Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute hier über ein sehr ernstes Thema. Ich hätte mir gewünscht, dass die Bundeskanzlerin zu Beginn ihrer Regierungserklärung gesagt hätte, welche Erkenntnisse sie am Freitag vorletzter Woche vor der Abstimmung über die Griechenland-Hilfe hatte, die dazu geführt haben, dass am Freitagnachmittag die Staats- und Regierungschefs das Paket, das wir in dieser Woche beschließen sollen, vorgelegt haben. Denn Sie haben nicht am Freitagmorgen im Bundestag das Wort ergriffen und uns an diesen Erkenntnissen teilhaben lassen. Im Gegenteil, es war sogar so, dass Herr Fricke hier öffentlich der Vermutung, dass es eventuell mehr sein könne, widersprochen hat – maximal 22,4 Milliarden Euro und kein Cent mehr, hat er gesagt ?, und Herr Bundesminister Schäuble in der Pressekonferenz am Donnerstag, nachdem die Steuerschätzung veröffentlicht worden war, mich mehr oder weniger als vaterlandslosen Gesellen hingestellt hat, weil ich das infrage gestellt habe.
Frau Bundeskanzlerin, es geht bei diesem Gesetz um die Euro-Stabilisierung. Das hat viel mit Vertrauen zu tun. Vertrauen entsteht, glaube ich, nur, wenn die Regierung klar sagt, was ist, uns an ihren Erkenntnissen teilhaben lässt und auch klare Lösungsvorschläge macht.
(Abg. Otto Fricke (FDP) verlässt seinen Platz – Zurufe von der SPD: Hierbleiben!)
All dies ist bisher nicht geschehen, im Gegenteil.
Wir haben hier viele Reden gehört. Die von Herrn Kauder war die einzige seitens der Koalition, die werbend war. Die FDP hat klar gesagt, sie wolle keine Zustimmung der Opposition. Ich kann mir gut vorstellen, warum. Weil sie sich nicht im Rahmen eines Entschließungsantrages an die Frage binden will, wer die Zeche für die hohen Schulden, die wir jetzt aufnehmen müssen, zahlt,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
nämlich die Spekulanten über die Finanztransaktionsteuer. Das will sie nicht. Deshalb scheint sie unser Angebot nicht annehmen zu wollen.
(Beifall bei der SPD)
Man kann kein Vertrauen zu einer Regierung haben, die heute hü und morgen hott sagt. Auf dem DGB-Bundeskongress am Sonntag haben Sie gesagt: Wenn der DGB die Finanztransaktionsteuer durchsetzt, dann werde ich mich dem nicht entgegenstellen. – Zwei Tage später haben Sie gesagt: Ich werde natürlich dafür kämpfen. ? Das ist doch nicht ernst zu nehmen.
(Beifall bei der SPD)
Unser Fraktionsvorsitzender Frank-Walter Steinmeier hat auf zwei Varianten hingewiesen, was das Geschehen am Freitag, als es um Griechenland ging, betrifft: Entweder haben Sie nicht gewusst, was in Brüssel passiert, und Herr Sarkozy hat die Agenda in Europa bestimmt, oder Sie haben es gewusst und uns nicht die Wahrheit gesagt. Welche Variante schlimmer ist, sei einmal dahingestellt.
Ich hätte aber schon erwartet, dass Sie darüber aufklären. Es ist richtig, dass es bei solch großen politischen Entscheidungen gut ist, wenn man eine breite Mehrheit im Parlament hat. Aber eine breite Mehrheit bedeutet, dass man die Ideen der Opposition einbindet. Dies bedeutet, dass wir Vertrauen zu Ihrem Regierungshandeln im Europäischen Rat, im Ecofin haben müssen. Ich muss Ihnen ganz klar sagen: Ich habe kein Vertrauen zu mündlichen Zusagen, sondern nur zu Dingen, die schwarz auf weiß auf dem Tisch liegen.
(Beifall bei der SPD)
Das ist bisher nicht der Fall.
Ich sage Ihnen ganz klar: Wir stehen zur Verfügung, wenn Sie sich dazu bekennen, schriftlich mit uns festzulegen, dass es neben dem Rettungsschirm für die Staaten auch ein klares Bekenntnis dafür gibt, wer die Zeche zahlt, nämlich die Spekulanten über eine Finanztransaktionsteuer. Es darf kein Oder und kein Ausweichen geben. Nur dann sind wir bereit, mitzumachen. Anderenfalls ist das nicht zu akzeptieren.
(Beifall bei der SPD)
Herr Kauder hat vorhin gesagt, es sollte nicht so viel Nabelschau und rückwärtsgewandte Diskussionen geben. Das hat die FDP die ganze Zeit gemacht. Herr Wissing hat in diesem Zusammenhang ein Argument vorgebracht, das den Stabilitätspakt betrifft. Nicht nur, dass Sie den heute mit einer Rekordneuverschuldung von 80 Milliarden Euro brechen würden.
(Birgit Homburger (FDP): Ich wäre ruhig an Ihrer Stelle! Die haben Sie verursacht!)
