In einem Interview mit der Thüringischen Landeszeitung habe ich mich den Fragen von Hartmut Kaczmarek gestellt.
Die Euro- und Europaskepsis in der Bevölkerung ist groß, das Vertrauen schwindet. Was muss geschehen, um dieses Vertrauen wieder herzustellen?
Der Grundfehler ist, dass wir keine europäische Wirtschafts- und Finanzunion haben. Das macht uns angreifbar durch die Märkte.
Diesen Konstruktionsfehler werden Sie nicht schnell beheben können.
Sicher nicht. Aber man muss der Bevölkerung klar die Alternative aufzeigen: Entweder wir bleiben beim Euro oder wir gehen zurück zu nationalen Währungen wie der D-Mark. Ich bin dafür, dass wir beim Euro bleiben.
Warum?
Wir müssen klar machen, welche Vorteile wir durch den Euro haben.
Welche?
Wir müssen doch nur in die Schweiz blicken, um zu sehen, wie es bei einer alleinigen nationalen Währungen aussieht. Wir hätten zwar eine stabile, aber aufgewertete Währung. Die Folge: Unsere Exportwirtschaft und damit die gesamte Wirtschaft würden große Probleme bekommen.
Wir behalten den Euro, aber so kann es doch auch nicht weitergehen?
Die Bedingungen müssen sich dramatisch ändern. Wir sind an einem historischen Scheideweg.
Heißt konkret?
Wenn man den Euro behalten will, muss man bereit sein, nationale Souveränitätsrechte abzutreten. Das betrifft vor allem die Haushaltsautonomie. Das heißt konkret: Derjenige, der Geld haben will, muss sich Auflagen beugen.
Und Vertrauen auf den Markt?
Dieses Vertrauen ist verlorengegangen. Die Marktkontrolle hat beispielsweise in Griechenland total versagt.
Wie kann man den Bürgern eigentlich noch erklären, dass wir noch mehr Geld für die Rettung Griechenlands bereitstellen sollen?
Wir müssen bei dieser Entscheidung abwägen, welche die weniger kostenintensive Variante ist. Die Bundeskanzlerin hat zu Beginn der Griechenlandkrise behauptet, es würde uns nichts kosten. Dann waren wir bei 22 Milliarden, jetzt sind wir bei 211 Milliarden. Wir Politiker müssen den Menschen reinen Wein einschenken.
Auch über die Folgen einer Griechenland-Pleite?
Selbstverständlich. Das hätte unweigerlich Folgen für Italien und Spanien. Ein solches Szenario ist nicht zu bewältigen. Es würde Bankpleiten und eine tiefe Rezession zur Folge haben. Und die Kosten wären bei weitem höher als weitere Kredite für Griechenland.
Die Kanzlerin sagt: Retten wir Griechenland, bleibt der Euro zusammen, bleibt Europa zusammen. Aber wer soll das bezahlen?
Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder macht Griechenland eine harte Umschuldung. Das fordern die meisten Ökonomen. Auch ich halte das für zwingend. Die SPD fordert einen 50-prozentigen Gläubigerschnitt.
Das heißt, die Banken verlieren ihr Geld?
Die Banken haben den Großteil ihrer Verpflichtungen gegenüber Griechenland schon auf 50 Prozent abgeschrieben. Die Verluste sind also schon eingepreist.
Skeptiker prophezeien einen Bankencrash.
Das glaube ich nicht. Gefahren sehe ich nur für die griechischen Banken. Die müssten dann rekapitalisiert werden.
Die Folgen eines Schnittes wären beherrschbar?
Ich meine ja und viele Ökonomen sind der gleichen Meinung. Bei einer 160prozentigen Staatsverschuldung wird Griechenland niemanden mehr finden, der dem Staat noch Geld leiht.
Aber die privaten Gläubiger werden doch schon beteiligt, sagt die Bundesregierung.
Das ist keine echte Beteiligung privater Gläubiger. Die tauschen 100 Prozent griechische Papiere alt gegen zu 100 Prozent von Europa garantierte Papiere. Das Einzige, was nicht garantiert ist, sind die Zinsen.
Das heißt doch, Banken und Versicherungen werden mit Steuergeldern gerettet. Ist das akzeptabel?
Auf keinen Fall. Auch die Bevölkerung akzeptiert das nicht.
Sie fordern ja schon langem stärkere Kontrollen auf den Finanzmärkten.
Wir brauchen eine Finanztransaktionssteuer, wenn man diese Gläubigerbeteiligung nicht will. Die FDP hat eine solche Steuer allerdings verhindert. Ich kann gut verstehen, dass die Bevölkerung darüber verärgert ist.
Finanztransaktionssteuer heißt…
Das ist eine Umsatzsteuer auf Finanzdienstleistungen, um Spekulationen einzudämmen.
Aber die Probleme Griechenlands wären damit nicht gelöst.
Nein. Mir geht es aber darum, dass nicht der Bürger für die Rettung Griechenlands zahlt, sondern diejenigen, die von der Stabilisierung Griechenlands enorm profitieren. Das gilt auch für diejenigen, die Staatsanleihen Italiens, Spaniens oder anderer Länder halten.
Der Kern ist doch das große Ungerechtigkeitsempfinden der Menschen.
Die soziale Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Deshalb müssen wir diejenigen, die mehr finanziell schultern können, auch stärker belasten. Das ist im übrigen auch der Kern des SPD-Steuerkonzeptes.
Hechelt die Politik nicht nur noch den Finanzmärkten hinterher?
