Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen heute eine sehr ernste Debatte zum Thema Euro-Stabilität. Ich hätte nach der Rede des Bundesfinanzministers und der, wie ich finde, sehr ausgewogenen und verantwortungsvollen Antwort des Fraktionsvorsitzenden der SPD
(Beifall bei der SPD)
erwartet, dass die beiden Fraktionsvorsitzenden der Koalitionsfraktionen nicht in Beschimpfungen und tiefste Bierzeltrhetorik verfallen,
(Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Geben Sie doch zu, dass Sie enttäuscht sind!)
sondern versuchen, um Zustimmung zu werben. Herr Kauder, ich habe kein einziges Zeichen des Werbens um Zustimmung zu dieser wichtigen Maßnahme erkennen können.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Sie haben doch schon die Ablehnung beschlossen! Heucheln Sie doch hier nicht rum!)
Nein. Sehr geehrter Herr Kauder, Sie scheinen die Anträge der Oppositionsfraktionen nicht einmal mehr zu lesen. So viel Arroganz habe ich selten erlebt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder (CDU/CSU): Sie haben es doch schon beschlossen!)
Wir haben uns mit unserem Antrag ganz klar positioniert. Wir sind für eine Hilfe für Griechenland, allerdings bei einer klaren und strikten Gläubigerbeteiligung. Ich komme darauf zurück. Das liefern Sie nämlich nicht. Das ist nur Rhetorik, was Sie in ihrem Antrag schreiben.
Es geht um die Frage – das ist ein weiterer entscheidender Punkt, auf den Herr Kollege Kuhn eben eingegangen ist – wie Griechenland aus der Krise wieder herauskommt. Reine Sparprogramme und Programme, die den Ausverkauf des griechischen Staates vorsehen, werden nicht reichen, um dieses Land wieder auf einen Wachstumskurs zu bringen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie hatten viele Fraktionssitzungen in dieser Woche. Es waren ja Ihre Kollegen, die permanent, auf niedrigstem Niveau, gegen die Rettung des Euro und damit auch gegen die Stabilität des Euro-Systems klagen: Sie klagen vor dem Verfassungsgericht, sie klagen in der Öffentlichkeit, und sie verdummen die Öffentlichkeit. Hier wurden rein innenpolitische Reden gehalten, aber keine, die der Verantwortung letztendlich gerecht geworden sind.
(Beifall bei der SPD)
Herr Minister Schäuble, Sie haben heute zu Griechenland geredet und davon gesprochen, dass vielleicht noch irgendetwas kommt. Ich habe aber keine einzige Zahl gehört, die beziffert, wie viel denn noch kommt. Die Auskunft darüber sind Sie nicht nur uns, dem Bundestag, sondern auch der Öffentlichkeit schuldig geblieben. Wir müssen im Haushaltsausschuss in der nächsten Woche entscheiden. Sind es nun 90 Milliarden Euro zusätzlich, sind es 80 Milliarden Euro, oder sind es 110 Milliarden Euro? Nichts haben Sie gesagt. Sie bleiben die Antworten schuldig. Ihre Strategie des vergangenen Jahres bestand in Tricksen und Täuschen; nur so haben Sie die Zustimmung der Koalitionsfraktionen bekommen. Damit erhalten Sie aber nicht die Zustimmung der Bevölkerung, im Gegenteil. Sie bedienen Ressentiments. Ihr Verhalten führt dazu, dass letztendlich niemandem mehr klar ist: Um wie viel geht es hier eigentlich?
Ich will nun zu Griechenland kommen und Bilanz ziehen. Sie haben sich Zeit gekauft, und zwar ein Jahr. Öffentliche Gelder in Höhe von 60 Milliarden Euro – Geld der europäischen Steuerzahler, nicht nur der deutschen – sind zu Privaten transferiert worden, die ihre Anleihen nun nicht mehr halten. Was mit der Europäischen Zentralbank geschehen ist, stellt den größten Sündenfall überhaupt dar. Das haben Sie, Herr Brüderle, zu verantworten. Als Sie Bundeswirtschaftsminister waren, haben Sie zugelassen, dass die Europäische Zentralbank ihre Unabhängigkeit verloren hat,
(Rainer Brüderle (FDP): Ich?)
weil sie mittlerweile Staatsanleihen aufkauft. Das ist ein Unding. Dazu habe ich von Ihnen kein Wort gehört, als Sie Bundeswirtschaftsminister waren.
(Rainer Brüderle (FDP): Sie haben nicht zugehört!)
Der Bundesbankpräsident hat seinen Hut genommen. Das alles geht an Ihnen spurlos vorbei, und Sie behaupten glatt das Gegenteil. Das ist der Erfolg Ihrer Koalition gewesen. Die EZB hat nicht mehr im Entferntesten die Unabhängigkeit und die Glaubwürdigkeit, die die Bundesbank einmal hatte. Sie ist letztendlich zur Bad Bank Europas geworden. Das haben Sie mitzuverantworten. Dazu höre ich kein kritisches Wort von Ihnen.
