Für die Zeitschrift „Journal Liberal aktuell“, dem Mitgliedermagazin der Jungen Liberalen Hessen, habe ich für die Ausgabe 2/2012 folgenden Beitrag verfasst:
Was ist eigentlich aus dem „Liberalen Sparbuch“ geworden? Mehr als 400 Kürzungsvorschläge im Bundeshaushalt hatte die FDP in ihrer Oppositionszeit notiert. Seit dem Jahr 2009 regiert sie selbst mit. Und das Ergebnis? So kläglich, dass die FDP-Fraktion sich auf ihrer Internetseite unter der Überschrift „Zur Kritik am Liberalen Sparbuch“ rechtfertigen muss: „Auch als Regierungsfraktion vollzieht die FDP-Bundestagsfraktion keine Abkehr von den Sparvorstellungen der vergangenen Jahre. Im Gegenteil: Vieles davon wurde in den jetzt diskutierten Haushalt eingebracht. Die Sparvorschläge, die wir in den vergangenen Jahren gemacht haben, sind weiterhin unsere Orientierung.“
Immerhin geht die FDP offen damit um, dass sie ihre Versprechen nicht gehalten hat. Anscheinend musste die Partei erst lernen, dass die Forderungen nach Subventionsabbau und Steuersenkungen zwar Stammtische beeindrucken, aber der Realitätsprüfung oft nicht standhalten. Schlimmer noch: Die überzogenen Erwartungen frustrieren die Bürger. Und sie verhindern rationale Diskussionen, wenn einzelne Leistungen wirklich zur Disposition stehen.
Für Marktliberale sind Subventionen Teufelszeug. Argument: Sie können zu Wettbewerbsverzerrungen und Wohlfahrtsverlusten führen, etwa wenn unwirtschaftliche Unternehmen mit Steuergeld künstlich am Leben gehalten werden. Außerdem sind Kräfte der Beharrung am Werk: Einmal eingeführt, lassen sich Subventionen nur mit viel Kraft wieder zurückdrehen. Vor allem, wenn ihre Empfänger gut organisiert sind.
Wegen all dieser negativen Wirkungen muss jede Subvention auf den Prüfstand – und zwar regelmäßig, nicht nur alle zehn Jahre mal. Richtig ist aber auch, dass Subventionen unter bestimmten Bedingungen wie starker Kaffee wirken können: In Maßen genossen beleben sie. Nur wer zu viel davon trinkt, schadet seiner Gesundheit. So ist Deutschland nicht zuletzt mithilfe staatlicher Subventionen glimpflich durch die Krisenjahre 2008 und 2009 gekommen: Die Abwrackprämie, das Kurzarbeitergeld und die Rettungspakete für die Banken haben Arbeitsplätze dauerhaft gesichert und die Wirtschaft stabilisiert.
Oder nehmen wir das von der rot-grünen Regierung verabschiedete Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Es garantiert den Erzeugern von Strom aus alternativen Quellen Mindestverkaufspreise. Diese Subvention hatte nicht nur positive Effekte auf die Umwelt, sie schuf auch zahlreiche neue Arbeitsplätze. Die Exportquote bei Wasserkraft-, Windkraft- und Photovoltaiktechnologien stieg auf mehr als 50 Prozent. Daraufhin wurde das EEG selbst ein Exportschlager: Mehr als 60 Länder haben die Regelungen inzwischen kopiert.
Ein Denkfehler vieler Liberaler lautet, auf freien Märkten werde die „unsichtbare Hand“ automatisch maximalen Wohlstand schaffen. Wird sie nicht, wie die Wirklichkeit zeigt. Der letztgültige Beleg ist die Finanzkrise. Das regelfreie Zocken auf den Anleihemärkten mündete in der schlimmsten Wirtschaftskrise seit 80 Jahren. Der Zusammenbruch von Lehman Brothers war der Offenbarungseid der neoliberalen Ideologie.
Kluge Politik ist pragmatisch. Wo Märkte funktionieren, fairer Wettbewerb herrscht und private Kosten nicht auf die Gemeinschaft abgewälzt werden, hält sie sich raus. Doch unter gewissen Voraussetzungen sollte der Staat ins Marktgeschehen eingreifen, zum Beispiel wenn der Strukturwandel soziale Verwerfungen nach sich zieht, wenn aussichtsreiche Leitmärkte zu entwickeln sind oder Unternehmen wichtige Leistungen nicht zu bezahlbaren Preisen anbieten können, etwa im Kultursektor.
