Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute erleben wir sicherlich einen maßgeblichen Tag. Jetzt, zu später Stunde, führen wir eine einstündige Debatte über die größten Sozialkürzungen,

(Volker Kauder (CDU/CSU): Wann hören Sie denn auf zu arbeiten?)

die dieses Land je erlebt hat, was von der Koalition mit Alternativlosigkeit begründet wird.

(Zuruf von der FPD: Die höchsten Sozialausgaben!)

? Die höchsten Sozialausgaben, höre ich gerade von der FDP. Dazu kann ich nur sagen: Ihre Antwort auf die Finanz- und Staatsfinanzierungskrise ? die hohen Defizite, die es in allen europäischen Ländern gibt, wurden von der spekulativen Finanzindustrie verursacht, die in vielen Jahren enorme Gewinne gemacht hat ? ist die Kürzung einzig im Sozialbereich, weil Sie der Auffassung sind, dass dieser zu groß ist. Das haben Sie soeben hier bestätigt.

(Beifall bei der SPD)

Dazu muss ich sagen, dass wir ein anderes Weltbild haben.

Wir haben jetzt ein Jahr Schwarz-Gelb hinter uns. Nach einem Jahr sieht man, dass Sie ein halbes Jahr nichts gemacht haben. Sie sagen immer, der Aufschwung wäre Ihrer. Aber ein halbes Jahr haben Sie erst einmal nichts gemacht. Sie wollen doch nicht ernsthaft sagen, dass sich in dem halben Jahr, nachdem Sie angefangen haben, die Welt verändert hat. Das Gegenteil ist richtig: Trotz dieser Regierung läuft es gut. Wir sind froh darüber, dass es ökonomisch gut läuft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt tun Sie so, als wäre die SPD an den Schulden schuld. Das hat Herr Barthle hier zu Beginn gesagt. Es gab aber nicht nur einen Finanzminister Peer Steinbrück, sondern es gab auch eine Bundeskanzlerin, die Angela Merkel hieß.

(Otto Fricke (FDP): Sie heißt noch immer so!)

? Ja, sie heißt noch immer so.

(Andreas Mattfeldt (CDU/CSU): Das ist eine gute Frau!)

Wir haben eine deutlich bessere Lage; das ist vollkommen klar.

Aber geben Sie irgendeine Antwort auf die Frage, wie wir die hohen Schulden, die wir aufnehmen, zurückzahlen? Sie wollen in dieser Legislaturperiode über 200 Milliarden Euro Kredite aufnehmen. Das hat es vorher noch nicht gegeben. Die FDP hat noch davon geträumt, die Steuern zu senken. Aber davon hat sie sich mit der Zeit verabschiedet und ist jetzt in der Realität angekommen. Was ist die Realität? Was machen Sie? Sie erhöhen die Steuern, die Tabaksteuer gleich fünfmal.

(Otto Fricke (FDP): Bist du dagegen?)

Das stand nicht in Ihrem Wahlprogramm; da stand etwas anderes.

(Otto Fricke (FDP): Bist du dagegen? Sag doch mal deine Meinung!)

Wir haben im Bereich einer ökologischen Steuerreform eine andere Auffassung, was die Belastung der Betriebe betrifft. Ein Großteil der Einsparungen, die jetzt überhaupt noch erbracht werden, ergibt sich aus der Abschaffung des Contracting ? eines Betruges ?, aber nicht aus einer tatsächlichen Verbesserung bei den Einnahmen. Die Einnahmen holen Sie sich bei den Verbrauchern, indem Sie die Steuern erhöhen.

Das zieht sich durch Ihre gesamte Politik, von der Luftverkehrsabgabe, die auch eine Steuer ist, bis zur Kernbrennstoffsteuer, die zu gering etatisiert ist, aber in Ihrer Finanzplanung, Herr Schäuble, mit einem Betrag von 2,3 Milliarden Euro beziffert wird. Die Anhörung hat aber ergeben, dass Einnahmen in Höhe von maximal 1,7 Milliarden Euro zu erwarten sind.

Ich zähle neben diesem Punkt noch einige andere Punkte auf und stelle die Frage: Reicht die Finanzplanung, die Sie uns vorlegen, eigentlich aus? Sie sagen, es handle sich um ein sehr ambitioniertes Programm und Sie wollten ganz schnell herunter von den Schulden.

(Otto Fricke (FDP): Sie nicht?)

Nur belasten Sie diejenigen, die sich ein bisschen etwas leisten können, überhaupt nicht; sie kommen bei Ihnen nicht vor. Wer in diesem Land Geld hat, wer einigermaßen verdient, trägt keine Lasten und geht aus der Krise reicher hervor, als er vorher war.

