Die mühsam errungene Einigung über eine gemeinsame Bankenkontrolle wurde bereits bei ihrer ersten Anwendung missachtet. Das ausgearbeitete Regelwerk wird durch zu viele Ausnahmen porös Die letzten beiden Monate stellten die europäische Bankenunion auf eine Bewährungsprobe. Wir erinnern uns: Zwischen 2008 und 2015 gaben EU-Mitgliedsstaaten etwa 747 Milliarden Euro für die Rettung notleidender Banken aus, zuzüglich weiterer 1,19 Billionen Euro in Form von Garantien. Manche Länder, allen voran Irland, überstrapazierten ihren Haushalt dabei in derart bedrohlichem Ausmaß, dass aus der Bankenkrise vielerorts eine Staatsschuldenkrise wurde.

Um den sogenannten Staaten-Banken-Nexus zu durchbrechen, verständigten sich die Staats- und Regierungschefs im Juni 2012 auf eine auf drei Säulen basierende Bankenunion, welche im Mai 2014 umgesetzt wurde. Die erste Säule, die europäische Bankenaufsicht (SSM), nahm ihre Tätigkeit 2014 mit dem ersten europäischen Bankenstresstest, der mitunter erhebliche Kapitallücken ans Tageslicht brachte, auf. Der gemeinsame Abwicklungsmechanismus (SRM) sowie die EU-Abwicklungsrichtlinie (BRRD), als zweite Säule, sollten verhindern, dass abermals Bankenverluste sozialisiert werden.

Bail-in statt Bail-out war das Zauberwort. Anstelle der öffentlichen Hand werden nunmehr Eigentümer und Gläubiger im Falle einer Bankensanierung zur Kasse gebeten. Die dritte Säule blieb die Unvollendete. Statt einer gemeinsamen Einlagensicherung, die von vielen als Vergemeinschaftung von Bankverlusten abgelehnt wurde, verwirklichte die Einlagensicherungsrichtlinie (DGSD) harmonisierte nationale Einlagesicherungsfonds, in welche die Banken des Landes Vorsorgezahlungen leisten müssen. Diese Dreifaltigkeit der Bankenregulierung, so hoffte man, würde für Finanzstabilität sorgen und eine Abwälzung von Bankenverlusten auf die Allgemeinheit verhindern.

In den vergangenen zwei Monaten wurde diese Hoffnung getestet. Als erster erfolgreicher Anwendungsfall wurde die spanische Banco Popular Anfang Juni abgewickelt. Die spanische Großbank Santander übernahm die Banco Popular um einen symbolischen Euro. Im Fall einer Bankenpleite sind zwei Kriterien Voraussetzung, um Hilfen aus dem zum Abwicklungsmechanismus gehörenden Fonds beanspruchen zu können: die Feststellung der Insolvenz sowie der systemischen Relevanz eines Institutes durch die europäische Bankenaufsicht (SSM). Wird beides bejaht, fließen EU-Gelder.

Doch bereits wenige Wochen nach der gelungenen Generalprobe zeigten drei italienische Banken, dass Ausnahmen vermeintlich die Regeln bestätigen. Zuerst genehmigte die Kommission im Fall von Monte dei Paschi di Siena, die älteste noch existierende Bank der Welt, eine „vorsorgliche Rekapitalisierung“ in Höhe von 5,4 Milliarden Euro aus dem italienischen Budget. Kurz danach wurde zwei notleidenden venezianischen Volksbanken, der Banca Veneto und der Banca Popolare di Vicenza, mangels ihrer Systemrelevanz die Abwicklung nach nationalem italienischem Recht zugestanden. Wieder belasten 5,2 Milliarden Euro als Sofortmaßnahmen und etwaige weitere 17 Milliarden an Garantien den Haushalt Italiens, dessen Staatsverschuldung die zweithöchste der Eurozone ist.

Nicht weil sie zu wenig systemrelevant oder zu klein wären, sondern eben weil sie zu groß sind, fordern französische Banken nun eine Ausnahme von der Zielausstattung von 0,8 Prozent der gesetzlich garantierten Einlagen (100.000 Euro). Bereits 2013 wurde auf Betreiben Frankreichs in Artikel 10 (6) der Richtlinie über Einlagensicherungssysteme ein Ausnahmetatbestand geschaffen, der Ländern mit „hoher Konzentration“ am Bankensektor einräumt, im Falle einer Genehmigung durch die EU-Kommission bloß eine Zielquote von 0,5 Prozent in den nationalen Einlagesicherungsfonds einzubezahlen. Dabei bleibt die Richtlinie sowohl eine Definition von „hoher Konzentration“ als auch Schwellenwerte, bei deren Überschreitung eine solche am Bankenmarkt gegeben ist, schuldig.

Wettbewerbsverzerrend
Frankreichs fünf größte Banken besitzen jedenfalls einen kumulativen Marktanteil von 85 Prozent, und die Behörden des Landes haben bereits einen Antrag auf Herabsetzung der Zielquote bei der EU-Kommission eingereicht. Es verdichten sich die Anzeichen, dass diesem schlussendlich stattgegeben wird: Einerseits weist die europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA bloß bei Frankreich eine Zielquote von 0,5 Prozent auf. Andererseits lässt sich der Homepage des nationalen Einlagesicherungsfonds FGDR entnehmen, dass die Zielausstattung „mindestens 0,5 Prozent“ betrage. Im Ernstfall bleibt aber zu bezweifeln, ob ein stark oligopolistischer Bankensektor weniger krisenanfällig sei – erinnert eine solche Marktstruktur nur allzu gegenwärtig an „too big to fail“.

Wie bei den italienischen Bankenrettungen handelt es sich auch in diesem Fall womöglich um wettbewerbsverzerrende staatliche Förderungen. Der Vorteil französischer Banken durch die verminderte Zielquote wird auf rund drei Milliarden Euro beziffert. Und auch Frankreich besitzt mit 95 Prozent nicht die nachhaltigste aller Staatsschuldenquoten.

Somit stehen alle drei Säulen der Bankenunion unter Beschuss. Die erste, weil im Zuge der Stresstests, neben anderen, genau jenen drei Banken Kapitallücken attestiert wurden, die nun vom italienischen Steuerzahler gerettet werden – und die Aufsicht somit wirkungslos blieb. Die zweite wird von der gegenwärtigen Praxis der nationalen Abwicklung unterminiert, und die harmonisierten nationalen Einlagefonds verlieren massiv an Funktionstüchtigkeit, wenn sie unterkapitalisiert sind.

Zwar hätten wir das Regelwerk, um Banken haushaltsschonend abzuwickeln, aber wie die Bewährungsprobe gezeigt hat, fehlt der nötige Umsetzungswille. Bei der bedrohlich hohen Zahl an notleidenden Krediten führt der gegenwärtige Trend zu Ausnahmen wohl kaum zu jener Disziplin seitens anderer Mitgliedsstaaten, die im Sinne einer funktionierenden Bankenunion geboten wäre.

(c ) Der Standard