie man es erwarten konnte, wurden die Ressortkollegen durch zum Teil satte Zuschläge zu dem bisherigen Ausgaberahmen ruhig gestellt. Gegenüber dem alten Finanzplan steigen die Ausgaben 2012 um fünf Milliarden Euro (+ 1,7 Prozent). Alle Ressorts können zum Teil erhebliche Zuwächse verbuchen, lediglich der Etat des BMAS geht um ganze 0,8 Prozent zurück und der BMU-Etat um 6 Prozent, dies allerdings nur bedingt durch eine Verschiebung vorgesehener Ausgaben für Schacht Konrad auf der Zeitschiene.
Der Haushalt 2012 und der Finanzplan bis 2015 fallen deutlich hinter die Planzahlen aus dem vorigen Jahr zurück. Durch die positive konjunkturelle Entwicklung entstehen 2012 gegenüber den Finanzplanzahlen des vorigen Jahres zusätzliche Steuereinnahmen in Höhe von 14,6 Milliarden und Minderausgaben beim Arbeitsmarkt in Höhe von 4,7 Milliarden Euro. Diese Verbesserung im Haushalt um 19,3 Milliarden Euro wird jedoch nicht genutzt, um die Neuverschuldung stärker abzusenken, wozu sich die Regierung noch im Eckwertebeschluss vom 16. März verpflichtet hatte.
Im letzten Finanzplan war die Nettokreditaufnahme für 2012 noch mit 40,1 Milliarden Euro veranschlagt, sie könnte konjunkturbedingt – also ohne jedes Zutun des BMF – auf rund 20 Milliarden Euro absinken. Sie liegt aber im Haushaltsentwurf bei 27,2 Milliarden Euro, also rund sieben Milliarden Euro höher. Ein Großteil der konjunkturell bedingten Haushaltsverbesserung wird also verfrühstückt, statt damit zu konsolidieren.
Dabei hatte die FDP erst vor wenigen Tagen beschlossen, Mehrausgaben im Haushalt verhindern zu wollen, um ihre Steuersenkungsforderung finanzieren zu können. Die zusätzlichen Ausgaben werden über fast alle Etats verstreut. Besonders gut bedacht wurden die FDP geführten Ressorts des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie das Bundesministerium für Verteidigung (BMVg).
Ein wesentlicher Punkt ist die weitgehende Zurücknahme der Einsparungen beim BMVg: Der Ausgabenrahmen steigt gegenüber der letzten Finanzplanung um insgesamt rund fünf Milliarden Euro (wobei die Mehrausgaben für das einheitliche Liegenschaftsmanagement schon herausgerechnet sind) und hinzu kommt noch ein Ansatz von eine Milliarde Euro pro Jahr schon ab 2012 für Personalausgaben des BMVg, die der Optik halber jetzt im Einzelplan 60 ausgewiesen sind. Für den Zeitraum 2012 bis 2015 erhält BMVg auf diesem Umweg also insgesamt vier Milliarden Euro, die zu den fünf Milliarden Euro hinzuzurechnen sind. In der Summe erhält der Verteidiger also neun Milliarden Euro mehr als im vorigen Jahr eingeplant waren.
Noch dramatischer wird es auf der weiteren Strecke bis 2015. Die Ausgabenansätze liegen insgesamt um 38 Milliarden Euro über denjenigen des letzten Finanzplans. Das ist aber nur der sichtbare Teil des Eisberges, hinzu kommt nämlich eine Absenkung bei den Arbeitsmarktausgaben gegenüber dem letzten Finanzplan um 17 bis 19 Milliarden Euro, die offensichtlich wieder für andere Ausgaben eingesetzt sind. Insgesamt sind in dieser Planung für 2012 bis 2015 Mehrausgaben insbesondere durch Umschichtungen von rund 55 Milliarden Euro gegenüber der letzten Planung enthalten. Konsolidierung sieht wirklich anders aus und dabei stecken auch noch Globale Minderausgaben von rund zehn Milliarden Euro für 2014 und 2015 in der Planung. Dass diese Globale Minderausgaben immer noch nicht aufgelöst wurde, ist ein Armutszeugnis für den Bundesfinanzminister.