Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Kollegin Vogelsang, Ihrer letzten Äußerung zum kulturellen Erbe Berlins schließe ich mich an. Diesbezüglich haben wir auch zugestimmt. Abgesehen davon ist aber vieles von dem, was Sie gesagt haben, nicht durch das gedeckt, was Sie hier beschließen werden.
(Otto Fricke (FDP): Mach einmal einen Ausgabenkürzungsvorschlag!)
Ihre Aussagen zu einer angeblichen Neujustierung der Finanzpolitik bzw. zu einem Schuldenabbau – dieses Wort haben Sie hier tatsächlich benutzt; man kann das im Protokoll noch einmal nachlesen – sind durch die Realität überhaupt nicht gedeckt; denn mit dem Nachtragshaushalt, den Sie hier zur Abstimmung vorlegen, wird die Neuverschuldung gegenüber dem Jahr 2011 verdoppelt.
(Norbert Barthle (CDU/CSU): Das stimmt doch nicht! – Otto Fricke (FDP): Verdoppelt? Nicht ganz!)
Die Neuverschuldung steigt von 17 Milliarden Euro im Jahr 2011 auf 32 Milliarden Euro.
(Norbert Barthle (CDU/CSU): So gut können Sozialdemokraten rechnen! 17 plus 17 gleich 32! Das erzähl mal den Kindern!)
Das ist Fakt.
Ich gestehe gerne zu: 8 Milliarden Euro davon sind Mehrausgaben aufgrund des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Trotzdem – das wird auch Ihnen auffalle – sind das immer noch 6 Milliarden Euro mehr, und das, obwohl Sie für 2012 ein stärkeres Wirtschaftswachstum als 2011 prognostizieren.
Sie haben mehr Steuereinnahmen. Wir hatten wieder Rekordsteuereinnahmen. Die FDP hat in solchen Fällen früher immer gefordert, dass die Steuern gesenkt werden; das sagt sie jetzt nicht mehr so laut.
(Otto Fricke (FDP): Welche Ausgaben wollen Sie kürzen?)
Außerdem sind die Kosten für die sozialen Sicherungssysteme gesunken, weil sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt verbessert hat. Das sind die zwei Hauptblöcke.
Dann kommt noch ein dritter Block hinzu: Auch die Zinsausgaben sind gesunken. Deutschland ist der Profiteur der Euro-Krise.
(Zuruf von der SPD: So ist es! – Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): Das ist doch Quatsch!)
So billig, wie wir uns derzeit verschulden können, kann sich kein anderes Land verschulden. Dadurch sparen Sie noch einmal 2 Milliarden Euro. Trotzdem steigt die Neuverschuldung gegenüber dem letzten Jahr um 6 Milliarden Euro. Das ist ein Offenbarungseid.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
In der Finanzpolitik sind Sie kläglich gescheitert.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Barthle zulassen?
Carsten Schneider (SPD):
Ja, natürlich. Ich glaube, er möchte meinem letzten Satz zustimmen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Bitte schön.
Norbert Barthle (CDU/CSU):
Herr Kollege Schneider, wenn Sie von einem „Offenbarungseid“ sprechen und sagen, dass die Neuverschuldung steige, dann vergleichen Sie die Sollzahlen des Jahres 2012 mit den Istzahlen des Jahres 2011. Da Sie diesen Vergleich anstellen, möchte ich Sie fragen, ob Sie auch behaupten würden, dass die Verschuldung im Jahr 2011 im Vergleich zur Verschuldung im Jahr 2010 ebenfalls gestiegen ist. Denn wenn man Soll und Ist vergleicht, kann man zu dem Schluss kommen, dass das so ist.
Tatsächlich ist es aber so, dass wir für das Jahr 2010 eine Neuverschuldung von 80 Milliarden Euro als Soll geplant hatten. Im Ist lagen wir dann bei 44 Milliarden Euro. Im Jahr 2011 sind wir mit einem Soll von 48 Milliarden Euro gestartet. Gelandet sind wir bei einem Ist von 17 Milliarden Euro. Dieses Jahr starten wir mit einem Soll von 32 Milliarden Euro. Wo wir am Jahresende landen werden, wissen weder Sie noch ich. Deshalb halte ich diesen Vergleich für nicht redlich.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Carsten Schneider (SPD):
Herr Kollege Barthle, eines ist klar: Sie machen jetzt einen Haushaltsvoranschlag, eine Ermächtigung für die Regierung.
(Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Bleib bei der Wahrheit, Carsten!)
