Eurozone braucht ein starkes politisches Signal

Die Lage vor dem Gipfel der Staats­- und Regierungschefs ist zum fünften Mal in diesem Jahr angespannt. Denn immer wieder haben die euro­päischen Regierungen zu spät und zu zögerlich gehandelt. Selbst bis­lang ungekannte Interventionen des Zentralbankensystems und der Eu­ropäischen Zentralbank (EZB), zum einen der Eingriff über die Staatsan­leihekäufe von Problemländern (SMP) mit einem Volumen von heute mehr als 200 Mrd. Euro, aber auch über die Repo-Fazilität, ließen das Vertrauen von Investoren nicht zurückkehren.

Der Lösungsstreik von Regierun­gen führt zu einem Vertrauensstreik der Märkte. Der Zeitpunkt ist denk­bar ungünstig: Im Jahr 2012 müssen Euro-Staaten und Banken des Euro­raums annähernd 2.000 Mrd. Euro refinanzieren. Doch solange Risiken kleingeredet werden – nicht nur im Falle Griechenlands, sondern auch mit Blick auf den Rettungsschirm EFSF – wird Vertrauen ausbleiben.

Die Staaten graben sich seit mehr als einem Jahr selbst das Wasser ab. Die Zinsen für Benchmark-Anleihen steigen weiter. Die Euro-Länder wer­den dazu getrieben, kurzfristige Re­finanzierungsinstrumente auf dem Geldmarkt in Anspruch zu nehmen. Hier bestehen enorme Zinsände­rungsrisiken und es stellen sich die Probleme der Fristenkongruenz.

Die Staats- und Regierungschefs ha­ben die Krise zusätzlich verschärft. Trauriges Beispiel ist der Stresstest der europäischen Bankenaufsicht EBA: Die volatilen Meldungen über den Eigenkapitalbedarf systemrele­vanter Kreditinstitute und ständig wechselnde Kriterien gefährden nicht nur den Interbankenmarkt, sondern auch massiv das allgemeine Vertrauen in Banken, besonders weil diese Staatsanleihen jetzt wie Risi­kowertpapiere behandelt werden müssen. Hinzu kommt die Anhe­bung des Kernkapitals auf 9 % bis Ende Juni 2012 – die Politik ist wohl der stärkste Auslöser für Unsicher­heiten auf dem Bankenmarkt. Am 9. Dezember 2011 müssen die Staats- und Regierungschefs folgen­de Signale setzen:

  • Der wichtigste Beitrag zur Ver­trauensbildung ist die Einigung auf Schuldenregeln sowie eine glaub­würdige Haushalts- und Konsolidie­rungspolitik. Doch gerade der Bun­desfinanzminister untergräbt die deutsche Schuldenregel. Die kon­junkturellen Verbesserungen bei Steuern und Arbeitsmarktkosten nutzt die Regierung nicht zur Konso­lidierung. Stattdessen spannt sie ei­nen Rettungsschirm für die FDP mit irrationalen Steuersenkungen auf. Die Neuverschuldung des Bundes steigt und wird im Jahr 2012 deut­lich über der des Vorjahres liegen.
  • Wir brauchen endlich ein starkes politisches Signal, dass Eurozone und EU zusammenstehen und sich nicht länger von den Märkten trei­ben lassen. Und das Gerede über den Internationalen Währungsfonds (IWF), über Sonderziehungsrechte oder über Hebel und Versicherungs­lösungen muss beendet werden. Staatsanleihen aus dem Euroraum sind nicht irgendwelche risikoge­wichteten Wertpapiere. Sie sind Dar­lehen, die die verlässliche Sicherheit von Staaten tragen, die weder insol­vent werden noch sich aus ihrer fi­nanziellen Verantwortung stehlen. Mit ihnen wird nicht spekuliert, in sie wird investiert.
  • Wir brauchen rasch einen effekti­ven Krisenreaktionsmechanismus. Deshalb muss der dauerhafte euro­päische Stabilitätsmechanismus ESM endlich vorgezogen werden – so wie die SPD es bereits im Juni und Oktober gefordert hat. Unter Auflagen und Bedingungen, mithilfe von Konsolidierungs- und Anpas­sungsprogrammen, aber auch mit­tels Wachstumsförderung und eines sozial ausgewogenen Vorgehens muss der ESM die Refinanzierung von in Bedrängnis geratenen Staaten für einen befristeten Zeitraum über­nehmen können.

Dem ESM stehen Garantien und Eigenkapital zur Verfügung, er hat damit, grob gesprochen, die Struk­tur einer Bank. Damit verfügt er über deutlich wirkungsvollere und besser nutzbare Instrumente. Reichte sein Volumen nicht aus, könnte er sich Geld bei der EZB lei­hen, so wie es Geschäftsbanken auch tun. Er müsste dieses Geld samt Zin­sen zurückzahlen, ein für die Zen­tralbank gangbarer Weg, der gerade keine Ausweitung der Geldmenge zur Folge hätte. Die Spekulationen der Märkte darüber, ob die Mittel ausreichen und ob die Politik hand­lungsfähig ist, wären beendet.

Die EZB soll ihr Ankaufprogramm nicht fortsetzen müssen, denn sie ist nicht dazu legitimiert, den betroffe­nen Staaten Bedingungen zu stellen. Die Ankündigung der Bundeskanz­lerin im Bundestag, sich künftig nicht mehr zur Rolle der EZB zu äu­ßern, ist verräterisch. Offenbar wird so dem französischen Wunsch ent­sprochen, die Zentralbank zu einer Ausweitung ihrer Aktivitäten zu zwingen.

Schließlich ist eine tiefgreifendere Reform der Währungsunion nötig. Die Euro-Staaten könnten sich als „Pioniergruppe“ zusammenschlie­ßen und die Regelungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts, die Über­wachung nationaler Haushalts- und Konsolidierungspolitik, die Verstän­digung auf ökonomische Rahmen­daten, automatische Sanktionsme­chanismen für Defizitsünder, aber auch die Verantwortung zur Förde­rung von Wachstum und Beschäfti­gung in Europa bündeln. Dies könn­te durch einen eigenen Stabilitäts- ­und Wachstumskommissar gesche­hen.

Der Vorteil der Einbettung in das Ge­meinschaftsrecht wäre eine klare de­mokratische Kontrolle auch durch die nationalen Parlamente. Langfri­stig böte dieses Vorgehen auch die Chance, den ESM in das Gemein­schaftsrecht zu integrieren: Bei der Kommission könnte ein Fonds einge­richtet werden, in den der ESM spä­ter überführt wird und der zum Teil auch mit Einnahmen aus einer Fi­nanztransaktionssteuer gespeist wird. Dieser ,,Europäische Wäh­rungsfonds“ wäre eine gemein­schaftsrechtliche Schutzmauer Eu­ropas. Er könnte auch Altschulden zu deren Rückführung bündeln.

Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat in seiner Rede auf dem SPD-Bundesparteitag Deutschlands Verantwortung auf eine wunderbare Formel gebracht: In der Stunde schlimmster Not der deutschen Bevölkerung standen die USA und viele der heutigen EU-Mitgliedstaaten an der Seite der Deutschen und haben den Wiederaufbau finanziert. Es ist Zeit, etwas zurückzugeben.

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