Ich komme auf die Gläubigerbeteiligung zurück. Schulden Griechenlands bei privaten Gläubigern in Höhe von 60 Milliarden Euro wurden von der öffentlichen Hand übernommen. 50 Milliarden Euro Schulden übernahm die Europäische Zentralbank. Somit sind mittlerweile private Kredite an Griechenland in Höhe von 110 Milliarden Euro von der öffentlichen Hand ausgelöst worden. Sie reden viel von Gläubigerbeteiligung, aber Sie tun das Gegenteil. Sie haben sich ein Jahr lang Zeit erkauft, aber nichts ist passiert. Im Gegenteil: Diejenigen, die Gläubiger Griechenlands waren und eine Verantwortung für Griechenland hatten, machen sich vom Acker, und der Steuerzahler bezahlt. Das ist die Konsequenz Ihrer Politik. Diese Politik können Sie auch nicht mit wohlfeilen Anträgen verbergen.
(Beifall bei der SPD)
Für griechische Anleihen betrug der Risikoaufschlag 2010, als wir hier das Rettungspaket beschlossen haben, zeitweise knapp 11 Prozent. Wissen Sie, wie hoch er heute ist? 23 Prozent. Ist das ein Erfolg? Ist das eine Verbesserung der Situation? Nein. Unter dem Strich sind die Rettungsmaßnahmen gescheitert, weil sie einseitig rein fiskalisch gedacht wurden – ohne jeden ökonomischen Sachverstand.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Sie führen einzig und allein dazu, dass die Wirtschaft Griechenlands abgewürgt wird.
Sie sind auf diesem Auge blind. Deswegen sagen wir Sozialdemokraten: Sie gehen in die falsche Richtung. Sie werden wieder mehr Geld verlangen, und es wird wieder keine Perspektive für dieses Land geben. Das kann man weder den Menschen in Deutschland noch denen in Griechenland vermitteln, und man kann so auch nicht um ihre Zustimmung werben.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, dass der dauerhafte Rettungsmechanismus, um den es am 24./25. Juni 2011 gehen wird, ein Irrweg ist. Früher haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, gesagt: Es gibt gar kein Geld. – Dann floss im Mai 2010 auf einmal Bargeld. Im Juni behaupten Sie, es solle nur ein kurzfristiger Rettungsmechanismus sein. Jetzt soll es einen dauerhaften Rettungsmechanismus geben. All diese Fehler wollen Sie jetzt natürlich nicht mehr hören. Diese Fehler haben dazu geführt, dass an den Märkten und in der Bevölkerung kein Vertrauen mehr entsteht.
Der geplante Rettungsmechanismus hat einen Kernfehler: dass wieder nur Kredite gegeben werden sollen. Wenn man eine konsequente, dauerhaft tragfähige Antwort geben will, die Europa von der Macht der Ratingagenturen unabhängig macht, dann muss man das Instrumentarium so erweitern, wie es Ihnen der Chef des Euro-Rettungsfonds, Herr Regling, aufgeschrieben hat. Es muss zusätzlich die Möglichkeit von Garantien geben. Das gäbe uns die Möglichkeit einer sanften Entschuldung, die nicht zu einem Zahlungsausfall führt und die Gläubiger beteiligt. Vor allen Dingen würde so ein Kernproblem gelöst: dass diese 500 Milliarden Euro, die ab 2013 zur Verfügung stehen sollen, mit Sicherheit nicht reichen werden. Es gibt nämlich schon eine Vorbelastung von 200 Milliarden Euro aus den bisherigen Krediten. Daher stehen eigentlich nur 300 Milliarden Euro zur Verfügung. Das mag für die Öffentlichkeit nach viel klingen, ist aber mit Blick auf den gesamten europäischen Bereich nicht wirklich ein überzeugendes Argument, mit dem man sagen könnte: Damit sichern wir die Unabhängigkeit der Euro-Zone.
Ich prophezeie: Sie werden wieder vor den Deutschen Bundestag treten – wie Sie es auch im Falle des kurzfristigen Rettungsmechanismus tun mussten – und sagen: Wir brauchen zusätzliches Geld, nicht nur für Griechenland, sondern auch für den Übergangsfonds. – Auch dazu habe ich heute nichts gehört. Es wurden weder Öffentlichkeit noch Transparenz hergestellt. Es gab nur wohlfeile Reden und Populismus. So gewinnen Sie nicht die Zustimmung der Opposition und nicht die Zustimmung der Bevölkerung. Da sind Sie auf dem falschen Weg.
(Beifall bei der SPD)
Kommen Sie uns und unseren Vorlagen – wir haben im nächsten Halbjahr Zeit, zu entscheiden – entgegen; wir reichen Ihnen die Hand. Aber dafür müssen Sie erstens wissen, was Sie wollen, und zweitens bereit sein, nicht nur zulasten der einfachen Leute, der Steuerzahler zu handeln, sondern über eine Finanztransaktionsteuer letztendlich auch die Finanzindustrie zu beteiligen. Das wäre Ausdruck eines sozialen Europa, das dann diese Bezeichnung wirklich verdient hätte.
(Beifall bei der SPD)
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