So lautete der Titel, unter dem ich gemeinsam mit 200 Erfurter Bürgerinnen und Bürgern am 13. Oktober auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung Thüringen mit Joachim Gauck über gesellschaftspolitische Themen diskutierte. In einem Grußwort erinnerte der Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein daran, wie im Kaisersaal vor 120 Jahren eines der ersten Parteiprogramme der SPD verabschiedet wurde. Hier fand nach Ende der Verfolgung durch die Bismarck’schen Sozialistengesetze ein Aufbruch der deutschen Sozialdemokratie hin zu neu gestaltender Beteiligung am gesellschaftspolitischen Geschehen statt.
„Denk ich an Deutschland in der Nacht, Dann bin ich um den Schlaf gebracht…“, so lauten die ersten beiden Zeilen eines berühmten Gedichts von Heinrich Heine aus dem Jahr 1843. Joachim Gauck, der vor einem Jahr mit seiner überparteilichen Kandidatur für die Bundespräsidentschaft eine Welle der Sympathie und Euphorie auslöste, möchte diesen Satz nicht unterschreiben. „Es wird besser werden“, prophezeit er. Gauck bezeichnet sich als Realist und äußert dennoch optimistische Gedanken: Er lobt das ehrenamtliche Engagement der Bürgerinnen und Bürger, das ihn ein wenig über die sinkende Wahlbeteiligung der letzten Jahre hinwegtröstet. Auch die Entwicklung der Piratenpartei, die kürzlich in das Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen ist, bezeichnet er als „sehr interessant“ und vielversprechend für unsere Demokratie. Kleine Details wie diese geben Hinweise darauf, dass viele Bürgerinnen und Bürger „aufgewacht“ sind – sich beteiligen wollen, mitwirken und mitgestalten. Allerdings warnt er vor dem Rest: Gauck hat – wie Millionen weitere Bürgerinnen und Bürger – eine lange Zeit der Unterdrückung miterlebt. Angesichts der historischen Erfahrungen aus DDR-Zeiten empfindet er es als besonders unverständlich, wenn sich ein Teil der Deutschen immer noch einen „wohlwollenden Fürsten“ wünscht, der ihnen zwar Gutes will, aber über den Weg, den die Gesellschaft geht, allein entscheidet.
Im Verlauf des Abends sprachen wir auch über aktuelle Fragen: Über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr und den Umgang mit insolvent gehenden Banken oder Staaten kamen wir schließlich zu einem Thema, in dem sich Joachim Gauck besonders gut auskennt: Vor einigen Tagen hat der Bundestag eine Neunovellierung des Stasi-Unterlagengesetzes mit den Stimmen der schwarz-gelben Koalition verabschiedet. Die darin vorgesehene Versetzung von 45 ehemaligen Stasi-Mitarbeitern in andere Behörden kritisiert Gauck scharf. Er hatte als erster Leiter jener Behörde diese Mitarbeiter überhaupt erst eingestellt: „Ich brauchte diese Leute. Die kannten sich aus, sie konnten mir helfen, Akten zu finden und zu verstehen.“
Joachim Gauck ist aufgrund seiner persönlichen Vergangenheit ein eindrucksvoller Mann, der ungeachtet seiner 71 Jahre in lebendiger Art und Weise an gesellschaftspolitischen Diskussionen teilnimmt und immer wieder die Rolle eines überparteilichen, demokratischen Korrektivs einnimmt. Ich habe mich sehr gefreut, in Erfurt mit ihm über seine Vorstellungen diskutieren zu können.
Meistens muss ich Antworten auf die Fragen der Bürgerinnen und Bürger finden. Die „Erfurter Hauptstadtgespräche“ sind eine Gesprächsreihe des Landesbüros Thüringen der Friedrich-Ebert-Stiftung, bei der ich einmal die Fragen stelle. Regelmäßig lade ich Prominente aus Politik und Gesellschaft zu uns nach Erfurt ein, um über aktuelle Themen zu diskutieren und den Erfurter Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zu geben, mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
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