Hier die Rede im Videoformat.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist jetzt der vierte Haushalt, den die SPD in der Großen Koalition mit zu verantworten hat. Es ist der vierte Haushalt, in dem es keine neuen Schulden mehr gibt. Das ist ein Ergebnis, auf das wir Sozialdemokraten stolz sind, weil es uns zuverlässigen Spielraum auch für Zukunftsinvestitionen gibt; der Finanzminister hat es angesprochen.
Aber ich will hier noch einmal kurz darauf rekurrieren: Warum haben wir eigentlich keine neuen Schulden? Weil wir uns schon im Jahr 2009 einer soliden Finanzpolitik verpflichtet haben.
(Beifall der Abg. Katja Mast (SPD) und Joachim Poß (SPD))
Es gab damals die Föderalismusreform, die Einführung der Schuldenbremse unter dem damaligen Finanzminister Peer Steinbrück, der im September den Bundestag verlassen wird. Heute sind die Ergebnisse da: Wir haben keine neuen Schulden mehr. Das ist auch ein Verdienst von Peer Steinbrück. Vielen Dank dafür!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dieser Haushalt 2017 ist alles andere als ein Wahlkampfhaushalt, er ist eher solide, bringt aber auch die unterschiedlichen politischen Schwerpunkte der beiden Parteien, die diese Koalition tragen, zum Ausdruck. Einer der Unterschiede, Herr Minister, die ich schon einmal deutlich machen möchte, ist, dass für uns als Sozialdemokraten das Wort „Soziales“ kein Fremdwort ist und Soziales auch keine Kostenbelastung darstellt.
(Zuruf der Abg. Heike Hänsel (DIE LINKE))
Sie haben 50 Minuten intensiv und ausführlich gesprochen – es war auch sehr vieles sehr richtig –, aber der Punkt „Soziales, sozialer Zusammenhalt in diesem Land“ kam nur im Zusammenhang mit den Bund-Länder-Finanzbeziehungen und der Kostenbelastung für den Bundeshaushalt vor. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage: Das reicht nicht. Denn der soziale Zusammenhalt, der auch durch den Bundeshaushalt gewährleistet wird, sichert die Zukunft in unserem Land. Er sichert, dass wir hier in Frieden leben können, dass es den Menschen gut geht und wir einen Ausgleich zwischen Arm und Reich haben. Uns Sozialdemokraten ist das sehr wichtig.
(Beifall bei der SPD)
Ganz klar ist: Die Grundlage dafür ist das Wirtschaftswachstum. Dafür haben wir viel getan. Sicherlich könnten wir auch, was Strukturreformen betrifft, in Deutschland noch mehr tun. Ich habe aber die Unionsfraktion in den letzten Jahren in der Dampflok nicht so weit vorn gesehen, sondern eher hinten bei den Bremsklötzen.
(Heike Hänsel (DIE LINKE): Ist die SPD in der Opposition?)
Dasselbe sage ich auch bei der Steuerpolitik. Das Angebot, in der nächsten Legislaturperiode eine Steuerentlastung in Höhe von 15 Milliarden Euro vorzunehmen, mag sonor klingen, es kommt aber zumindest etwas spät. Ich hätte mir gewünscht, wir hätten in dieser Legislaturperiode bereits gestaltende Steuerpolitik machen können, die zu etwas mehr Gerechtigkeit geführt hätte, nämlich im Tarif den Mittelstandsbauch, aber auch die Frage einer Höherbesteuerung der Spitzeneinkommen anzugehen. Das war mit Ihnen leider nicht möglich. Sie haben sich ja selbst gegeißelt. Von daher sind es in diesem Punkt vier verlorene Jahre.
(Beifall bei der SPD – Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Sie haben die Mehrheit dafür! – Zuruf der Abg. Antje Tillmann (CDU/CSU))
Wir werden sehen, wie die Bürger dann bei der Bundestagswahl entscheiden. Wir jedenfalls stellen uns einer Entlastung nicht entgegen, aber diese muss schon sehr gezielt sein.
Es gibt ganz klare Prioritäten: erstens Haushaltsausgleich – das ist klar –, zweitens: Eine Nettobelastung der kommunalen und der Landeshaushalte ist nicht drin. Kommunen und Länder haben enorme Aufgaben im Bildungsbereich und in der sozialen Infrastruktur. Das heißt: Es ist beim Bund. Man muss sich sehr genau anschauen: Wer benötigt tatsächlich eine Entlastung? Insbesondere diejenigen, die überhaupt keine Einkommensteuer zahlen, da sie so geringe Einkommen haben, würden von einer Senkung der Einkommensteuer gar nicht profitieren. Das sind die unteren 50 Prozent derjenigen, die in Deutschland Einkommen haben. Diese brauchen eine Entlastung. Das kann ich aber nur sehr, sehr schwer über das Steuersystem machen, wenn sie überhaupt keine Steuern zahlen. Aus diesem Grund müssen wir den Blick weiten, insbesondere auf die Dinge, die sofort regressiv wirken; ich meine die Sozialabgaben. Dort müssen wir schauen, ob wir nicht eine Möglichkeit finden, zu einer Entlastung zu kommen.
