Karl Lauterbach kennt das deutsche Gesundheits- und Krankenversicherungssystem bis in die kleinsten Details. Politische Meinungsbildung setzt immer ein angemessenes sachliches Verständnis des zu debattierenden Gegenstandes voraus. „Bürgerversicherung. Für eine gerechte Gesundheitsreform.“ lautete der Titel einer Informationsveranstaltung der SPD-Bundestagsfraktion am 30. März im Erfurter Rathausfestsaal.

Auf meine Einladung hin unterzog Karl Lauterbach die jüngsten gesundheitspolitischen Maßnahmen der Bundesregierung einer kritischen Würdigung und entwarf zugleich die Grundlinien der von der SPD bevorzugten „Bürgerversicherung“ als politische Alternative. Mit über 150 Zuhörern war der Festsaal rappelvoll, was den Schluss nahelegt, dass es in der Bevölkerung ein hohes Interesse an der gerechten politischen Ausgestaltung unseres Gesundheitswesens gibt.

Die sogenannte „Baby-Boomer-Generation“ der heute 40-60-Jährigen wird in naher Zukunft eine enorme Steigerung der Gesundheitskosten hervorrufen: Es handelt sich um äußerst geburtenstarke Jahrgänge, die wegen der häufig ausgeübten „Schreibtischtätigkeiten“ einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Übergewichtigen haben mit der Folge, dass ebenfalls das Risiko für Zucker-, Herz-, Kreislauf- und Krebserkrankungen zunimmt. Durch das naturgemäß ansteigende Risiko altersspezifischer Erkrankungen wie Demenz wird das „Baby-Boomer-Szenario“ noch einmal durch die zu erwartende Häufung von multiplen Krankheitsbildern verstärkt.

Dass nun Schwarz-gelb ausgerechnet am Vorabend dieser Kostenexplosion die paritätische Finanzierung der Krankenversicherung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber abwickelt, ist schlicht ein moralischer Skandal: Die Arbeitgeber, die von dieser geburtenstarken Generation als gut ausgebildetem, flexibel einsetzbarem Produktivfaktor nur zu gern  profitiert haben und noch profitieren, sollen nun aus der Verantwortung entlassen werden, wenn diese Arbeitnehmer alt und krank werden. Denn die mit Sicherheit eintretende Kostensteigerung soll nach der schwarz-gelben Gesundheitsreform ausschließlich von den Arbeitnehmern über Beitragserhöhungen und von den Versicherten über als „Zusatzbeiträge“ beschönigte Kopfpauschalen getragen werden. Die Zeche zahlen mithin Geringverdiener, Arbeitslose und Rentner.

Und da ist der Osten – Karl hat das sehr anschaulich dargelegt – in besonderem Maße von den Auswirkungen der schwarz-gelben Gesundheitspolitik betroffen. Einerseits wird das durchschnittliche Rentenniveau durch die unterbrochenen Erwerbsbiographien sinken. Andererseits werden die kleiner werdenden Renten auch noch durch stetig ansteigende Zusatzbeiträge zur Krankenversicherung minimiert. Wenn gerade die FDP dann auf die Notwendigkeit gesetzlich rationierter Gesundheitsleistungen verweist, die durch Vorkasse und private Ergänzungsversicherungen kompensiert werden könnten, dann ist das nichts als der blanke Zynismus einer Klientelpartei der Besserverdienenden.

Gerade angesichts der sich durch die steigenden Zusatzbeiträge verstärkenden Altersarmut muss das Fazit lauten: Schwarz-gelb hat sich mit der Aufkündigung des Solidarprinzips in der Krankenversicherung auch aus der Verantwortung für den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft insgesamt verabschiedet.
Völlig zurecht fragte Karl Lauterbach in der anschließenden Diskussion: „Wo ist der Protest gegen diese Politik?“ Aber der wächst ja naturgemäß mit der Erkenntnis…

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