Der Aufschwung ist da! Nach einem historischen Einbruch von fünf Prozent der Wirtschaftskraft im vergangenen Jahr, zieht die Konjunktur dieses Jahr wieder an. Nach einem starken 2. Quartal 2010 rechnen Ökonomen bis zum Jahresende mit einem Zuwachs des Bruttoinlandprodukts (BIP) von über drei Prozent. Einen großen Anteil daran haben die Konjunkturpakete, die Sozialdemokraten wie Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück und Olaf Scholz als Minister in der Großen Koalition initiierten. So rettete allein die Kurzarbeiterreglung mehr als 300.000 Beschäftigten den Arbeitsplatz.
Positiv wirkt sich die anziehende Konjunktur auch auf die Staatsfinanzen aus. Volle Auftragsbücher und ausgelastete Betriebe bringen zusätzliche Steuern in die Kassen und entlasten den Arbeitsmarkt. Die Neuverschuldung im Jahr 2010 wird darum deutlich niedriger ausfallen als angenommen. Statt den im Sommer errechneten 65 Milliarden Euro Nettokreditaufnahme ist nun ein Defizit in Höhe von 50 Milliarden Euro absehbar.
Bedeutsam ist diese Entwicklung mit Blick auf die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse, die verlangt, das strukturelle Haushaltsdefizit des Bundes abzubauen. Ab 2016 ist die Aufnahme neuer Schulden nur noch sehr begrenzt gestattet. Bis dahin hat der Schuldenabbau in gleichmäßigen Schritten zu erfolgen, jedes Jahr ist also das strukturelle Defizit um den gleichen Betrag zu verringern. Dem diesjährigen Minus kommt dabei die entscheidende Rolle zu, stellt es doch laut Gesetz den Ausgangswert des Abbaupfades dar. Weil dieser nun niedriger ausfällt als im Sommer angenommen, verläuft die „Schuldentreppe“ flacher, sodass die Bunderegierung in den nächsten Jahren insgesamt weniger neue Schulden aufnahmen darf.
Bei der Konzeption des Sparpakets im Juni gingen die Koalitionäre von CDU/CSU und FDP noch von wesentlich höheren Schulden in diesem Jahr und somit von erweiterten Spielräumen in den kommenden Jahren aus. Spielräume, die der Koalition gerade jetzt – angesichts des Aufschwungs – gelegen kämen, da sich mit ihnen möglicherweise Steuersenkungen verwirklichen ließen. Traurig aber wahr: Schwarz-Gelb hat sich von seinem neoliberalen Mantra der Steuersenkungen für Besserverdiende immer noch nicht verabschiedet. Statt weiteren Klientelgeschenken muss jedoch die Einhaltung der Schuldenbremse oberste Priorität haben.
Zunächst muss geklärt werden, ob die Sparpläne von Union und FDP angesichts des geringeren erlaubten Kreditvolumens noch ausreichen. Aufgrund der guten konjunkturellen Entwicklung sei nicht nur in diesem Jahr, sondern auch in der Zukunft mit mehr staatlichen Einnahmen zu rechnen, weswegen weitere Einsparungen nicht erforderlich seien, argumentiert die Bundesbank in ihrer jüngsten Stellungnahme anlässlich der öffentlichen Anhörung des Haushaltsbegleitgesetzes im Haushaltsausschuss am 4. Oktober 2010. Dazu müsste jedoch eine Frage sicher bejaht werden können – gewissermaßen handelt es sich um die schwarz-gelbe Gretchenfrage: Werden alle jetzt eingeplanten Sparziele erreicht?
Es gibt triftige Gründe davon auszugehen, dass die Antwort „Nein“ lauten wird. Nehmen wir zum Beispiel die Entwicklung bei der Finanztransaktionssteuer: Während eine internationale Einführung wegen Widerständen im Europäischen Rat zumindest bis 2012 immer unwahrscheinlicher erscheint, lässt nun selbst Wolfgang Schäuble wissen, er sei „kein Freund“ des Projekts, das bis 2014 immerhin sechs Milliarden Euro einbringen sollte. Ebenso unklar ist die Erwirtschaftung der „globale Minderausgabe“ in Höhe von 5,6 Milliarden Euro für 2014. Dabei kürzt das Finanzministerium jedem Ressort die erlaubten Ausgaben um einen Pauschalbetrag, den die einzelnen Ministerien dann selbstständig einzusparen haben. Hinzu kommen noch erhebliche, bisher nicht bedachte Zinsrisiken: Aufgrund der Wirtschafts- und Eurokrise konnte der Bund in diesem Jahr Kredite zu sehr günstigen Konditionen aufnehmen. Sobald das momentan sehr niedrige Zinsniveau wieder ansteigt, nehmen auch die Zinslasten zu. Dafür besteht in den schwarz-gelben Kalkulationen keinerlei Puffer. Auch die Einsparungen bei der Bundeswehr von insgesamt 8,4 Milliarden Euro sind mit der Aussetzung der Wehrpflicht nicht zu erreichen.
Vor diesem Hintergrund wird nun deutlich, warum sich die Bundesregierung, allen voran Finanzminister Wolfgang Schäuble, bisher mit Händen und Füßen dagegen wehrt, den Schuldenabbauplan gemäß den Regelungen der Schuldenbremse anzupassen. Stur wird an den längst überholten Zahlen des Sommers festgehalten. Die Haushaltspolitiker der Union lassen keine Gelegenheit aus zu betonen, es handle sich dabei lediglich um erlaubte Obergrenzen, die auch unterschritten werden könnten. In Wirklichkeit sollen einzig und allein die schwarz-gelben Luftbuchungen und Hoffnungswerte des Sparpakets verschleiert werden. Ganz offensichtlich glaubt die Koalition selbst nicht mehr an die Verwirklichung der eigenen Sparvorschläge und behält sich für den Fall doch noch offener Spielräume das Hintertürchen für Steuersenkungen offen.
Indes ist eine sauber kalkulierte Haushaltskonsolidierung ohne Alternative. Neben der Bundesbank halten auch Sachverständigenrat und Bundesrechnungshof eine Neuberechnung der künftigen Kreditgrenzen für rechtlich zwingend. Ein Umdenken der Koalition ist daher dringend erforderlich, soll größerer politischer Schaden vermieden werden.
Schlimm genug, dass Union und FDP mit ihrem Kurs das noch junge Instrument der Schuldenbremse demontieren, bevor es überhaupt zu greifen beginnt. Hinzu kommt der Eindruck, den Deutschland damit in der Europäischen Union hinterlässt: Vordergründig als eiserner Sparmeister Europas auftreten, von anderen Staaten harte Konsolidierungspläne einfordern, mit dem Finger auf die Tricksereien der griechischen Regierung zeigen, dann aber bei der eigenen Haushaltskonsolidierung eine Mogelpackung vorlegen – das zerstört jedwede Glaubwürdigkeit!
Statt als Vorbild Europas voranzugehen und die sich selbst auferlegten Regeln der Schuldenbremse zu achten, steuern CDU/CSU und FDP mit einem nicht nur unsozialen und ökonomisch unsinnigem, sondern auch noch höchst instabilen und rechtlich fragwürdigen Sparpaket weiter ins politische Abseits.
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