Zudem meinen viele Liberale, die öffentlichen Haushalte ließen sich allein durch Einsparungen sanieren. Der zweite Denkfehler. In Wirklichkeit sind nach jahrzehntelangen Konsolidierungsanstrengungen auf allen Ebenen – in den Kommunen, in den Ländern und beim Bund – keine großen Brocken mehr aufzufinden, die schlankerhand gestrichen werden könnten. Im 21. Jahrhundert ist Sparpolitik zu einer Fummelarbeit geworden: Sie ist aufwendig und anstrengend.
Genau deshalb ist die schwarz-gelbe Bundesregierung im Jahr 2010 daran gescheitert, ein solides Sparpaket vorzulegen. Der Plan sollte den Bundeshaushalt bis 2014 um 80 Milliarden Euro entlasten. Doch er besteht zu großen Teilen aus Luftbuchungen und Rechenschiebereien. Wie ist das zu erklären? Zum einen fehlte der zerstrittenen Koalition die Durchsetzungsfähigkeit. Zum anderen war das Vorhaben schlicht eindimensional; es mangelte an einem umfassenden haushalts- und finanzpolitischen Ansatz.
Die Wahrheit ist doch – und das wissen auch die führenden Köpfe der Koalition: Die öffentlichen Budgets lassen sich nur mit einem Dreiklang aus Einsparungen, moderaten Steuererhöhungen für die Wohlhabenden und Impulsen für mehr Wachstum ins Gleichgewicht bringen. Nichts davon unternimmt die Regierung Merkel! Der aktuelle Rückgang der Neuverschuldung ist ausschließlich der guten Konjunktur geschuldet. Und dass die Steuern ab 2013 sogar sinken sollen, wird nur durch die „Defizit-Lüge“ möglich: Mit einem dreisten Rechentrick bricht Finanzminister Wolfgang Schäuble die Schuldenbremse im Grundgesetz, um höhere Verschuldungsspielräume für den Wahlkampf zu gewinnen -unter massivem Protest von Sachverständigenrat, Bundesbank und Bundesrechnungshof.
Die SPD hingegen hat im September den „Pakt für Bildung und Entschuldung“ vorgestellt. Ein umfassendes Finanzkonzept, mit dem wir die Schuldenbremse strikt einhalten und zugleich Spielräume für notwendige Investitionen in Bildung und Infrastruktur schaffen. Um sie zu finanzieren, wollen wir die Vermögenden stärker an der Sanierung des Staates beteiligen. Angesichts der zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung sind die Einführung einer Vermögenssteuer und ein höherer Spitzensteuersatz ab 100.000 Euro gerechtfertigt.
Darüber hinaus werden wir ökologisch schädliche Subventionen abbauen. Unsere Liste umfasst unter anderem die steuerlichen Vergünstigungen für Agrardiesel, die Absetzbarkeit von Kraftstoffkosten bei großen Firmenwagen sowie die Begünstigung von Flugbenzin. Ferner wollen wir die Subventionierung von Niedriglöhnen über die Sozialkassen beenden, indem wir einen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro einführen. Auf diese Weise werden wir insgesamt knapp 15 Milliarden Euro einsparen, davon 9 Milliarden Euro im Bundeshaushalt.
All unsere Vorschläge sind seriös durchgerechnet und politisch machbar. Ferner sind weitere Sparmaßnahmen denkbar, die allerdings schwieriger in die Tat umzusetzen sind. Allen voran die Reform der Mehrwertsteuer. Denn das „System“ der Umsatzsteuersätze ist mehr als widersprüchlich. Warum profitieren die Verkäufer von Sammlungsstücken vom ermäßigten Steuersatz? Oder die Hersteller von kartografischen Erzeugnisse, Zeitungen oder Kunstgegenständen? Viele der existierenden Tatbestände sind nur historisch zu erklären. Dringend müssen wir den ermäßigten Satz beschränken auf Produkte des täglichen Bedarfs oder von existenzieller Bedeutung: auf Nahrungsmittel, Kulturleistungen, den ÖPNV, Leistungen gemeinnütziger Einrichtungen und auf medizinische Erzeugnisse.
Doch entgegen dem Koalitionsvertrag traut sich die Regierung an dieses wichtige Projekt nicht heran; Ende 2011 legte Finanzminister Schäuble das Vorhaben endgültig auf Eis. Begründung: Die Reform der Mehrwertsteuer werde in der Regierung für politisch nicht durchsetzbar gehalten. Im Gegenteil führte Schwarz-Gelb mit den Steuerprivilegien für Hoteliers neue Ausnahmen ein.
Einmal mehr zeigt sich, dass Subventionsabbau den Mut voraussetzt, sich mit Lobbygruppen anzulegen. Die SPD ist dazu bereit. Wir laden alle ein, mit uns über unser Finanzierungskonzept zu diskutieren – eine dringend notwendige Debatte, die neue Verbindungslinien zwischen SPD und FDP schaffen kann.
(c) Journal Liberal aktuell
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