Sie wissen aber, dass die Bundeshaushaltsordnung Ihnen vorschreibt – daran sollten Sie sich halten; ich glaube, das tun Sie auch -, dass Sie exakt die Mittel einstellen, die nach Ihrer Ansicht gebraucht werden.
(Otto Fricke (FDP): Maximal!)
Dabei geht es um Haushaltswahrheit und -klarheit. Der entscheidende Punkt ist, dass wir uns schon in der Mitte des Jahres befinden. Das heißt, wir wissen schon sehr exakt, wo der Hase langläuft und wo wir in etwa landen werden.
Die entscheidenden großen Posten habe ich Ihnen genannt: Steuereinnahmen und Sozialausgaben sind die beiden größten Posten. Die entsprechenden Zahlen stehen fest. In beiden Bereichen gibt es eine Entlastung. Sie haben nämlich mehr Steuereinnahmen und geringere Sozialausgaben.
(Norbert Barthle (CDU/CSU): 8,7 Milliarden nach Europa!)
Trotzdem steigt die Neuverschuldung um 6 Milliarden Euro. Das geht einfach nicht. Das zeigt, dass Sie das Geld verschludern und sich nicht wirklich darum bemühen, sauber und solide zu arbeiten.
(Beifall bei der SPD – Stefanie Vogelsang (CDU/CSU): Kennen Sie den Unterschied zwischen Soll und Ist? – Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Bleib bei der Wahrheit!)
Wenn Sie es nicht einmal in einer Hochphase der Konjunktur schaffen, den Haushalt auszugleichen, was soll denn dann passieren, wenn wir wieder einen Einbruch erleben?
(Otto Fricke (FDP): Was sagt uns das für NRW?)
Niemand weiß, wie dieses Jahr laufen wird. Wir haben hohe Unsicherheiten bezüglich der ökonomischen Lage in der Euro-Zone, in den USA, in China etc. Keiner weiß, wie es sich entwickeln wird. Umso wichtiger wäre es, heute damit zu beginnen, die Schulden des letzten Konjunkturprogramms zu tilgen, um, wenn es wieder schlechter läuft, Luft zum Investieren zu haben. Diese Luft nehmen Sie uns, weil Sie ein Geschäftsmodell fahren, wie es die Hypo Real Estate in ihren schlechtesten Zeiten getan hat.
(Beifall bei der SPD – Stefanie Vogelsang (CDU/CSU): Herr Kollege Schneider, ist das nicht ein bisschen vergriffen?)
– Woran ist die Hypo Real Estate gescheitert? Sie hat sich kurzfristig refinanziert und hatte langfristig hohe Lasten. Was tun Sie? Anstatt die langfristige günstige Refinanzierung zu nutzen, sich zum Beispiel für 30 Jahre zu verschulden und dafür 3 Prozent zu zahlen,
(Otto Fricke (FDP): Aha!)
nutzen Sie jede Möglichkeit, sich kurzfristig, für nur ein oder zwei Jahre, bei ganz niedrigen Zinsen – diese liegen fast bei null – zu verschulden, um mithilfe dieser Zinsersparnis Ihre Klientel zu beglücken.
(Otto Fricke (FDP): Die Laufzeiten haben sich verlängert! Das weißt du auch!)
Das führt aber dazu, dass die Abhängigkeit des Bundeshaushalts und die Volatilität noch viel größer werden. Bei einem Wirtschaftseinbruch wären wir auch noch mit verschlechterten Zinsniveaus konfrontiert.
Daran sehen Sie, dass Sie vollkommen unsolide und unverantwortlich haushalten und dass Sie der nächsten Bundesregierung, dem nächsten Bundestag kein gemachtes Nest hinterlassen. Vielmehr türmen sich schon heute die Probleme vor den Türen.
Deswegen sage ich: Dieser Haushalt ist eine Bankrotterklärung des Bundesfinanzministers. In der Haushaltspolitik hat er seine Ziele bei weitem nicht erreicht. In der Anhörung, die wir dazu durchgeführt haben, haben Ihre Sachverständigen klar gesagt, dass Sie das Sparpaket, das Sie vorgelegt haben, gerade einmal zur Hälfte umgesetzt haben. Der Rest der Konsolidierung, der Rückgang der geplanten Neuverschuldung, geht einzig und allein auf konjunkturelle Sondereffekte zurück.
Die Konjunktur ist mal gut und mal schlecht.
