Der Kommentar „Abbruch West“ von Bernd Dörries in der Süddeutschen Zeitung vom 20. März 2012 ist ein Ärgernis. Dörries gibt vor, mutig ein Tabu zu brechen. Das angebliche Tabu lautet, am Aufbau Ost dürfe nicht gerüttelt werden. Doch ein solches Tabu gibt es gar nicht. Der Solidarpakt II ist in Wirklichkeit streng regressiv gestaltet, das heißt, von Jahr zu Jahr nehmen die Zuweisungen an die ostdeutschen Bundesländer ab. Im Jahr 2012 fließen nur noch 68 Prozent der Summe aus dem Ausgangsjahr 2005 und im Jahr 2020 fließt gar kein Geld mehr. Entsprechend hart sind bereits jetzt die Einschnitte, die die ostdeutschen Länder in ihren Haushalten von Jahr zu Jahr einplanen müssen.
Dörries suggeriert, westdeutsche Städte seien deshalb hoch verschuldet, weil sie ihren Anteil am Solidarpakt zugunsten ostdeutscher Städte aufzubringen hätten. Aber nicht Saalfeld, Rudolstadt oder Weimar sind schuld an der Finanzkrise von Essen, Oberhausen oder Gelsenkirchen. Die Verschuldung westdeutscher Kommunen hat ganz unterschiedliche Gründe: den unbewältigten Strukturwandel weg von der Schwerindustrie, hohe Arbeitslosigkeit, fehlende Steuereinnahmen etwa aus der Gewerbesteuer – aber ganz sicher auch sorgloses Wirtschaften in Vergangenheit und Gegenwart. Aus diesen Gründen gibt es – nicht nur im Ruhrgebiet – Kommunen, die vollständig überschuldet sind und ihrer Schuldenmisere aus eigener Kraft objektiv nicht mehr Herr werden können.
Es ergibt keinen vernünftigen Sinn, die Misere strukturell benachteiligter Regionen in Deutschland als Auseinandersetzung Ost gegen West zu inszenieren. Vielmehr muss es darum gehen, allen in den vergangenen Jahren ausgebluteten Städten und Kommunen eine vernünftige Einnahmebasis zu gewähren, damit auch hoch verschuldete Städte in strukturschwachen Regionen Westdeutschlands wieder ausgeglichene Haushalte erreichen können.
Der richtige Adressat für die Sorgen der verschuldeten Ruhrgebietsstädte muss deshalb die Bundesregierung sein. Pflicht der Regierung Merkel wäre es, den Kommunen angemessene Steuereinnahmen zu ermöglichen. Stattdessen hat die Regierung Merkel die Programme der Städtebauförderung, von denen der Westen profitiert, um durchschnittlich 26 Prozent in diesem Jahr im Vergleich zu 2011 gekürzt. Am stärksten hat es den „Stadtumbau West“ getroffen, der um 50 Prozent zusammengestrichen wurde. Die SPD hingegen hat jüngst ein Finanzkonzept vorgelegt, dass eine Verbesserung der Einnahmesituation der Kommunen vorsieht. In ihrem „Pakt für Bildung und Entschuldung“ will die SPD eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen unter anderem durch eine höhere Besteuerung höherer Einkommen und Vermögen finanzieren.
Davon abgesehen ist es allein Sache der Bundesländer, wie sie ihre innere Finanzverteilung regeln. Jedes einzelne westdeutsche Land hätte die Möglichkeit, finanziell besonders belasteten Kommunen durch Änderungen des landesinternen kommunalen Finanzausgleichs zu helfen.
Ich habe großes Verständnis für die westdeutschen Städte, die finanziell in tiefen Schwierigkeiten stecken. Aber es ist Unsinn, in dieser Frage die Schwachen gegeneinander auszuspielen. Wir waren in dieser Debatte schon einmal weiter.
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