Am 14. März 2011 fand auf Antrag der Opposition im Haushaltsausschuss eine öffentliche Expertenanhörung zum Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) statt. Bereits am vergangenen Wochenende hatten die Staats- und Regierungschefs der Euro-Länder die Eckpunkte für den ESM beschlossen. Die neuen Regelungen, die 2013 in Kraft treten sollen, sehen unter anderem die Einrichtung eines permanenten Krisenfonds vor, finanziert von den Euro-Staaten. Gerät einer dieser Staaten in eine finanzielle Krisensituation, soll der Fonds Kredite im Volumen von 500 Milliarden Euro bereitstellen.
Grundsätzlich begrüße ich die Einrichtung eines langfristigen und dauerhaften Stabilitätsmechanismus. Doch der beschlossene Pakt greift viel zu kurz und hat gravierende inhaltliche Schwächen.
Erstens bleiben die Konditionen für die finanzielle Hilfe völlig vage. Wer für den vergrößerten Kreditrahmen bürgt und welches Land wie viel einzahlen soll, ist bisher noch nicht geklärt. Klar ist aber, dass auf Deutschland große finanzielle Belastungen zukommen. Die Verursacher der Krise – etwa die Unternehmen des Finanzsektors – werden hingegen nicht an den Kosten beteiligt, obwohl sich nicht nur die SPD, sondern auch zahlreiche führende Ökonomen dafür aussprechen. Eine dringend gebotene europaweite Finanztransaktionssteuer ist weiterhin nicht vorgesehen.
Zweitens kommt der Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte zwischen den Euro-Staaten viel zu kurz. Merkel hatte vollmundig angekündigt, weitere Kredite nur für reformwillige Länder bereitzustellen. Doch der jetzt ausgehandelte Mechanismus entpuppt sich als fauler Kompromiss: Er enthält lediglich unverbindliche „Bekenntnisse“ der Euro-Staaten zu verschiedenen wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen. Dabei ist der Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte innerhalb der Euro-Zone die Grundlage für eine solide Wirtschaft der europäischen Länder: Wir brauchen ein harmonisiertes Steuersystem, um den Steuersenkungswettbewerb innerhalb der EU zu beenden. Und wir brauchen einen Europäischen Wachstumspakt für mehr Bildung, bessere Infrastruktur, mehr Investitionen und Innovationen.
Drittens sieht der Beschluss zum ESM keine Ausdehnung der Kompetenzen der EU vor, sondern Merkel möchte eine Quasi-Europäische Wirtschaftsregierung durch den Europäischen Rat. Somit fehlt eine unabhängige Instanz, die unabhängig von den Einzelstaaten definiert, wann eine finanzielle Notlage vorliegt, und die die wirtschaftliche Entwicklung von Schuldnerländern kontrolliert. Der Europäische Rat ist dafür ungeeignet – die Mitgliedsländer müssten im Fall der Fälle Sanktionen gegen sich selbst beschließen. Stattdessen trete ich für die Gründung einer Europäischen Stabilitätsagentur ein, die von der Europäischen Zentralbank und den europäischen Finanzaufsichtsbehörden beraten wird. Diese Stabilitätsagentur muss eindeutige politische Regeln für ein europaweites, solidarisches Handeln im Fall von Liquiditätskrisen und staatlichen Insolvenzen festlegen und die strikte Schuldenbegrenzung und den Schuldenabbau der Euro-Länder kontrollieren.
Viertens muss der Euro durch ein europaweites Konsolidierungsprogramm gestärkt werden, das von der Europäischen Stabilitätsagentur überwacht wird. Seit der Einführung des Euro sind die Stabilitätskriterien der Wirtschafts- und Währungsunion zunehmend vernachlässigt worden. Die EU muss haushaltspolitische Rahmenregelungen, zum Beispiel eine europaweite Schuldenbremse, daher verbindlich festlegen und bei Verstößen sinnvoll sanktionieren: Verfehlt ein Staat die Konsolidierungsziele, so muss er entweder seine Einnahmen erhöhen oder seine Ausgaben verringern – die genaue Ausgestaltung bliebe dem jeweiligen Mitgliedsland überlassen. Dieser Eingriff in die Budgethoheit der nationalen Parlamente wäre allerdings nur möglich, wenn und solange ein Land seine Finanzen nicht im Griff hat.
Anstatt also den historischen Schritt zu einer handlungsfähigeren Union zu gehen, präsentiert Merkel mit dem Rettungsschirm ein Konzept, dessen Effektivität mehr als in Frage steht.
Ein weiterer Punkt ist problematisch: Wenn der Europäische Rat eine Wirtschaftsregierung bilden soll, so widerspricht das dem Ziel einer stärkeren demokratischen Legitimation von EU-Politik. So lange maßgebliche Entscheidungen weiter von Regierungsräten in Brüssel getroffen werden, sollte sich niemand über die wachsenden europaskeptischen Einstellungen in der Bevölkerung wundern.
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