Genau darum geht es. Wir als Politiker dürfen uns nicht von den Märkten beherrschen lassen, sondern müssen den Märkten unsere Regeln aufzwingen.
Sie betrachten das Ganze nüchtern-finanzpolitisch. Die CDU drückt derzeit auf die Emotionen in Sachen Europa.
Die Kanzlerin hat ihr Herz dafür spät entdeckt. In der Haushaltsdebatte 2011 hat sie dieses Bekenntnis zu Euro und Europa erstmals im Bundestag abgelegt. Vorher hat sie eher – beispielsweise bei einem Auftritt im Sauerland – die Stammtische bedient mit dem Schüren von Vorurteilen gegenüber Griechenland.
Sie finden eine solche Emotionalisierung gut?
Ich finde, man muss auf die Errungenschaften hinweisen, die wir in den letzten Jahrzehnten erzielt haben. Reisefreiheit, Niederlassungsfreiheit sind nur zwei davon. Entscheidend ist doch, dass wir es geschafft haben, dass Kriege hier in Mitteleuropa überhaupt nicht mehr denkbar sind.
Das reicht aber noch nicht.
Wir müssen die Ebenen unterscheiden. Es gibt die politische Ebene. Da müssen wir die Frage des Zusammenhalts in Europa klären. Es gibt die Frage von Krieg und Frieden. Und es gibt die Frage nach der Rolle Europas in der Welt.
China bietet schon Hilfe an…
… und keiner redet mehr über die Menschenrechte. Europa muss zusammenbleiben, wenn wir unsere humanistisch geprägten europäischen Werte exportieren wollen. Die Demokratien, auch in Amerika, erleben zur Zeit eine Schwächephase. Wir dürfen aber nicht zulassen, dass davon die Autokratien profitieren.
Wie teuer darf Europa für die Bürger werden?
Das ist nicht wirklich zu beantworten.
Es wird eine Lösung geben, die wird aber nicht billig.
Davon ist auszugehen. Ich bin aber auch der Überzeugung, hätte die Bundesregierung schon sehr viel früher klarer und eindeutiger gehandelt, wäre es billiger geworden. Die Bundeskanzlerin wusste lange nicht, was sie will. Und jetzt wird es teurer für uns.
Ex-EZB-Volkswirt Otmar Issinger hat vor einigen Tagen hier in Weimar eindringlich vor Eurobonds gewarnt. Die SPD ist dafür.
Das stimmt nicht. Es gab in der SPD Diskussionen um Instrumente, aber es gab nie einen Beschluss für Eurobonds. Gemeinsame Haftung für die Schulden aller Länder kann nur dann funktionieren, wenn alle Länder einen gemeinsamen Haushalt haben, eine gemeinsame Finanzpolitik und einen gemeinsamen Finanzminister. Dazu muss man die Europäischen Verträge ändern. Das halte ich für die nächsten 5 bis 10 Jahre für ausgeschlossen. Das ist also ein Vorschlag, der aktuell nichts hilft.
Wenn man jetzt Ja sagt zu weiteren Griechenland-Hilfen: welche begleitenden Maßnahmen müssen denn unbedingt beschlossen werden?
Drei Dinge sind wichtig: Wir müssen das Instrumentarium, das ich für gut halte, jetzt beschließen. Die Summe wird aber nicht reichen. Die avisierten 440 Milliarden werden sehr schnell alle sein. Ich halte es für mutlos, das nicht schon jetzt so offen zu sagen. Zweitens: Mit reinen Sparprogrammen werden wir die Probleme der Welt nicht lösen.
Also Investitionshilfen?
Griechenland hat eine Herkulesaufgabe schon hinter sich. Das Land hat mehr gespart als wir es in Deutschland jemals getan haben. Die Agenda 2010 ist im Vergleich dazu nur eine Fußnote.
Aber das Land kommt nicht auf die Beine.
Deshalb brauchen sie bei allen noch notwendigen Spar-. und Strukturreformen auch Licht am Horizont. Das kann nur über die Europäische Union und von ihr unterstützte Investitionen kommen. 20 Milliarden Euro an Investitionen liegen auf Eis, weil Griechenland die Kofinanzierung nicht aufbringen kann. Nur eine finanzielle Roßkur nützt nichts. Griechenland braucht auch Impulse. Die Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer würde ich gerne teilweise für solche Investitionen genutzt sehen.
Also eine Art Marshallplan für Griechenland.
Ganz besonders für Griechenland, möglicherweise aber auch für den gesamten südeuropäischen Raum. Das sind auch Chancen für deutsche Unternehmen.
Brauchen wir stärkere Sanktionen?
Das ist der dritte Punkt. Die Änderung des Stabilitätspaktes war notwendig. Die drei Prozent Neuverschuldung sind nicht mehr das einzige Kriterium. Es gibt auch andere, wie beispielsweise das Renteneintrittsalter. Eine weitere Forderung: ein nahezu ausgeglichener Haushalt. Das ist fast genau die Blaupause für die Schuldenbremse in Deutschland. Bisher fehlte nur ein Gremium, das bei Abweichungen auch Sanktionen beschließen kann. Ein solcher Vorschlag lag in Brüssel vor. Die Kanzlerin hat gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten allerdings den Automatismus aus diesen Sanktionen herausgenommen.
Für diese Herkulesaufgabe braucht man eine handlungsfähige Regierung.
Daran hapert es derzeit. Wir werden deshalb eher Neuwahlen haben als bislang gedacht.
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