(Beifall bei der SPD)

Das ganze System ist löcherig. Ihnen fehlt das Geld aus der Kernbrennstoffsteuer, weil Sie einen Deal mit der Atomlobby gemacht haben und sich letztendlich den Steuersatz haben diktieren lassen, anstatt eigenständig zu entscheiden. Ihnen fehlen aufgrund Ihrer Entscheidungen 350 Millionen Euro bei der Ökosteuer; Kollege Bonde hat darauf hingewiesen. Ihnen fehlen aufgrund der Beschlüsse zum Jahressteuergesetz, das heute noch zu verabschieden ist, weitere 250 Millionen Euro. Der Finanzminister hat vorhin im Haushaltsausschuss angekündigt, wegen der anstehenden Steuervereinfachung den Ländern zusätzlich eine Kompensation in Höhe von 500 Millionen Euro zu zahlen.

Wenn man die Beträge summiert, dann erkennt man: Es besteht eine Lücke von 1,6 Milliarden Euro. Ich habe noch nicht gehört, wie Sie diesen Betrag eigentlich decken wollen. Da frage ich mich natürlich: Was haben Sie vor? Mir schwant Böses. Wahrscheinlich werden Sie, weil Sie an die Reichen in diesem Land nicht herangehen ? das kriegen Sie mit Ihrem Koalitionspartner FDP nicht hin ? und Sie es auch nicht hinbekommen, eine Finanztransaktionsteuer einzuführen ? Sie verhandeln darüber in Brüssel nicht so ernsthaft wie über andere Punkte ?,

(Joachim Poß (SPD): Die wollen das ja nicht!)

den Kurs des Abbaus der Neuverschuldung nicht so entschieden verfolgen, wie es aufgrund der besseren Konjunktur, der steigenden Steuereinnahmen und der niedrigeren Arbeitsmarktausgaben möglich wäre. Das ist meine Prophezeiung.

(Beifall bei der SPD – Otto Fricke (FDP): Keine eigenen Konzepte!)

Sie schützen Ihre Lobby. Sie ziehen den Kurs der Konsolidierung nicht wirklich durch. Ich komme zum entscheidenden Punkt: Sie kündigen groß an, ein großes Paket auf den Weg zu bringen; aber Sie bleiben in den nächsten drei Jahren wahrscheinlich vollkommen hinter dem zurück, was aufgrund der verbesserten konjunkturellen Lage möglich wäre.

Ich fühle mich bestätigt, insbesondere wenn ich mir die Schuldenbremse anschaue. Da muss ich ein bisschen technisch werden: Wir haben hier im Bundestag einen Abbau der Neuverschuldung in gleichmäßigen Schritten beschlossen. Das war großer Konsens. Der Ausgangspunkt, der dafür gewählt wurde, ist das Defizit des Jahres 2010. Jetzt haben wir aber ein viel geringeres Defizit im Jahr 2010 ? das ist schon jetzt erkennbar ?, als es bei Aufstellung der mittelfristigen Finanzplanung im Juni zu erwarten war.

(Otto Fricke (FDP): Du bist mit deiner Redezeit am Ende!)

Nach meinen Berechnungen wird das Defizit bis 2016, bis zum Ende der mittelfristigen Finanzplanung, 30 Milliarden Euro geringer sein ? Kollege Bonde hat 25 Milliarden Euro errechnet ? als erwartet. Das bedeutet: Sie nehmen diesen zusätzlichen Puffer, um die Steuergeschenke, die Sie jetzt nicht durchsetzen können, am Ende der Legislaturperiode zu verteilen. Das heißt, der Betrug, den Sie schon im Jahr 2009 angekündigt, aber jetzt noch nicht umgesetzt haben, wird 2013 kommen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das ist insbesondere vor dem Hintergrund der europäischen Situation, auch an den Finanzmärkten, wichtig.

(Zuruf des Abg. Otto Fricke (FDP))

? Herr Kollege Fricke, ich habe noch 30 Sekunden Redezeit. Sie können eine Frage stellen; dann erkläre ich es Ihnen genau. ?

Uns liegt eine Stellungnahme des Bundesrechnungshofs, der wirklich unabhängigsten Institution im Bereich der Finanzen in Deutschland, vor. Der Bundesrechnungshof sagt Ihnen klipp und klar: Schummeln Sie hier nicht, tricksen Sie hier nicht, sondern nutzen Sie die Mehreinnahmen, die wir aufgrund der guten Konjunktur haben, tatsächlich zum Abbau der Verschuldung. ? Ansonsten sind Sie als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet. Der Finanzminister würde weiter gerupft, wie er in den Verhandlungen von der Atomlobby und der Industrie schon gerupft wurde.

(Bettina Hagedorn (SPD): Und Pharma!)

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

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