(Zuruf des Abg. Andreas Mattfeldt (CDU/CSU))
Zurzeit ist die Konjunktur gut, aber sie kann auch wieder schlecht werden. Dann steigt das strukturelle Defizit. Dann stehen wir vor der Situation, dass die Schulden, die Sie heute machen, zu Steuererhöhungen oder Minderausgaben bzw. Kürzungen führen werden. Das ist unsolide.
(Beifall bei der SPD – Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Der Finanzminister heißt heute nicht mehr Eichel oder Steinbrück, Herr Schneider! Da war das so!)
Das ist überhaupt kein Vorbild für die anderen Länder in Europa, denen Sie gerne vorhalten, sie würden nicht richtig sparen. Im Gegenteil: Das tun sie zum großen Teil. Deutschland hingegen ist das Land, das am meisten prasst. Deswegen taugen Sie und die Finanzpolitik Deutschlands hier nicht als Vorbild.
(Otto Fricke (FDP): Wir prassen?)
– Ich kann Ihnen das klar sagen, Herr Kollege Fricke: Sie prassen. Sie machen miese Geschäfte.
(Otto Fricke (FDP): Oi!)
Nehmen Sie den letzten Koalitionsgipfel im Kanzleramt als Beispiel. Was ist da vereinbart worden?
(Otto Fricke (FDP): Nichts zum Nachtragshaushalt! Gar nichts zum Nachtragshaushalt! Null zum Nachtragshaushalt!)
Da ist – entgegen dem geballten Sachverstand und dem gesunden Menschenverstand – vereinbart worden, dass in Deutschland ein Betreuungsgeld eingeführt werden soll. Dies bedeutet 1,2 Milliarden Euro Mehrausgaben.
(Otto Fricke (FDP): Im Nachtragshaushalt?)
Gegenfinanzierung? Null. Was hat die FDP als Gegenleistung dafür bekommen? Dass eine private Pflegeversicherung über Steuervergünstigungen bezuschusst wird.
(Norbert Barthle (CDU/CSU): Regierungsentwurf lesen! Das stimmt nicht!)
Sie können sich ja nur noch einigen, wenn es darum geht, das Geld fremder Leute auszugeben oder Kredite aufzunehmen.
(Otto Fricke (FDP): Bleib beim Thema!)
Dazu sind Sie noch in der Lage. Dies ist aber keine angemessene Antwort auf die Situation, in der wir uns befinden. Es ist mehr oder weniger ein Dahinsiechen. Sie können quasi nur noch existieren, weil die Konjunktur in Deutschland brummt. Müssten Sie wirklich harte Entscheidungen treffen, wären Sie bereits am Ende. Sie können nur noch über das Verteilen reden.
(Beifall bei der SPD)
Wir haben dem ein klares und ehrliches Programm entgegengesetzt. Wir wollen die Risiken, die sich aus den Krediten, die wir Griechenland aufgrund Ihrer Beschlusslage gegeben haben – diese betragen insgesamt 15 Milliarden Euro -, absichern. In unserem Programm sehen wir die Tilgung des Konjunkturfonds vor. Dabei geht es um mehr als 2,3 Milliarden Euro. In guten Zeiten muss man die Schulden der Vergangenheit zurückzahlen. Bei Ihnen findet sich dazu gar nichts. Das haben Sie einfach so hingenommen. Darauf zahlen wir Zinsen, und nichts wird getilgt.
Wir wollen all dies auf zwei Wegen finanzieren, und zwar über einen konsequenten Subventionsabbau und eine Verbreiterung der Steuereinnahmebasis. Wir wollen zum einen ökologisch bedenkliche Subventionen abbauen und zum anderen das von Ihnen, und zwar von der FDP, eingeführte Hotelsteuerprivileg im Mehrwertsteuerbereich abschaffen.
(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Mövenpick-Steuer!)
Sie haben sich zwar davon distanziert, aber immer noch gilt der verminderte Mehrwertsteuersatz für das Übernachtungsgewerbe.
Meine Damen und Herren, in der Finanzpolitik haben Sie nichts wirklich Substanzielles geleistet. Die Steuerpolitik des Bundesfinanzministers beschränkt sich auf Nichtstun. Die Hände werden in den Schoß gelegt. Wenn ich mir vor Augen führe, wie Sie früher getönt haben – ich erinnere nur an Ihr Sparbuch -,
(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Oh ja! Das gelbe Sparbuch!)
muss ich feststellen: Nichts davon haben Sie tatsächlich umgesetzt. Von daher ist dies ein verlorenes Jahr für Deutschland, ein Jahr, das uns später noch teuer zu stehen kommen wird.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) und Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
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