Ihre Position bei der Einführung der Schuldenbremse im vorigen Jahr war: Nullverschuldung. Was würden Sie denn eigentlich tun, wenn Sie sich mit Ihrer Position der Nullverschuldung durchgesetzt hätten? Hätten Sie dann den Rentenzuschuss auf null gesetzt und die Beiträge zur Sozialversicherung auf 30 Prozent erhöht? Das ist die Wirtschaftspolitik der FDP.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich bin froh, dass wir damals im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu einer antizyklischen Vorgehensweise gekommen sind. Dieser bildet im Übrigen sehr genau die Schuldenbremse ab, der Sie zugestimmt haben und die im Grundgesetz verankert wurde. Es ist von Folgendem auszugehen: „close to balance or surplus“, das heißt, in guten Zeiten einen ausgeglichenen Haushalt zu schaffen und Überschüsse zu erwirtschaften. Das ist europäisches Recht, das wir als Sozialdemokraten gemeinsam mit den Grünen durchgesetzt haben. So funktioniert in etwa die Schuldenbremse in Deutschland. Ist Ihnen das eigentlich bekannt, oder geht es Ihnen nur darum, die Schuld für Ihre Positionen einer fatalen Finanz- und Steuerpolitik in den vergangenen Jahren bei anderen zu suchen?
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich finde, den Staaten an sich die Verantwortung für die Finanzkrise und die Euro-Schwäche in die Schuhe zu schieben, ist falsch.
(Bettina Hagedorn (SPD): Ja!)
Man muss sich die Frage stellen: Warum ist es überhaupt dazu gekommen? Wir hatten 2008 keinen überschuldeten Haushalt in Deutschland. Wir hatten einen ausgeglichenen Staatshaushalt. Haben Sie das vergessen?
(Beifall bei der SPD)
Wir haben eine Krise der Staatsfinanzen, weil wir uns bereit erklärt haben, antizyklisch zu investieren, nicht gegen die Wirtschaftkrise anzusparen und auf dem Finanzmarkt dafür zu sorgen, dass Stabilität herrscht und nicht einzelne Banken zusammenbrechen. Das haben wir gemeinsam ? im Übrigen zusammen mit Ihnen ? beschlossen.
Jetzt geht es darum, wieder langsam davon herunterzukommen. Ich finde es besonders dreist, dass Sie sich hier als Hort der Stabilität darstellen.
(Bettina Hagedorn (SPD): Ja!)
Was an Gesetzentwürfen haben Sie bis jetzt im Bundestag vorgelegt? Es waren vier oder fünf. Einer betraf den Bundeshaushalt 2010. Da haben Sie eine Rekordneuverschuldung beschlossen. Die hätte 10 Milliarden Euro niedriger sein können,
(Bettina Hagedorn (SPD): Richtig!)
wenn Sie nicht Ihr Wachstumsbeschleunigungsgesetz, Ihr Klientelgeschenkegesetz, beschlossen hätten. Das ist Fakt, und deswegen brauchen Sie sich gegenüber anderen Ländern nicht als Sittenwächter, was die Haushaltspolitik betrifft, aufzuspielen. Sie sind das Gegenteil.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich will auf ein weiteres Thema zu sprechen kommen. Kollege Trittin hat, wenn ich ihn richtig verstanden habe, vorgeschlagen, die Mittel in Höhe von 148 Milliarden Euro zu sperren. Wenn Herr Schäuble in der heutigen Ausgabe der FAZ richtig wiedergegeben ist, dann hat auch er sich auf europäischer Ebene dafür eingesetzt, dass der Bundestag bei jeder Entscheidung ein Vetorecht bekommt. Ich greife diesen Vorschlag sehr gern auf. Ich halte die jetzige Veranschlagung nämlich für nicht etatreif, weil die Grundlage und die Bestimmtheit dieser Gewährleistung nicht geklärt sind.
Es ist unverantwortlich, dieses Geld jetzt blanko zu verteilen. Das geht meines Erachtens nicht. Deswegen schlage ich Ihnen vor: Lassen Sie uns diese Mittel heute im Haushaltsausschuss sperren. Sobald das Vehikel steht, sobald die Verträge da sind und sobald die ersten Anfragen vorliegen, sind wir bereit, die Mittel binnen 24 Stunden freizugeben; auch bei dem Vorgehen, das Sie vorschlagen, wären wir nicht schneller. Dann hätte der Bundestag ein Mitbestimmungsrecht. Das hielte ich für richtig.
(Beifall bei der SPD)
Ich will auf meinen letzten Punkt zu sprechen kommen: auf die Verunsicherung der Märkte hinsichtlich des Euros. Retten wir hiermit eigentlich den Euro? Ich bin da sehr skeptisch. Wie wir wissen, ist der Wert des Euro in den letzten Wochen und Tagen gesunken. Ich glaube, dass das Paket zwar eine Beruhigungswirkung hat, dass es aber einen fatalen Fehler beinhaltet: den realen Angriff auf die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank. Ich finde es bemerkenswert, dass die deutschen Vertreter dort, sowohl Herr Weber als auch Herr Stark, überstimmt worden sind. Ich finde es auch bemerkenswert, dass das Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, kein Wort wert war. Ich denke, Sie als deutsche Bundeskanzlerin hätten am Freitag und am Sonntag letzter Woche auftreten und die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank vor dem Zugriff durch Präsidenten anderer großer Länder schützen müssen. Das ist offenbar nicht gelungen. Das ist bedauerlich.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wenn es um Fragen der Stabilität geht, auf die Sie sich ja gern berufen, ist das geradezu grotesk. Ich fordere Sie auf: Sorgen Sie dafür, dass kein europäischer Nationalstaat Einfluss auf die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank ausübt! Denn dann wäre der Inflation Tür und Tor geöffnet.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Johannes Kahrs (SPD): Gute Rede! ? Volker Kauder (CDU/CSU): Der richtige Satz kam ganz zum Schluss! Immerhin!)
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