(Beifall bei der SPD)
Da wären wir auch sofort dabei, wenn es denn ernst gemeint ist.
Kollegin Lötzsch warf die Frage auf: Ist dieses Land gerecht? Es ist, verglichen mit vielen anderen Ländern der Welt, schon gerecht. Wir können es uns aber noch gerechter vorstellen und werben auch dafür. Ich will zwei Punkte nennen, die im Dissens zu dem stehen, was der Finanzminister sagte – aber das ist auch klar; denn es sind zwei unterschiedliche Parteien in der Koalition.
Das Erste ist: Sind die Sozialausgaben in Deutschland eigentlich zu hoch? Ich habe mir eben noch einmal angeschaut: Die Sozialleistungsquote am Bruttoinlandsprodukt, also dem, was hier in Deutschland erarbeitet wird, ist seit 1996 konstant und liegt in etwa bei 29 Prozent. Wir haben es also nicht mit einem überbordenden Sozialstaat zu tun. Es ist konstant, es gibt keine Kürzungen, es gibt Umverteilung.
Nun muss man schauen: Wo gibt es im System unserer sozialen Sicherung noch Lücken? Dabei lohnt ein Blick in den Armuts- und Reichtumsbericht und auf die, die es besonders schwer haben. Entgegen der öffentlichen Diskussion, die darauf hinausläuft, dass wir es derzeit mit dem großen Problem der Altersarmut zu tun haben, haben wir es vielmehr mit Kinderarmut zu tun.
(Beifall bei der SPD)
Das größte Armutsrisiko, das man haben kann, ist, alleinerziehend zu sein und Kinder zu haben.
(Heike Hänsel (DIE LINKE): Viele sind in Hartz IV!)
Alleinerziehend zu sein und mehrere Kinder im Haushalt zu haben, ist das größte Armutsrisiko, und ich finde, dass wir genau an dieser Stelle ansetzen müssen. Das geht mit relativ wenig Geld. Die Situation von 4 Millionen Menschen – 2,3 Millionen Kindern und 1,6 Millionen Frauen; 90 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen – ist in dem Fall prekär, dass zum Beispiel der Unterhaltsvorschuss nach dem zwölften Lebensjahr nicht mehr gezahlt wird. Es ist absurd: Er wird bis zum zwölften Lebensjahr gezahlt, weil der Ex-Partner nicht zahlt. Man hat natürlich trotzdem Ausgaben für das Kind. Man ist im Zweifel berufstätig und hat alles zu organisieren. Das ist wahnsinnig schwer; denn alles ruht auf den Schultern der Alleinerziehenden. Und dann sagt der Staat: Mit zwölf Jahren gibt es nichts mehr. – Was sagt das eigentlich dem Kind?
(Katja Mast (SPD): Ja!)
Und das zu Beginn der Pubertät, wo es eigentlich erst richtig teuer wird! Ich finde, das ist ein nicht hinnehmbarer Zustand. Dass der korrigiert wird, möchten wir Sozialdemokraten in diesem Jahr noch durchsetzen.
(Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Regiert die SPD eigentlich derzeit?)
Zum Zweiten: die Unterschiede bei den Renten in Ost und West. Diese haben in der Tat auch wir Sozialdemokraten lange Zeit, bis zum Jahr 2013, so begründet, wie Sie es gesagt haben: Der langsame Anstieg der Löhne zog einen dementsprechenden Anstieg auch der Renten nach sich. – Wir gehen mittlerweile, wenn wir das Jahr 2019 bzw. 2020 in den Blick nehmen, auf das 30. Jahr nach der deutschen Einheit zu. Und im 30. Jahr nach der deutschen Einheit – und bis dahin streben wir die Angleichung an – ist es aus meiner Sicht nicht mehr vermittelbar, dass wir zwei unterschiedliche Rentenrechte in Ost und West haben. Das ist nicht mehr vermittelbar!
(Beifall bei der SPD – Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Wirklich!)
Es ist auch dem jungen Arbeitnehmer in Schleswig–Holstein nicht mehr vermittelbar, dass er, obwohl er den gleichen Bruttolohn wie jemand in Erfurt erhält, weniger Rentenanwartschaftspunkte bekommt.
(Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Da liegt der Hund begraben!)
Das ist nicht vermittelbar. Von daher wollen wir sowohl bei den Rentnern als auch bei den Arbeitnehmern zu einer Gleichbehandlung kommen.
(Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Wie viele Jahre habt ihr regiert?)
Zur Altersarmut bzw. zur Frage der Verteilung will ich eines sagen: Altersarmut entsteht vor allen Dingen daraus, dass es Lohnarmut in der Erwerbszeit gibt.
(Katja Mast (SPD): So ist es!)
Deswegen ist der entscheidende Punkt, dass wir zu höheren Löhnen in Deutschland kommen. Wir haben einen ersten Schritt mit dem Mindestlohn gemacht. Aber das wird nicht reichen. Von daher ist eine Unterstützung der Gewerkschaften und der Arbeitnehmer dabei, höhere Abschlüsse insbesondere auch im Dienstleistungssektor zu erzielen, unabdingbar. Auch das gehört zu einer Finanzdebatte dazu.
(Beifall bei der SPD)
Eine letzte Bemerkung noch zur Steuer- und Europapolitik. Wir haben im letzten halben Jahr viele Veröffentlichungen zu den Panama Papers lesen können; in der letzten Woche gab es die Entscheidung der EU-Kommission dazu, dass Apple in Irland quasi überhaupt keine Steuern zahlt. Also das reichste, wertvollste Unternehmen der Welt zahlt einen Steuersatz von null Komma nullnull irgendwas Prozent in Irland. Die Leute fragen sich: Ist das eigentlich gerecht? Es ist natürlich überhaupt nicht gerecht, dass sich global agierende Konzerne vom Acker machen. Der Buchhändler bei mir in Weimar zahlt seine Einkommensteuer bzw. seine Körperschaft- und Gewerbesteuern, während Amazon das nicht tun muss. Das stellt eine Wettbewerbsverzerrung dar.
Die EU-Kommission hat eine sehr, sehr kluge und weitreichende Entscheidung getroffen, indem sie entschieden hat, dass es sich dabei um eine unerlaubte Beihilfe handelt, diesem Steuerdumping Einhalt geboten werden und Apple 13 Milliarden Euro an Steuern auf die Gewinne nachzahlen muss, die sie letztendlich hier in Europa erwirtschaftet haben. Ich finde das sehr gut. Es zeigt aber nur, welch weiten Weg wir noch zu gehen haben. Zwei Reaktionen darauf haben mich da allerdings irritiert.
Die erste war, dass Irland sich gegen diese Beglückung wehrt – es ist ja eine Durchsetzung des Rechts, weil Irland einen Körperschaftsteuersatz von 12,5 Prozent hat, aber aufgrund einer Absprache mit den Finanzbehörden real nur null Komma irgendwas gezahlt wurden – und dieses Geld nicht annehmen will. Ich sage, liebe Kolleginnen und Kollegen: Da hört die Solidarität auch in Deutschland irgendwann auf.
(Katja Mast (SPD): Ja!)
Wenn ein Land nicht einmal bereit ist, einen Mindestkörperschaftsteuersatz – Irland hat ja den niedrigsten in der EU – auch tatsächlich durchzusetzen, dann können auch wir Irland nicht weiterhin in diesem Umfang unterstützen, was Stützungsmaßnahmen sowohl über den ESM als auch über Investitionen aus EU-Fonds betrifft. Ich finde, im europäischen Verteilungsmechanismus – hier geht es ja darum, wer davon profitiert – muss ein Mindestmaß an Steueraufkommen aus der Körperschaftsteuer erreicht werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE))
Die zweite Reaktion kam vom bayerischen Finanzminister Söder, der ja normalerweise für jeden Populismus zu haben ist.
(Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Chaos-Union!)
Er hat sich in diesem Fall allerdings hingestellt und gesagt – Apple hat ja seinen deutschen Firmensitz in München, also in Bayern –, dass er nicht einmal eine Prüfung vornehmen will. Dabei hat doch die Europäische Kommission gesagt: Guckt doch einmal, liebe Staaten, ob nicht auch ihr etwas von diesem Kuchen bekommen könnt; es steht euch eigentlich zu. Er aber, der die Verantwortung dafür hat, hat gesagt: Nein, ich prüfe da gar nicht. Das zeigt doch nur, dass auch in Deutschland, ähnlich wie in Irland, eine Form von Standortpolitik betrieben wird, insbesondere in Bayern, bei der die Finanzbehörden quasi weggucken, nicht prüfen und nicht für die Durchsetzung des Rechts sorgen. Das ist ein nicht hinzunehmender Zustand. Ich finde, der Bund muss dort ein Prüfungsrecht bekommen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)